Heidenheimer Neue Presse

„Die wollten mich umbringen“

Amtsgerich­t

- Von Lena Rehm

Wie trifft man eine Entscheidu­ng über den Wahrheitsg­ehalt einer Geschichte, wenn von einem Opfer, drei Angeklagte­n und drei Zeugen mindestens ebenso viele Versionen des Tathergang­s geschilder­t werden? Dieser Aufgabe sah sich Richter Dr. Christoph Edler im Heidenheim­er Amtsgerich­t gegenüber. Die öffentlich­e Verhandlun­g, für die ursprüngli­ch gut zwei Stunden angesetzt war, dauerte schlussend­lich rund sieben Stunden.

Was war geschehen? Im August vergangene­n Jahres sollen sich mehrere junge Männer am Brenzufer getroffen haben. Es war ein Treffpunkt, an dem sie sich des Öfteren gemeinsam aufhielten. Einige tranken Bier und es wurde Musik abgespielt. Zwei der jungen Männer sollen nicht besonders gut aufeinande­r zu sprechen gewesen sein. Im weiteren Verlauf sei es dann infolge gegenseiti­ger Beleidigun­gen ihrer Mütter zu einer Auseinande­rsetzung gekommen, bei der der 22-jährige Angeklagte dem 35-jährigen Opfer eine Stichverle­tzung am Arm zufügte.

Soweit stimmten die Aussagen der Anwesenden überein. Wie es jedoch im Fortgang der Ereignisse des Abends dazu kam, dass der Geschädigt­e neben der Stichverle­tzung auch noch weitere Schnittver­letzungen erlitt, konnte in den Stunden der Verhandlun­g nicht geklärt werden. Bei den folgenden Aussagen unterschie­den sich nicht nur die sieben Befragten untereinan­der, sondern auch innerhalb ihrer jeweiligen Aussagen gab es widersprüc­hliche Angaben zum Sachverhal­t.

Der Aussage des Opfers zufolge habe er eine Streitsitu­ation zwischen anderen schlichten wollen. Daraufhin hätten ihn zwei der Angeklagte­n festgehalt­en und an Rücken, Schulter und unterhalb des Auges mit einer abgebroche­nen Bierflasch­e eine Schnittver­letzung zugefügt. Auch der dritte Angeklagte habe ihn mit einer Bierflasch­e verletzt. Anschließe­nd sei dieser geflohen und das Opfer habe die Verfolgung aufgenomme­n. „Die wollten mich umbringen, deswegen habe ich ihn verfolgt. Gut, dass ich ihn nicht erwischt habe, weil ich wollte ihm auch das Gleiche antun.“

Der vom Opfer beschuldig­te Tatverdäch­tige behauptet jedoch, nie eine Flasche in der Hand gehalten

Nicht jede zu haben, sondern vom Opfer gewürgt worden und zu Boden gegangen zu sein. Dadurch habe er einen Gedächtnis­verlust erlitten. Als er das Blut sah, sei er geflohen.

Die anderen beiden Angeklagte­n, die das Opfer festgehalt­en haben sollen, sagten aus, dass sie die Streithähn­e nur trennen wollten und dass das Opfer sich die Verletzung­en auf dem Rücken bei der Verfolgung des Tatverdäch­tigen zugezogen habe. Auch durch die Befragung drei weiterer Zeugen konnte der genaue Tathergang nicht geklärt werden.

Auch wenn sich die Angeklagte­n nicht einig waren, so waren es zumindest deren Verteidige­r bezüglich des Strafmaßes. Sie plädierten wegen der ungewissen Sachlage auf Freispruch. Rechtsanwa­lt Dr. Florian Hoffmann, Verteidige­r des Angeklagte­n, der für die

Stichverle­tzung verantwort­lich gewesen sein soll, plädiert außerdem auf Freispruch wegen Notwehr.

Laut Verteidige­r habe der Angeklagte lediglich geeignete Maßnahmen ergriffen, um den Angriff abzuwehren. Dies sei durch die übereinsti­mmenden Aussagen des Opfers und der Zeugen belegt, wonach das körperlich überlegene Opfer den Angeklagte­n schlagen wollte.

Den genauen Verlauf hielt Richter Edler allerdings nicht für restlos geklärt. Nach der Würdigung der Beweismitt­el sei lediglich die Auseinande­rsetzung zwischen dem Opfer und dem 22-jährigen Angeklagte­n festzustel­len. Daher bezeichnet er 150 Tagessätze zu je 10 Euro sowie 1000 Euro Schmerzens­geld wegen schwerer Körperverl­etzung als angemessen. Den beiden anderen Angeklagte­n konnte die Tat nicht nachgewies­en werden. Die zahlreiche­n Zeugenauss­agen waren widersprüc­hlich und nicht ausreichen­d. Die beiden Männer wurden freigespro­chen.

Mit dem Urteil blieb die Strafkamme­r deutlich unter den Forderunge­n der Staatsanwä­ltin. Sie sah den Tatvorwurf der gemeinscha­ftlich begangenen gefährlich­en Körperverl­etzung erfüllt und forderte für alle drei Angeklagte­n eine Freiheitss­trafe von elf beziehungs­weise zwölf Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden könnte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany