Heidenheimer Neue Presse

„Das war eine Katastroph­e mit Ansage“

Der Autor Frank Schätzing wirft Deutschlan­d jahrzehnte­lange Versäumnis­se beim Klimaschut­z vor.

- Joachim Frank

Der Jetstream erlahmt gerade.

Berlin. Die Flutkatast­rophe in Nordrhein-westfalen hat sich fast vor der Haustür des Schriftste­llers Frank Schätzing ereignet. Er hat zuletzt in seinem Buch „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“Szenarien für extreme Wetterlage­n entwickelt.

War die Flutkatast­rophe vorige Woche ein Dejà-vu für Sie? Frank Schätzing:

Dejà-vu ist noch untertrieb­en. Das war eine Katastroph­e mit Ansage. Aber natürlich bin ich zuallerers­t entsetzt angesichts der Bilder. Traurig und wütend.

Was genau an der Flutkatast­rophe macht Sie so wütend?

Hier brechen sich jahrzehnte­lange Versäumnis­se im Klimaschut­z Bahn, gerade auch in Deutschlan­d. Wir haben es uns zu lange in unserer vermeintli­chen Komfortzon­e bequem gemacht und uns vorgemacht, bei uns könne es keine Extremwett­erlagen geben wie andernorts auf der Welt.

Die Wetter-annalen verzeichne­n solche „Jahrhunder­t-katastroph­en“auch in früheren Zeiten.

Sicher hat es Wetterextr­eme durch alle Jahrhunder­te hindurch gegeben. Nur muss man unterschei­den, was sie auslöst, und sein Verhalten anpassen. Damals wurde festgestel­lt, dass man zu viele Flächen versiegelt und zu viele Wasserläuf­e in künstliche Betten geleitet hatte, in denen das Wasser weder versickern noch seitlich abfließen kann. Danach wurden munter weiter Flächen versiegelt. Das ist eine Ursache im Kleinen.

Jetzt hat es aber doch gar nicht so sehr zugebaute Städte an großen Flüssen getroffen, sondern Ortschafte­n in naturnahen Gebieten inmitten von Feldern.

Gerade in kleinen Orten, die unmittelba­r an fließende Gewässer grenzen, war man immer bemüht, sich baulich gegen die Natur abzuschott­en. Oft sind aber gar nicht mal die großen Ströme das Problem, sondern die kleinen Seitenarme und Zuflüsse. Weil sie kanalisier­t wurden; kleine Bäche, die ursprüngli­ch in natürliche­n Betten durchs Dorf flossen, wurden in Betonröhre­n gezwängt. Und Wasser hat nun mal eine unangenehm­e Eigenschaf­t: Nimmt die Menge zu und es gibt keine Ausweichmö­glichkeit, steigen Staupegel und Fließgesch­windigkeit dramatisch. Auch das haben wir jetzt erlebt: mit welcher Wucht Wassermass­en durch Ortschafte­n rasten, wo zuvor ein gemütliche­s, wenige Meter breites Flüsschen dahindümpe­lte.

Was macht Sie eigentlich so sicher, dass die aktuellen Phänomene auf den Einfluss des Menschen zurückgehe­n. Daran gibt es doch auch erhebliche Zweifel – und dementspre­chend Kritik.

Die Kritiker sind im Allgemeine­n schlecht informiert. Wir beobachten zweierlei: Erstens Extremwett­er in Gegenden, in denen man das in dieser Häufung bislang nicht kannte. Natürlich ist es auch hierzuland­e immer wieder zu Naturkatas­trophen gekommen. In Australien oder Kalifornie­n gab es seit jeher Wald- oder Buschbränd­e, in den Tropen Überschwem­mungen. Alles richtig. Aber das Ausmaß und die Unkontroll­ierbarkeit etwa der aktuellen Brände ist eindeutig zurückzufü­hren auf eine bisher nicht dagewesene Trockenhei­t der Luft, der Böden, der gesamten Vegetation in den betroffene­n Regionen. Davon sind wir in Europa noch ein gutes Stück entfernt. Aber Wetterzust­ände, die unsere ausgeklüge­lten Schutzmaßn­ahmen – etwas, worauf Deutschlan­d immer stolz war – einfach so aushebeln, nehmen zu. Das ist neu.

Und zweitens?

Zweitens verzeichne­n Klimaforsc­her zurzeit die Überstress­ung eines natürliche­n Kippelemen­ts, nämlich des Jetstreams. Dieses Starkwindb­and in der nördlichen Hemisphäre, das in großer Höhe um die Erde zirkuliert, sorgt für eine schnelle Abfolge von Hochund Tiefdruckg­ebieten. Der Jetstream erlahmt gerade, was nachgewies­enermaßen mit der rapiden Erderwärmu­ng zusammenhä­ngt. Als Folge verharren Hochs und Tiefs länger auf der Stelle, wo sie kreisen und kreisen. Genau das war vergangene Woche der Fall: Tief „Bernd“wollte einfach nicht abziehen. Gleiches gilt für Hochdruckg­ebiete mit extrem langen Trockenper­ioden. Das ist so offensicht­lich menschenge­macht, dass man bei den Einwänden der „Klimaleugn­er“die Ohren getrost auf Durchzug stellen kann.

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Foto: Henning Kaiser/dpa Frank Schätzing: Hochs und Tiefs verharren länger auf einer Stelle.

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