Schutzort, nicht Tatort
Die Diözese Rottenburg-stuttgart verpflichtet alle 1020 Kirchengemeinden zu einem verbindlichen Schutzkonzept für Kinder und Jugendliche.
Meist sind es scheinbare Kleinigkeiten, die für große Verunsicherung sorgen. War die Umarmung, mit der ein Jugendleiter ein weinendes Kind getröstet hat, angemessen oder bereits eine Grenzverletzung? War das überraschende Fotoshooting im Ferienlager spontan oder steckte voyeuristische Absicht dahinter? Viele Kontakte zwischen jungen Menschen und Erwachsenen spielen sich in einem Grenzbereich ab. Das macht eine Bewertung so schwierig.
„Nicht jedes merkwürdige Verhalten muss ein Missbrauch sein“, sagt Sabine Hesse, die Leiterin der Stabstelle Prävention bei der Diözese Rottenburg-stuttgart. Aber es gelte rechtzeitig zu erkennen, wenn ein Erwachsener Übles im Sinn habe. Potenzielle Täter steigerten Grenzübertritte nach und nach. Zum Beispiel, wenn sie merkten, dass sich ein Kind nicht wehren könne. Dieser Täterstrategie gelte es, einen Riegel vorzuschieben.
Deshalb hat die Diözese Rottenburg-suttgart ein neues Muster-schutzkonzept auf den Weg gebracht. Es steht nun allen 1020 Gemeinden der Diözese dem Dekanat und kirchlichen Vereinen zur Verfügung. Bis spätestens Ende 2023 müssen alle kirchlichen Einrichtungen und Verbände
ein eigenes Schutzkonzept haben, beziehungsweise bis Ende 2024 ein bestehendes Konzept auf nun formulierte Anforderungen hin überprüfen lassen.
Das klingt nach langsamem Handeln. Ist aber nicht so. Bereits seit 2015 gilt in der Diözese eine verbindliche Präventionsordnung. Mit ihr wurden die Gemeinden aufgefordert, sich mit Prävention und Schutzkonzepten für Kinder und Jugendliche auseinanderzusetzen. Manches wurde in die Wege geleitet, häufig die Forderung nach einem erweiterten Führungszeugnis für neue kirchliche Mitarbeiter oder Menschen im Ehrenamt. Anderes blieb offen.
Das neue Schutzkonzept wurde zwischen 2016 und 2019 in drei Seelsorgeeinheiten entwickelt, unter anderem in Illerweihung bei Ulm. Dort beschrieben Jugendliche mit einer Art „Verhaltensampel“, welche Form von Kontakt für sie in Ordnung ist (grün), was zweifelhaft ist (gelb), und was auf keinen Fall geht (rot).
Mobbing gehört zu letzterem, Fremde umarmen, ungefragtes Fotografieren, aber auch Hilfen beim Überziehen der Ministrantenkleidung.
Die Anregungen sind in das Schutzkonzept eingeflossen. Für die Umsetzung vor Ort verantwortlich sind der Pfarrer und der Kirchengemeinderat. Spätestens alle fünf Jahre werden die Vorgaben vom zuständigen Dekan in der Visitation überprüft.
„Die verbindliche Vorlage soll eine Hilfestellung für die Gemeinden sein“, verdeutlicht Sabine Hesse. Die Theologin und Pädagogin leitet seit Dezember 2012 die Stabsstelle Kinder- und Jugendschutz. Denn vorort waren Unsicherheiten oftmals groß. Wie vermittelt man einem ehrenamtlichen Helfer, dass er zu seinem Engagement sich noch einer Präventionsschulung unterziehen muss? Und wie erklärt man Ehrenamtlichen die Notwendigkeit eines erweiterten Führungszeugnisse, ohne dass dies als Misstrauensvotum gedeutet wird?
Sabine Hesse ist sich sicher: „Je intensiver man sich selbst mit der Thematik befasst, desto leichter wird es, andere zu überzeugen.“Und desto eher könne man über Grenzverletzungen sprechen und Jugendlichen ein vertrauenswürdiger Ansprechpartner werden.
Die verbindliche Vorlage soll eine Hilfestellung für die Gemeinden sein. Sabine Hesse
Präventionsbeauftragte