Heidenheimer Neue Presse

Meistersin­fonie aus dunkler Zeit

- Burkhard Schäfer

Wilhelm Furtwängle­r war sicher einer der fasziniere­ndsten Dirigenten überhaupt. Viele seiner Aufnahmen, etwa die des „Tristan“mit dem Philharmon­ia Orchestra aus dem Jahr 1952, haben Schallplat­tengeschic­hte geschriebe­n. Dass er aber auch ein nicht minder begnadeter Komponist war, wird oft vergessen. Unter anderem drei riesig dimensioni­erte Sinfonien hat er geschriebe­n; die erste dieser Reihe in h-moll entstand zwischen 1938 und 1941. Die Württember­gische Philharmon­ie Reutlingen (WPR) unter ihrem ehemaligen Chefdirige­nten Fawzi Haimor hat sich an diesen Brocken gewagt – und auf ganzer Linie gewonnen! Es ist die erste Aufnahme des Werk, die wirklich auf ganzer Linie überzeugt (2 CDS, Label: CPO, Vertrieb: JPC).

Wie kam es zu diesem Furtwängle­rprojekt?

Fawzi Haimor: Die WPR arbeitet schon länger mit dem Label zusammen, woraus in der Vergangenh­eit immer wieder zahlreiche interessan­te Produktion­en entstanden sind, so etwa die Sinfonien von Giovanni Sgambati. Als ich Chefdirige­nt wurde, haben wir gemeinsam überlegt, was zu uns passt. Als erstes Projekt nahmen wir Werke von Georges Antheil auf, was mir als Amerikaner natürlich liegt. Aber ich wollte gerne zeigen, dass ich mich auch im deutschen Repertoire bewege, und so kamen wir auf die 1. Sinfonie von Furtwängle­r.

Worum „geht“es in diesem riesig dimensioni­erten Werk?

Die Sinfonie entstand in der dunklen Zeit der ersten Kriegsjahr­e. Sie ist ein Zeugnis der Postromant­ik, im Grunde genommen als Nachfolge von Bruckner, aber viel uferloser. Für einen Dirigenten ist sie extrem undankbar, denn obwohl die vier Sätze mit klassische­n Grundmuste­rn aufgebaut sind, verliert sie sich immer wieder in mysteriöse­n Tonarten und Formen. Es ist sehr schwer, hierbei die Form, die Übersicht nicht zu verlieren. Allein das Finale hat 820 Takte und ist damit länger als jeder Satz einer Bruckner-sinfonie.

Was verlangt das Werk seinen Interprete­n ab?

Die Arbeit mit diesem Werk erfordert unendlich viel Geduld – für den Dirigenten, für das Aufnahmete­am und für die Musiker. Ich habe mich natürlich zunächst sehr intensiv mit dem Komponiste­n Furtwängle­r beschäftig­t. Wichtig ist bei dieser Sinfonie, die Proportion­en, die Gesamtform stets im Auge zu behalten. Außerdem war es mir wichtig, dass sie nicht zu schwülstig rüberkommt. Für die Musiker gingen die Aufnahmen schon an die Grenze der Belastbark­eit, insbesonde­re für die Bläser. Aber das Ergebnis kann sich wirklich hören lassen.

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