Heidenheimer Neue Presse

Schutzort, nicht Tatort

Die Diözese Rottenburg-stuttgart verpflicht­et alle 1020 Kirchengem­einden zu einem verbindlic­hen Schutzkonz­ept für Kinder und Jugendlich­e.

- Von Elisabeth Zoll

Meist sind es scheinbare Kleinigkei­ten, die für große Verunsiche­rung sorgen. War die Umarmung, mit der ein Jugendleit­er ein weinendes Kind getröstet hat, angemessen oder bereits eine Grenzverle­tzung? War das überrasche­nde Fotoshooti­ng im Ferienlage­r spontan oder steckte voyeuristi­sche Absicht dahinter? Viele Kontakte zwischen jungen Menschen und Erwachsene­n spielen sich in einem Grenzberei­ch ab. Das macht eine Bewertung so schwierig.

„Nicht jedes merkwürdig­e Verhalten muss ein Missbrauch sein“, sagt Sabine Hesse, die Leiterin der Stabstelle Prävention bei der Diözese Rottenburg-stuttgart. Aber es gelte rechtzeiti­g zu erkennen, wenn ein Erwachsene­r Übles im Sinn habe. Potenziell­e Täter steigerten Grenzübert­ritte nach und nach. Zum Beispiel, wenn sie merkten, dass sich ein Kind nicht wehren könne. Dieser Täterstrat­egie gelte es, einen Riegel vorzuschie­ben.

Deshalb hat die Diözese Rottenburg-suttgart ein neues Muster-schutzkonz­ept auf den Weg gebracht. Es steht nun allen 1020 Gemeinden der Diözese dem Dekanat und kirchliche­n Vereinen zur Verfügung. Bis spätestens Ende 2023 müssen alle kirchliche­n Einrichtun­gen und Verbände

ein eigenes Schutzkonz­ept haben, beziehungs­weise bis Ende 2024 ein bestehende­s Konzept auf nun formuliert­e Anforderun­gen hin überprüfen lassen.

Das klingt nach langsamem Handeln. Ist aber nicht so. Bereits seit 2015 gilt in der Diözese eine verbindlic­he Prävention­sordnung. Mit ihr wurden die Gemeinden aufgeforde­rt, sich mit Prävention und Schutzkonz­epten für Kinder und Jugendlich­e auseinande­rzusetzen. Manches wurde in die Wege geleitet, häufig die Forderung nach einem erweiterte­n Führungsze­ugnis für neue kirchliche Mitarbeite­r oder Menschen im Ehrenamt. Anderes blieb offen.

Das neue Schutzkonz­ept wurde zwischen 2016 und 2019 in drei Seelsorgee­inheiten entwickelt, unter anderem in Illerweihu­ng bei Ulm. Dort beschriebe­n Jugendlich­e mit einer Art „Verhaltens­ampel“, welche Form von Kontakt für sie in Ordnung ist (grün), was zweifelhaf­t ist (gelb), und was auf keinen Fall geht (rot).

Mobbing gehört zu letzterem, Fremde umarmen, ungefragte­s Fotografie­ren, aber auch Hilfen beim Überziehen der Ministrant­enkleidung.

Die Anregungen sind in das Schutzkonz­ept eingefloss­en. Für die Umsetzung vor Ort verantwort­lich sind der Pfarrer und der Kirchengem­einderat. Spätestens alle fünf Jahre werden die Vorgaben vom zuständige­n Dekan in der Visitation überprüft.

„Die verbindlic­he Vorlage soll eine Hilfestell­ung für die Gemeinden sein“, verdeutlic­ht Sabine Hesse. Die Theologin und Pädagogin leitet seit Dezember 2012 die Stabsstell­e Kinder- und Jugendschu­tz. Denn vorort waren Unsicherhe­iten oftmals groß. Wie vermittelt man einem ehrenamtli­chen Helfer, dass er zu seinem Engagement sich noch einer Prävention­sschulung unterziehe­n muss? Und wie erklärt man Ehrenamtli­chen die Notwendigk­eit eines erweiterte­n Führungsze­ugnisse, ohne dass dies als Misstrauen­svotum gedeutet wird?

Sabine Hesse ist sich sicher: „Je intensiver man sich selbst mit der Thematik befasst, desto leichter wird es, andere zu überzeugen.“Und desto eher könne man über Grenzverle­tzungen sprechen und Jugendlich­en ein vertrauens­würdiger Ansprechpa­rtner werden.

Die verbindlic­he Vorlage soll eine Hilfestell­ung für die Gemeinden sein. Sabine Hesse

Prävention­sbeauftrag­te

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Foto: Wolfgang Schmidt Sabine Hesse, Prävention­sbeauftrag­te der Diözese.

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