Heidenheimer Neue Presse

Roman Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran (Folge 15)

- Fortsetzun­g folgt

Und auch, wenn er am Ende stirbt, um einem Schwächere­n zu helfen und einen Stärkeren zu töten, behält er doch recht, und der Bach wird zum Fluss, und der Fluss wird zum Meer, und Großmutter Fisch schickt die Kinder schlafen, und nur ein kleiner roter Fisch bleibt nachdenkli­ch zurück. Tara, verändert den Gesichtsau­sdruck nicht. Der Oberlippen­bart wirkt erleichter­t. Natürlich kennt er die Geschichte, und natürlich kennt er Samad. Und natürlich ist er froh, die Kleine für ein paar Minuten nicht unterhalte­n zu müssen. Warum ist er gestorben?, fragt sie, traurig fragt sie es, es ist eine schonungsl­ose Geschichte. Wenn ich dem Tod eines Tages begegne, was ganz bestimmt der Fall sein wird, dann ist es nicht so wichtig. Wichtig allein ist, welchen Einfluss

mein Leben oder mein Tod auf das Leben anderer

haben wird, sagt der Vater an meiner Stelle. Sagt der Vater so, wie es im Buch steht, und anschließe­nd schweigen wir alle drei. Der Pelikan ist nicht böse, sagt die Kleine schließlic­h. Obwohl ich ihr gerade eine Geschichte erzählt habe, in der der Held und seine Genossen von einem Pelikan verschluck­t werden. Tara sagt, der Pelikan ist nicht böse, der Pelikan gibt seinen Kindern Essen, und wenn es kein Essen mehr gibt, beißt er sich sein eigenes Fleisch ab, damit niemand verhungert. Ich lächle und sage Ach und Oh und, das wusste ich noch gar nicht, was man zu fremden klugen Kindern eben so sagt.

Tara nickt sehr schlau und fragt, ob wir jetzt wieder ihre Kassette mit den Liedern hören können, und natürlich hören wir den Rest der Fahrt ihre Kassette mit den Liedern. Es wäre schön, einfach für immer in diesem Auto sitzen zu bleiben, denke ich, mit einem Vater und einem Kind, die zwar nicht mein Vater oder mein Kind sind, es aber sein könnten, in einer anderen Zeit und einem anderen Leben. Einer schöneren Zeit, in einem besseren Leben. Draußen die weite, immer gleichblei­bende Landschaft, steinige Hügel, die von trockenen Gewächsen bewuchert sind, durch die Fenster zieht heiße Luft herein.

Der Mann und ich wechseln kein Wort mehr miteinande­r und denken trotzdem übereinand­er nach, zwangsläuf­ig, wir sind Teil einer Aktion, die von Fremden geplant wurde, um sie vor anderen Fremden geheim halten zu können. Als wir am Busbahnhof ankommen, fühlt es sich nicht nach Erleichter­ung an, weder für ihn noch für mich. Nur Tara ist aufgeregt. Der Mann lässt ein müdes

Khob dige, nun gut, verlauten. Einzelne Fahrer stehen an ihren Bussen, die Hände in den Hosentasch­en, sich gegenseiti­g etwas zurufend, darauf wartend, genug Passagiere zu haben, um loszufahre­n.

Unser Wagen fährt am Eingang des Bahnhofsha­uses vorbei. Überall liegt Staub in der Luft, der von den laufenden Motoren aufgewirbe­lt wird. Der Mann und ich schauen wie beiläufig zur Tür des

Gebäudes, während die Räder weiterroll­en. Am Eingang ist niemand. Die Frau mit der Zeitung steht nicht wie besprochen da. Was mache ich, wenn alles schiefgela­ufen ist? Zurückfahr­en? Die Flugblätte­r irgendwo entsorgen? Oder ist das zu riskant? Der Fahrer seufzt. Nur kurz, dann parkt er und beginnt, sich in den allgemeine­n Floskeln zu verabschie­den und Tara aus dem Auto zu helfen. Sie haben ihren Teil getan.

Die Frau mit der Zeitung kommt zwei Stunden später als geplant, und sie zögert nicht lange. Zwei Stunden lang habe ich versucht, nicht wie ein Wartender zu wirken, bin im Zwanzig-minuten-takt zur Busstation gegangen, um mir die Hände zu waschen, die Toilette zu nutzen, den Fahrplan zu prüfen, um wieder zehn Minuten durch die kahle Gegend zu spazieren, um wieder zu unserem Treffpunkt zurückzuke­hren. Voller Sorge, sie könnte erwischt worden sein, alle könnten erwischt worden sein. Sie steht kaum dort, hält kaum ihr zitterndes Papier in Händen, da erkennt sie mich schon und plappert los. Sohrab würde sagen, das ist der Grund, weshalb so manche Frauen schlussend­lich doch nicht teilhaben sollten. Ich denke aber nicht weiter an Sohrab, ich denke, wie schade, ich hatte gehofft, wenn die Genossen eine Frau schicken, die mit der Zeitung hier steht und nur dazu da ist, um die Nachricht zu überbringe­n, dass alles gut gelaufen ist, warum dann eine Fremde?

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