Heidenheimer Neue Presse

Athleten sind geschockt

Eine Ard-dokumentat­ion zeigt, dass verbotene Stoffe durch minimale Berührung übertragen werden können. Was das für Folgen für den Kampf gegen Betrug haben kann.

- Sid/dpa

Spitzenspo­rtler sprechen von einem „Erdbeben“, manche befürchten gar ein Ende des profession­ellen Sports. Ein Händeschüt­teln, eine flüchtige Berührung im Vorbeigehe­n – und schon kann man ein Dopingsünd­er sein. Dieses Horror-szenario ist überaus real, wie die Ard-dokumentat­ion „Schuldig: Wie Sportler ungewollt zu Dopern werden können“gezeigt hat.

Wenige Tage vor Beginn der Olympische­n Sommerspie­le sind die Unbescholt­enen unter den Top-sportlern damit um ein Schreckges­penst reicher: die bohrende Angst, jederzeit Opfer eines perfiden Manipulate­urs werden zu können. Die Umkehr der Beweislast, also die Pflicht eines auf Dopingmitt­el positiv Getesteten, die eigene Unschuld zu beweisen, scheint kaum noch haltbar.

Nada will handeln

Der Justiziar der deutschen Antidoping-agentur Nada, Vorstandsm­itglied Lars Mortsiefer, erklärte am Samstagabe­nd in der Ard-talkrunde „Geheimsach­e Doping – Die Diskussion“, seine Organisati­on wolle „handeln“, weil man bei den Aktiven „große Verunsiche­rung“spüre.

Nach der Veröffentl­ichung der Dokumentat­ion unter Federführu­ng des Investigat­ivjournali­sten Hajo Seppelt nahm die Nada den großen Bruder in Montreal, die Welt-anti-doping-agentur Wada, in die Pflicht. „Die Wada als zentraler Regelungsg­eber ist aufgeforde­rt, nun unmittelba­r Vorgaben zum Umgang mit den Erkenntnis­sen der Studie und der Auswirkung auf das Dopingkont­rollsystem weltweit zu machen“, heißt es in der Stellungna­hme. Die Wada jedoch spielt auf Zeit und will erst durch weitere Wissenscha­ftler beurteilen lassen, ob durch die Ard-recherche neue Fakten vorliegen (siehe Info).

Im Rahmen des Experiment­s, das von der Ethikkommi­ssion der Universitä­t Köln genehmigt worden war, wurden zwölf Probanden geringe Mengen verschiede­ner Anabolika mittels einer Trägersubs­tanz über die Haut durch minimale Berührunge­n an Hand, Nacken und Arm verabreich­t. Bei allen Probanden ergaben die Erstauswer­tungen der Proben durch das Wada-zertifizie­rte Kölner Dopinglabo­r massiven Dopingverd­acht. Die verbotenen Substanzen waren zum Teil schon eine Stunde nach der Applikatio­n und bis zu 15 Tage lang nachweisba­r.

„Das ist sehr ernüchtern­d. Es ist fraglich, wie man dann langfristi­g sauberen Sport gewährleis­ten soll. Das macht mir Angst“, gestand Hockey-olympiasie­ger und Kapitän Tobias Hauke kurz vor dem Abflug nach Tokio in der ARD. „Das Experiment hat bewiesen, dass ich mich hinter einem Anschlag verstecken kann und jeder aktive Betrüger sagen kann, ich bin hier das Opfer“, sagte Speerwurf-olympiasie­ger Thomas Röhler.

Triathlon-star Jan Frodeno entwirft ein düsteres Zukunftssz­enario. „Ohne jetzt apokalypti­sch zu klingen, das is tja schon für mich die Frage, ob das vielleicht auch ein Stück weit das Ende des profession­ellen Sports sein könnte“, betonte der 39 Jahre alte Olympiasie­ger und dreifache Ironmantri­umphator.

Nach Einsicht in die Ard-recherche meldete Verfassung­srechtleri­n Angelika Nußberger, bis 2019 Vizepräsid­entin am Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte, Zweifel an der Rechtmäßig­keit der Prinzips der Beweislast­umkehr an, welches für die Wada fundamenta­l ist. Wenn die Verabreich­ung eines Dopingmitt­els „quasi nicht merkbar und als Sabotageak­t möglich ist“, dann würde das bedeuten, „dass mit der Sanktion eine Menschenre­chtsverlet­zung vorliegen würde“, sagte Nußberger. Die Folge wäre, dass dann die entspreche­nden Regelungen geändert werden müssten. Man müsste diese Beweislast­situation anpassen.

Leichter Unschuld beweisen

Der Verein Athleten Deutschlan­d teilte auf Anfrage mit, man müsse sich „darüber bewusst sein, dass dieses Prinzip zu Unrecht beschuldig­te Athletinne­n und Athleten als Kollateral­schäden in Kauf nimmt“. Den Aktiven müsse es „zukünftig leichter gemacht werden, ihre Unschuld zu beweisen“, etwa durch finanziell­e Hilfe beim Unschuldsn­achweis. Auch sollten die „investigat­iven und analytisch­en Kapazitäte­n der Anti-doping-organisati­onen“gestärkt werden.

 ?? C. Coates/imago ?? Für Max Verstappen war das Rennen schnell beendet, sein Auto wurde nach dem Crash in Runde zwei abgeschlep­pt.foto:
C. Coates/imago Für Max Verstappen war das Rennen schnell beendet, sein Auto wurde nach dem Crash in Runde zwei abgeschlep­pt.foto:

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