Haustiere
Tierheim wird während Corona mit Anfragen überrannt
Mittlerweile gibt es im Tierheim wieder ein paar Katzen, aber über mehrere Wochen stand das Katzenhaus in Heidenheim vollkommen leer. „Das habe ich noch nie erlebt seit ich 1993 hier angefangen habe. Normalerweise versorgen wir immer zwischen 30 und 50 Tiere“, sagt Stefan Hitzler, Vorsitzender des Kreistierschutzvereins und damit auch verantwortlich für das Tierheim. Ein ähnliches Bild bei Hunden und Kleintieren: „Alle kleinen und gut händelbaren Hunde sind vermittelt“, sagt Hitzler. Übrig seien nur noch die Großen und Problematischen. „Und nicht nur wir, auch die Züchter wurden und werden mit Anfragen überrannt.“
Mehr Zeit und Einsamkeit
Den Grund für den Vermittlungsboom sieht Hitzler eindeutig in der Corona-pandemie, genauer gesagt im Homeoffice und der Kurzarbeit. „Die Leute haben mehr Zeit, vielen fehlte Beschäftigung und die Einsamkeit hat sich breitgemacht.“Doch bei aller Freude über Vermittlungserfolge und neu entdeckte Tierliebe – nicht jeder Anfrage ist man im Tierheim nachgekommen. „Manche Leute mussten wir schon bremsen“, sagt Hitzler. Darunter einige Eltern. „Natürlich ist es löblich, wenn man Kinder an Tiere heranführen will, aber man muss sich schon überlegen, wer sie versorgt, wenn die Kinder wieder in die Schule und die Eltern ins Geschäft gehen.“Denn während Corona hoffentlich bald vorüber sein wird, würden Katze und Hund doch gut und gern zehn bis 15 Jahre in der Familie bleiben.
„Wir haben viele gute Halter gefunden, aber es gab auch einige Diskussionen mit Menschen, die einfach falsche Vorstellungen haben“, beschreibt Hitzler. Manche suchten etwa explizit nach großen Hunden, etwa einem Kangal. „Die sehen mit ihren 70 Kilo natürlich beeindruckend aus, aber so ein Kraftprotz ist nicht für jeden geeignet und er frisst zwischen vier und sieben Kilo Futter pro Tag. Das geht ins Geld und das ist vielen nicht klar.“Teilweise gab es noch unseriösere Anfragen: „Manche wollten Hunde für die Zeit des Homeoffices ausleihen oder nur einen adoptieren, damit sie nach der Ausgangssperre noch vor die Tür können.“Auch diesen Anfragen wurde natürlich eine Absage erteilt.
Keine Absage erhielten dagegen Alexandra Kolb und ihr Mann. Auch sie haben während der Pandemie entschieden, ihre Familie zu vergrößern. Seit sechs Jahren halten sie Kaninchen, namentlich das Löwenköpfchen Franzl und den schneeweißen Bianco. Drei weitere kamen in den vergangenen Monaten dazu: Dino, Donny und der fünf Kilogramm schwere Blue. „Wir hatten schon länger den Wunsch, die Gruppe zu vergrößern, wollten aber erst unser Gehege vergrößern und renovieren“, sagt Alexandra Kolb. „Und während Corona hatten wir dazu genügend Zeit.“Fünf Kaninchen bräuchten mindestens zwölf Quadratmeter Platz. „Unsere haben jetzt 15 Quadratmeter. Und zusätzlich den ganzen Garten tagsüber.“Standard sei der neue Stall – er steht übrigens in Nattheim – nicht. „Das ist schon Luxus, aber so soll es auch sein.“
Vor der nächsten Urlaubssaison und Rückgabewelle habe ich massive Angst. Stefan Hitzler
Kreistierheim
Manche wollten Hunde nur adoptieren, damit sie nach der Ausgangssperre noch vor die Tür können. Stefan Hitzler
Kreistierheim
Wer versorgt die Tiere, wenn die Kinder wieder in die Schule und die Eltern ins Geschäft gehen? Stefan Hitzler
Kreistierheim
Artgerechte Haltung ist Alexandra Kolb enorm wichtig. „Und die Tiere quittieren das auch“, sagt die 47-Jährige, die bei Zeiss als Zollreferentin arbeitet. „Kaninchen sind keine Kuscheltiere, sie sind Fluchttiere und die wenigstens werden richtig zutraulich. Aber wenn man sie gut hält und viel Zeit mit ihnen verbringt, fassen sie zum Halter Vertrauen. Das ist toll.“
Alle fünf kommen aus dem Tierheim. Warum? „Es ist uns wichtig, den Tierschutz zu unterstützen“, sagt Alexandra Kolb. „Wir würden niemals ein Tier im Zoohandel kaufen. Da gibt es genügend, die vor sich hinvegetieren und zu früh von der Mutter getrennt wurden, damit sie möglichst süß und knuffig sind.“Und Kleintiere hätten nicht automatisch auch kleine Bedürfnisse. „Es sind sehr soziale Tiere und dem muss man gerecht werden.“
Über die Bedürfnisse von Hund, Katze und Kaninchen sollte man natürlich Bescheid wissen, bevor man sich ein oder mehrere Tiere anschafft. Deshalb ist Aufklärungsarbeit für Stefan Hitzler bei der Tiervermittlung das A und O. Selbstverständlich ist das allerdings nicht. Eine weitere Schattenseite des Haustierbooms: Während Corona sind die Preise und die Angebote von Haustieren im Internet geradezu
explodiert. Das Geschäft mit Tieren gilt mittlerweile als drittgrößte Einkommensquelle nach dem organisierten Drogen- und Waffenhandel in der Europäischen Union. „Das ist ein Riesenmarkt, der kaum kontrolliert wird“, sagt Hitzler.
Illegale Welpentransporte
Und wegen der hohen Nachfrage werden Haustiere vermehrt illegal nach Deutschland gebracht. Für Aufsehen sorgte ein Fall aus Nürnberg, bei dem 101 Welpen in einem Kleintransporter entdeckt wurden, darunter Bernhardiner und Dackel. Sie sollten, ausgestattet mit falschen Papieren, von Ungarn nach Belgien gebracht werden. Kein Einzelfall. Ende März stoppte die Polizei einen illegalen Transport bei Ulm mit fast 40 Hunden und Katzen. Nach Schätzungen von Polizei und Tierschutzorganisationen hat sich die Zahl dieser illegalen Transporte seit Mitte 2020 verdoppelt. Dahinter stecken laut Tierschützern oft kranke, teils mit Tollwut infizierte Tiere, die zu früh von ihrer Mutter getrennt wurden, verhaltensgestört sind und unter grausamen Bedingungen in Osteuropa gezüchtet wurden.
Woran erkennt man aber einen seriösen Züchter? „Der möchte, dass man zu ihm kommt und das zu vermittelnde Tier kennenlernt“, sagt Hitzler. „Er will, dass es dem Tier im neuen Zuhause gut geht und stellt deshalb viele Fragen.“Dass Tiere im Internet ver- und gekauft werden, sieht Hitzler grundsätzlich kritisch. „Das sind komplexe Lebewesen und jedes hat einen eigenen Charakter“, sagt er. „Man muss rausfinden, ob das Tier zu einem und dem eigenen Lebensstil passt. Über das Internet geht das nicht. Und auch nicht, wenn man Tiere aus einem Kofferraum auf einem Parkplatz kauft.“
Hitzler glaubt, dass sich viele Halter während der Pandemie unüberlegt für ein Haustier entschieden hätten, oder schlicht das falsche ausgewählt haben. Und so geht in den Tierheimen die Angst vor einer anderen Corona-welle um, einer Rückgabewelle. Die Sorge ist, dass viele Tiere in den Heimen landen, wenn die Pandemie vorbei ist und die Menschen ihres neu entdeckten Hobbys überdrüssig sind. So geht es auch Hitzler: „Vor der nächsten Urlaubssaison habe ich massive Angst.“