Die Frage der Auffrischung
In Deutschland will die Bundesregierung den englischen Weg nicht gehen. Vielmehr wird hierzulande diskutiert, wie die Bevölkerung am besten vor Mutationen geschützt werden kann.
Die Regierung in London hat für England den „Tag der Freiheit“ausgerufen – nahezu alle Corona-beschränkungen sind seit Montag weggefallen. In Deutschland sind Corona-zahlen immer noch vergleichsweise niedrig, doch viele Experten raten vor einer Öffnung wie in Großbritannien ab. Spd-gesundheitspolitiker Karl Lauterbach findet das englische Vorgehen „voll verantwortungslos“.
Das Problem ist, dass auch in Deutschland mittlerweile die zuerst in Indien aufgetauchte Delta-variante des Virus dominiert. Nach der letzten offiziellen Zahl des Robert-koch-instituts, die sich auf Anfang Juli bezieht, erreicht Delta einen Anteil von 74 Prozent an den untersuchten Proben. Die aktuelle Zahl dürfte noch höher liegen. Und diese Mutante ist nicht nur viel ansteckender, sie kann das menschliche Immunsystem auch besser austricksen. Eine Folge: Vor längerer Zeit Genesene oder auch nur einmal Geimpfte können sich anstecken und erkranken.
Der Immunologe Carsten Watzl von der TU Dortmund, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, warnt, Delta sei „besonders gut darin“, Menschen mit nicht vollständigem Impfschutz zu infizieren. Und: Zwar sind die bisher zugelassenen Vakzine nach vollständiger Impfstoffgabe auch gegen Delta wirksam, aber nicht mehr so sehr wie gegen die vorherigen Varianten. Zudem zeigen Studien aus England und Israel, dass Menschen mit Vorerkrankungen wie etwa Bluthochdruckpatienten, Diabetiker oder Nierenkranke trotz kompletter Impfung durch Delta schwer erkranken oder gar sterben können.
Mittlerweile wurde von den indischen Behörden eine „Delta Plus“-variante registriert. Diese sei durch eine weitere Mutation noch ansteckender und binde sich stärker an Lungenzellen. Dabei dürfte es nicht bleiben. Das Virus werde sich durch Mutationen so anpassen, dass es in Teilen der geimpften Bevölkerung eine Infektion auslösen kann, meint der Virologe Jochen Wettengel von der TU München. Bundesärztekammer-präsident Klaus Reinhardt hält denn auch eine baldige Auffrischungsimpfung für besonders Gefährdete für nötig. Er fordert deshalb, schon heute mobile Impfteams für Alten- und Pflegeheime aufzustellen.
Biontech und sein Us-partner Pfizer haben mitgeteilt, dass sie angesichts einer nachlassenden Immunität bei Geimpften eine Zulassung für eine Auffrischungsimpfung im August beantragen wollen, die nach sechs bis zwölf Monaten gegeben werde solle.
Eine dritte Spritze könne „von Vorteil sein, um das höchste Schutzniveau aufrechtzuerhalten“. Biontech arbeitet derzeit zudem an einem Impfstoff, der speziell vor Delta schützen soll.
In den kommenden Wochen will auch Novavax sein Vakzin offiziell zur Zulassung anmelden, das sehr gute Wirksamkeitswerte vorweisen kann. Die dabei verwandte Technologie unterscheidet sich sowohl von den mrnaprodukten von Biontech oder Moderna als auch von den Vektorimpfstoffen von Astrazeneca
oder Johnson & Johnson. Für Kathleen Neuzil, Professorin für Vakzinologie an der Universität von Maryland, ist das proteinbasierte Novavax gerade auch als Auffrischungsimpfung geeignet.
Deutschland hat schon einmal für das Jahr 2022 mehr als 16 Millionen Novavax-dosen bestellt. Man bereite sich darauf vor, so Regierungssprecher Steffen Seibert, genügend Impfstoff zur Auffrischung zur Verfügung zu haben. Wie schnell eine dritte Impfung nötig sein könnte, sei aber noch unklar, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Auch die Frage, ob eine Auffrischung generell, für bestimmte Risikogruppen oder bei bestimmten Impfstoffen nötig sein wird, müsse noch geklärt werden, so Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).