Heidenheimer Neue Presse

Chance für jüdische Stätten

Mauern und Grabsteine zeugen vom früheren Glanz der mittelalte­rlichen Schumgemei­nden. 900 Jahre nach der Blütezeit könnten sie es auf die Unesco-liste schaffen.

- Anna Fries

Speyer, Worms und Mainz – zieht man die Anfangsbuc­hstaben der drei mittelalte­rlichen hebräische­n Städtename­n zusammen, kommt „SCHUM“dabei heraus. Das Akronym erschließt Juden auf der ganzen Welt einen Kosmos an Geschichte­n, Regeln und Traditione­n. Die drei Gemeinden schlossen sich um 1200 zusammen und prägten Kultur, Glaube, Rechtsprec­hung, Architektu­r und Gemeindele­ben des west- und mitteleuro­päischen Judentums. Heute erinnern Teile mittelalte­rlicher Synagogen, Ritualbäde­r, Gemeindehä­user, Grabsteine sowie unzählige Geschichte­n an die frühere Blütezeit und laden ein zu einer Zeitreise ins „Jerusalem am Rhein“.

Von der Unesco könnten die Schum-gemeinden nun in die Liste des Welterbes aufgenomme­n werden. Für diese Auszeichnu­ng muss ein Gut von „außergewöh­nlichem universell­en Wert“sein. Der Speyerer Schum-koordinato­r Matthias Nowack sieht dafür gute Chancen: „Die Gemeinden waren im Mittelalte­r so etwas wie das Silicon Valley für die religiöse Entwicklun­g des aschkenasi­schen Judentums“, sagt er. Manche Gesetze oder Lehren berühmter Rabbiner von damals spielen noch heute eine Rolle.

Während der Synagogenk­omplex in Speyer am ehesten einem Freilichtm­useum ähnelt, wirkt der Gedenkfrie­dhof in Mainz wie ein verwunsche­ner Ort aus anderer Zeit, verbindet Worms am stärksten Tradition und gelebtes Judentum. Dazu warten je eigene

Superlativ­e auf: Worms mit dem ältesten jüdischen Friedhof Europas „Heiliger Sand“, Speyer mit der am besten erhaltenen mittelalte­rlichen Mikwe, Synagoge und Frauenschu­le, Mainz mit einem einzigarti­gen Gedenkfrie­dhof.

In Mainz lassen sich Spuren einer jüdischen Gemeinde bis ins 10. Jahrhunder­t rekonstrui­eren. In Speyer siedelte Bischof Huzmann 1084 eine jüdische Gemeinde an – um das Ansehen seiner Stadt zu mehren. „Juden waren europaweit vernetzt, gebildet und lockten Baumeister und Gelehrte in die Stadt“, sagt Nowack. Die enge Verbindung zwischen Bischof und jüdischer Gemeinde zeigt sich auch in der Architektu­r. So ähneln Kapitelle an der Mikwe Verzierung­en am Speyerer Dom, da wohl an beiden Gebäuden die gleichen Handwerker arbeiteten.

Aus Schutt geborgen

In Worms hingegen verbinden sich Vergangenh­eit und Gegenwart. „Worms ist bis heute ein Ort, an dem sich Jüdinnen und Juden immer wieder neu verorten“, betont die Geschäftsf­ührerin des Schum-vereins, Susanne Urban. Dort stand ab 1034 nachweisli­ch eine Synagoge, die mehrfach zerstört – zuletzt 1938 von den Nationalso­zialisten – und wieder aufgebaut wurde. Rund ein Drittel der Steine sind original aus dem Schutt geborgen. Worms verstehe sich daher auch als „ein Ort jüdischer Resilienz, des Ankommens und der Verwurzelu­ng, der zeigt, dass nicht immer alles auf ewig zerstört bleibt“, sagt Urban.

Davon zeugen auch zahlreiche Geschichte­n rund um das jüdische Worms, die von Wundern und Überlebend­en erzählen, von zurückweic­henden Mauern, schnattern­den Gänsen oder Lindwürmer­n, die Juden in wichtigen Momenten beistanden, sagt Urban. Viele Erzählunge­n ranken sich um Rabbi Salomo ben Isaak, genannt „Raschi“, dessen Bibelkomme­ntar im Judentum als ein Standardwe­rk gilt.

Als „offenes Geschichts­buch“zeugen rund 2500 sichtbare Grabsteine auf dem „Heiliger Sand“vom Leben der Gemeinde. Die Gräber sind mit Ausnahme eines Steins nicht, wie im Judentum üblich, nach Jerusalem ausgericht­et, sondern zum Synagogenb­ezirk und Italien – Richtung „Jerusalem am Rhein und dem Land der Gründervät­er“, sagt Urban. Papierzett­el oder Blechkäste­n für Kerzen an manchen Grabsteine­n weisen auf die Gräber berühmter Gelehrter hin, etwa des Rabbi Meir von Rothenburg.

Ebenso lässt der einzigarti­ge Denkmalfri­edhof, den die jüdische Gemeinde Mainz 1926 anlegte, die wechselvol­le Geschichte der Juden in der Region erahnen. Dort ruhen rund 200 Steine, die verbaut in Brücken, Türmen oder Mauern gefunden wurden – darunter Grabsteine berühmter Rabbiner und der wohl älteste jüdische Grabstein nördlich der Alpen, datiert auf das Jahr 1049. Die Zeugnisse der Schum-gemeinden erinnern nicht nur an die mittelalte­rlichen Gemeinden, sondern sind Hinweise auf Brüche und Traditione­n und werfen einen Blick die Geschichte des Judentums in Deutschlan­d.

 ?? Foto: epd-bild/thomas Lohnes / Imago ?? Judenhof in Speyer mit seiner 900 Jahre alten Mikwe – dem jüdischen Ritualbad. Mainz, Worms und Speyer am Rhein waren im Mittelalte­r Zentren jüdischer Kultur und Gelehrsamk­eit.
Foto: epd-bild/thomas Lohnes / Imago Judenhof in Speyer mit seiner 900 Jahre alten Mikwe – dem jüdischen Ritualbad. Mainz, Worms und Speyer am Rhein waren im Mittelalte­r Zentren jüdischer Kultur und Gelehrsamk­eit.
 ??  ?? Grabsteine auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Mainz.
Grabsteine auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Mainz.

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