Menschenretter in der Luft
Hilfskräfte im Dauereinsatz: Wie ein erfahrener Krisenpilot der Polizei die Katastrophe in Nordrhein-westfalen erlebt.
Seit Donnerstagnacht ist Michael Marx unterwegs. Beinahe im Dauereinsatz fliegt er mit seiner „Puma“nach Swisttal, Rheinbach und ins Ahrtal. Von seinem Hubschrauber aus kann er sehen, wie sehr das Hochwasser der Region rund um Euskirchen zugesetzt hat. Welche Vernichtung die Fluten mit sich brachten und welches Leid. „Am Freitagmorgen sind wir zum Schichtwechsel über die Erft geflogen, da sieht es echt gruselig aus“, erzählt der Polizeihauptkommissar von seinen Eindrücken. Die Erft, das ist einer dieser „kleinen Flüsschen“, wie viele der Bäche dort in der Voreifel sonst mit liebevoller Übertreibung genannt werden. Nur dass sich die Erft, die Swist, der Steinbach und wie sie sonst noch heißen durch den Dauerregen eben tatsächlich in reißende Flüsse verwandelt haben,
Michael Marx ist Ausbildungsleiter der Luftfahrerschule für den Polizeidienst bei der Bundespolizei. Am Freitag gegen 6.30 Uhr erreichten ihn die ersten Meldungen. „Häuser sind abgerutscht. Zwischen Euskirchen und Erftstadt war ein Damm gebrochen.“Sein Chef, Polizeioberrat Rüdiger Baden, stieg nach der Nachtschicht noch einmal auf und machte sich mit seiner Crew auf den Weg nach Erftstadt-blessem – der Ort, den die Fluten teilweise in eine anliegende Kiesgrube spülten. Die Fotos des Geschehens gingen um die Welt.
„Die Gebäude waren schon abgerutscht, es waren noch vier Menschen darin“, erzählt Baden. „Wir haben zwei ältere Ehepaare mit der Winde gerettet.“Welche
Angst die Menschen ausgestanden haben bevor die Retter aus der Luft zu ihnen kamen, kann sich wohl niemand ausmalen.
Im Laufe des Tages erhielten die Piloten Unterstützung aus anderen Teilen Deutschlands. Die Bundespolizei zog Hubschrauber aus Bayern, Baden-württemberg und NRW zusammen. Ihr Ziel: so viele Menschen wie möglich retten. Immer wieder holen sie Personen von Dächern, allein am Donnerstag waren es 44. Unterstützt werden die Piloten von Fliegern der Landespolizei und der Bundeswehr.
Viele der Helfer sind im Dauereinsatz. „Am Donnerstag um 0.23 Uhr war Alarmierung“, erinnert sich Marx. „Es geht ums Hochwasser, um Evakuierung entlang der Swist“, habe es geheißen. Viel mehr an Informationen gab es nicht. Seither ist der 50-Jährige in Zwölf-stunden-schichten im Einsatz. „Wir sind mit den Hubschraubern raus. Von oben haben wir wahrgenommen, dass dort alle Felder unter Wasser standen.“Nach Sonnenaufgang stiegen die „Pumas“wieder auf, waren die Aufträge klar: „Könnt ihr Leute von den Dächern holen?“
Im Hellen zeigte sich das Ausmaß der Katastrophe. „Entlang der Swist und Erft lagen Autos mitten auf den Feldern. Die sind abgetrieben worden.“Beim ersten Flug in Richtung Bad Neuenahr-ahrweiler hatte Marx dann das gesamte Ausmaß der Katastrophe immer deutlicher vor Augen. „Die Fahrbahnen der Autobahn 61 war in beiden Richtungen einfach weggebrochen. Die Autofahrer standen in kilometerlangen Staus und waren eingezwängt zwischen der eingestürzten Brücke und der überfluteten Strecke weiter hinten.“
Marx war bei vielen Hochwassereinsätzen im Einsatz, an der Oder und an der Elbe etwa. Er ist ein erfahrener Krisenpilot. So schnell kann ihn nichts schocken. Doch diese Katastrophe ist größer, auch für ihn. „Dass Äcker so großflächig überflutet werden, das habe ich in Deutschland noch nie erlebt. Das habe ich nur 2000 in Mosambik gesehen.“Bis Sonnenuntergang fliegen er und seine Kameraden durchweg, danach geht es zurück nach Hangelar.
Die Piloten schlafen am Standort, Marx auf einer Isomatte in seinem Büro. Sie sind in ständiger Bereitschaft. Erreicht sie ein Alarm, starten sie nur Minuten später. Besteht Lebensgefahr, versuchen sie, Menschen mit ihrer Seilwinde zu retten, Dunkelheit hin oder her. Neben Co-piloten und Windenführer ist ein Luftretter mit an Bord.
„Mit den Nachtsichtgeräten siehst du es überall blinken“, äußert sich Marx begeistert über die enorme Bereitschaft der Hilfskräfte. Tausende sind im Einsatz. Schwierig ist die Kommunikation, denn der Behördenfunk für Ordnung und Sicherheit ist überlastet. „Der ist am Anschlag. Wir haben auf den Hubschraubern UKW-FUNK, das funktioniert gut.“Die Aufträge kommen von der Einsatzzentrale in Sankt Augustin. Hier haben auch die Kollegen aus den anderen Bundesländern ihre Schlafplätze.
Genaue Zahlen hat Marx noch nicht, aber er schätzt, dass wohl rund 100 Bürger von der Bundespolizei und den anderen Organisationen gerettet wurden. Die Hubschrauber sind über die Dörfer geflogen und haben nach Menschen in Not Ausschau gehalten. Manche haben die Piloten weitergewunken, weil andere in noch größere Schwierigkeiten geraten waren. Viele erfahrene Flieger sind dabei, aber nicht nur. „Die Jüngeren müssen das erst verarbeiten, diese Wassermassen sehen die meisten zum ersten Mal“, so der Ausbildungsleiter. Der Einsatz wird noch dauern.