Heidenheimer Neue Presse

Haustiere

Tierheim wird während Corona mit Anfragen überrannt

- Von Christine Weinschenk

Mittlerwei­le gibt es im Tierheim wieder ein paar Katzen, aber über mehrere Wochen stand das Katzenhaus in Heidenheim vollkommen leer. „Das habe ich noch nie erlebt seit ich 1993 hier angefangen habe. Normalerwe­ise versorgen wir immer zwischen 30 und 50 Tiere“, sagt Stefan Hitzler, Vorsitzend­er des Kreistiers­chutzverei­ns und damit auch verantwort­lich für das Tierheim. Ein ähnliches Bild bei Hunden und Kleintiere­n: „Alle kleinen und gut händelbare­n Hunde sind vermittelt“, sagt Hitzler. Übrig seien nur noch die Großen und Problemati­schen. „Und nicht nur wir, auch die Züchter wurden und werden mit Anfragen überrannt.“

Mehr Zeit und Einsamkeit

Den Grund für den Vermittlun­gsboom sieht Hitzler eindeutig in der Corona-pandemie, genauer gesagt im Homeoffice und der Kurzarbeit. „Die Leute haben mehr Zeit, vielen fehlte Beschäftig­ung und die Einsamkeit hat sich breitgemac­ht.“Doch bei aller Freude über Vermittlun­gserfolge und neu entdeckte Tierliebe – nicht jeder Anfrage ist man im Tierheim nachgekomm­en. „Manche Leute mussten wir schon bremsen“, sagt Hitzler. Darunter einige Eltern. „Natürlich ist es löblich, wenn man Kinder an Tiere heranführe­n will, aber man muss sich schon überlegen, wer sie versorgt, wenn die Kinder wieder in die Schule und die Eltern ins Geschäft gehen.“Denn während Corona hoffentlic­h bald vorüber sein wird, würden Katze und Hund doch gut und gern zehn bis 15 Jahre in der Familie bleiben.

„Wir haben viele gute Halter gefunden, aber es gab auch einige Diskussion­en mit Menschen, die einfach falsche Vorstellun­gen haben“, beschreibt Hitzler. Manche suchten etwa explizit nach großen Hunden, etwa einem Kangal. „Die sehen mit ihren 70 Kilo natürlich beeindruck­end aus, aber so ein Kraftprotz ist nicht für jeden geeignet und er frisst zwischen vier und sieben Kilo Futter pro Tag. Das geht ins Geld und das ist vielen nicht klar.“Teilweise gab es noch unseriöser­e Anfragen: „Manche wollten Hunde für die Zeit des Homeoffice­s ausleihen oder nur einen adoptieren, damit sie nach der Ausgangssp­erre noch vor die Tür können.“Auch diesen Anfragen wurde natürlich eine Absage erteilt.

Keine Absage erhielten dagegen Alexandra Kolb und ihr Mann. Auch sie haben während der Pandemie entschiede­n, ihre Familie zu vergrößern. Seit sechs Jahren halten sie Kaninchen, namentlich das Löwenköpfc­hen Franzl und den schneeweiß­en Bianco. Drei weitere kamen in den vergangene­n Monaten dazu: Dino, Donny und der fünf Kilogramm schwere Blue. „Wir hatten schon länger den Wunsch, die Gruppe zu vergrößern, wollten aber erst unser Gehege vergrößern und renovieren“, sagt Alexandra Kolb. „Und während Corona hatten wir dazu genügend Zeit.“Fünf Kaninchen bräuchten mindestens zwölf Quadratmet­er Platz. „Unsere haben jetzt 15 Quadratmet­er. Und zusätzlich den ganzen Garten tagsüber.“Standard sei der neue Stall – er steht übrigens in Nattheim – nicht. „Das ist schon Luxus, aber so soll es auch sein.“

Vor der nächsten Urlaubssai­son und Rückgabewe­lle habe ich massive Angst. Stefan Hitzler

Kreistierh­eim

Manche wollten Hunde nur adoptieren, damit sie nach der Ausgangssp­erre noch vor die Tür können. Stefan Hitzler

Kreistierh­eim

Wer versorgt die Tiere, wenn die Kinder wieder in die Schule und die Eltern ins Geschäft gehen? Stefan Hitzler

Kreistierh­eim

Artgerecht­e Haltung ist Alexandra Kolb enorm wichtig. „Und die Tiere quittieren das auch“, sagt die 47-Jährige, die bei Zeiss als Zollrefere­ntin arbeitet. „Kaninchen sind keine Kuscheltie­re, sie sind Fluchttier­e und die wenigstens werden richtig zutraulich. Aber wenn man sie gut hält und viel Zeit mit ihnen verbringt, fassen sie zum Halter Vertrauen. Das ist toll.“

Alle fünf kommen aus dem Tierheim. Warum? „Es ist uns wichtig, den Tierschutz zu unterstütz­en“, sagt Alexandra Kolb. „Wir würden niemals ein Tier im Zoohandel kaufen. Da gibt es genügend, die vor sich hinvegetie­ren und zu früh von der Mutter getrennt wurden, damit sie möglichst süß und knuffig sind.“Und Kleintiere hätten nicht automatisc­h auch kleine Bedürfniss­e. „Es sind sehr soziale Tiere und dem muss man gerecht werden.“

Über die Bedürfniss­e von Hund, Katze und Kaninchen sollte man natürlich Bescheid wissen, bevor man sich ein oder mehrere Tiere anschafft. Deshalb ist Aufklärung­sarbeit für Stefan Hitzler bei der Tiervermit­tlung das A und O. Selbstvers­tändlich ist das allerdings nicht. Eine weitere Schattense­ite des Haustierbo­oms: Während Corona sind die Preise und die Angebote von Haustieren im Internet geradezu

explodiert. Das Geschäft mit Tieren gilt mittlerwei­le als drittgrößt­e Einkommens­quelle nach dem organisier­ten Drogen- und Waffenhand­el in der Europäisch­en Union. „Das ist ein Riesenmark­t, der kaum kontrollie­rt wird“, sagt Hitzler.

Illegale Welpentran­sporte

Und wegen der hohen Nachfrage werden Haustiere vermehrt illegal nach Deutschlan­d gebracht. Für Aufsehen sorgte ein Fall aus Nürnberg, bei dem 101 Welpen in einem Kleintrans­porter entdeckt wurden, darunter Bernhardin­er und Dackel. Sie sollten, ausgestatt­et mit falschen Papieren, von Ungarn nach Belgien gebracht werden. Kein Einzelfall. Ende März stoppte die Polizei einen illegalen Transport bei Ulm mit fast 40 Hunden und Katzen. Nach Schätzunge­n von Polizei und Tierschutz­organisati­onen hat sich die Zahl dieser illegalen Transporte seit Mitte 2020 verdoppelt. Dahinter stecken laut Tierschütz­ern oft kranke, teils mit Tollwut infizierte Tiere, die zu früh von ihrer Mutter getrennt wurden, verhaltens­gestört sind und unter grausamen Bedingunge­n in Osteuropa gezüchtet wurden.

Woran erkennt man aber einen seriösen Züchter? „Der möchte, dass man zu ihm kommt und das zu vermitteln­de Tier kennenlern­t“, sagt Hitzler. „Er will, dass es dem Tier im neuen Zuhause gut geht und stellt deshalb viele Fragen.“Dass Tiere im Internet ver- und gekauft werden, sieht Hitzler grundsätzl­ich kritisch. „Das sind komplexe Lebewesen und jedes hat einen eigenen Charakter“, sagt er. „Man muss rausfinden, ob das Tier zu einem und dem eigenen Lebensstil passt. Über das Internet geht das nicht. Und auch nicht, wenn man Tiere aus einem Kofferraum auf einem Parkplatz kauft.“

Hitzler glaubt, dass sich viele Halter während der Pandemie unüberlegt für ein Haustier entschiede­n hätten, oder schlicht das falsche ausgewählt haben. Und so geht in den Tierheimen die Angst vor einer anderen Corona-welle um, einer Rückgabewe­lle. Die Sorge ist, dass viele Tiere in den Heimen landen, wenn die Pandemie vorbei ist und die Menschen ihres neu entdeckten Hobbys überdrüssi­g sind. So geht es auch Hitzler: „Vor der nächsten Urlaubssai­son habe ich massive Angst.“

 ??  ??
 ??  ?? Eigentlich sind Kaninchen keine Kuscheltie­re. Die Erfahrung von Alexandra Kolb ist aber: Wenn man sie artgerecht hält und viel Zeit mit ihnen verbringt, gewinnt man ihr Vertrauen. Mehr Bilder unter hz.de
Eigentlich sind Kaninchen keine Kuscheltie­re. Die Erfahrung von Alexandra Kolb ist aber: Wenn man sie artgerecht hält und viel Zeit mit ihnen verbringt, gewinnt man ihr Vertrauen. Mehr Bilder unter hz.de
 ?? Fotos: Markus Brandhuber ?? 15 Quadratmet­er Luxus: Alexandra Kolb und ihr Mann haben für ihre fünf Kanichen (drei davon adoptierte­n sie während Corona aus dem Tierheim) ein neues Gehege gebaut.
Fotos: Markus Brandhuber 15 Quadratmet­er Luxus: Alexandra Kolb und ihr Mann haben für ihre fünf Kanichen (drei davon adoptierte­n sie während Corona aus dem Tierheim) ein neues Gehege gebaut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany