Heidenheimer Neue Presse

Abwahlrisi­ko für Rathausche­fs steigt

In den letzten acht Jahren verloren mehr Bürgermeis­ter ihr Amt. Es gibt auch mehr zweite Durchgänge.

- Alfred Wiedemann

Einmal im Amt, musste früher viel passieren, bevor ein Rathausche­f abgewählt wurde. Inzwischen kommt das öfter vor: 12,3 Prozent aller Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­ter, die seit 2019 für eine weitere Amtszeit antraten, wurden nicht mehr gewählt. 2013 bis 2015 lag die Quote bei 2,3 Prozent. „Ein deutlicher Trend“, sagt Philipp Deeg vom Verein „Mehr Demokratie“. Der Verein, der sich für mehr Bürgerbete­iligung einsetzt, hat jetzt alle Bürgermeis­terwahlen der letzen acht Jahre in Baden-württember­g ausgewerte­t.

Auch häufiger als früher ist ein zweiter Wahlgang notwendig. Im Südwesten ist der vorgeschri­eben, wenn im ersten Durchgang keiner die absolute Mehrheit schafft. Von knapp 13 Prozent 2013 stieg der Anteil auf heute 17,4 Prozent. Auffällig auch: Die CDU setzt sich seltener durch als in der Vergangenh­eit. Von 2013 bis 2015 schaffte es in 30,2 Prozent der Bürgermeis­terwahlen ein Christdemo­krat. 2019 bis Juni 2021 waren es nur noch 22,9 Prozent.

Die Grünen profitiere­n davon nicht. Auch nach zehn Jahren als Regierungs­partei bleibt ihr Anteil an den Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­tern laut „Mehr Demokratie“minimal – aktuell bei nur 0,6 Prozent. „In den letzten Jahren ist hier auch keine wesentlich­e Steigerung erkennbar“, sagt Philipp Wunder von „Mehr Demokratie“.

Parteilose Bewerberin­nen und Bewerber machen immer öfter das Rennen in den 1101 selbststän­digen Südwest-kommunen. Sie legten seit 2013 von 58 Prozent auf knapp 65 Prozent zu. Der Anteil der gewählten Frauen sank zwischen 2017 und 2019 auf den Tiefstand von 6,3 Prozent, nahm in den letzten beiden Jahren wieder zu – auf nach wie vor magere 11,5 Prozent.

Stärker unter Beobachtun­g

„Zahlen sind immer mit Vorsicht zu behandeln“, sagt Michael Makurath, Präsident des Verbands baden-württember­gischer Bürgermeis­ter zu der Analyse. Eine Studie im Auftrag des Verbands, die alle Südwest-wahlen von 2008 bis 2015 untersucht hatte, sei noch auf eine deutlich niedrige Prozentzah­l bei der Abwahl amtierende­r Rathausche­fs gekommen. „Das Risiko wächst allerdings, keine Frage“, sagt Makurath, der seit 1999 parteilose­r Oberbürger­meister in Ditzingen im Kreis Ludwigsbur­g ist.

Ein Grund dafür sei, dass das Bürgermeis­teramt wie andere Posten auch, „unter verschärft­er Beobachtun­g“stehe. Das sei aber nur ein Erklärungs­ansatz, sagt der OB. Auch die häufiger notwendige­n zweiten Wahlgänge seien „nichts Neues“und oft einer geringen Wahlbeteil­igung geschuldet. Bürgermeis­terwahlen seien immer Persönlich­keitswahle­n, deshalb müsse jede Wahl vorort genau analysiert werden. „Dass es einen allgemeine­n Trend gibt, so nach dem Motto ‚Der Alte muss weg‘“, sagt Makurath, „das sehe ich nicht“.

Der Verein „Mehr Demokratie“wirbt für ein neues Wahlrecht. Mit der „integriert­en Stichwahl“könnten Vorlieben viel differenzi­erter gezeigt werden, ein zweiter Durchgang entfalle, sagt Deeg. Bei der integriert­en Stichwahl hat man nicht nur eine Stimme, sondern nummeriert die Kandidiere­nden zugleich durch – nach persönlich­er Vorliebe. Ein zweiter Wahlgang ist dann nicht notwendig, weil durch die Rangfolge ermittelt werden kann, wer die größte Mehrheit hinter sich hat.

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