Was Eltern tun können, wenn das Kind zockt.
Grundschüler mit Smartphones sind längst kein seltener Anblick mehr. Der Gefahren des Internets sind sie sich jedoch kaum bewusst. Franziska Danner vom Heidenheimer Verein G-recht spricht über die Risiken von Videospielen bei Kindern und wie Eltern richti
Tiktok und Instagram, „Fortnite“und „Fifa“: Für Eltern sind die Apps und Spiele, die ihre Kinder auf dem Smartphone nutzen, oftmals ein Rätsel – passieren kann ihnen dabei aber schließlich nichts, oder? Ein Irrtum. Denn scheinbar kostenlose Spiele-apps entpuppen sich durch sogenannte „In-game-käufe“oft als Kostenfalle.
Immer häufiger führt ein simpler Klick auf dem Smartphone zu einer dreistelligen Handyrechnung. An dieser Stelle kommt der Heidenheimer Verein G-recht ins Spiel. Franziska Danner ist Kindheitspädagogin und Sozialarbeiterin, bei G-recht gibt sie für Schulklassen regelmäßig Trainingseinheiten zum Thema Medienkompetenz. Seit einigen Jahren zeigt sich immer deutlicher: Diese Aufklärung ist dringend nötig.
Frau Danner, „In-game-käufe“gibt es ja nicht erst seit gestern. Warum wird Kritik an ihnen gerade jetzt lauter?
Franziska Danner: Zum einen gibt es heutzutage mehr Eltern, die selbst Videospiele spielen. Daraus folgt, dass auch mehr Kinder Spiele spielen, die diese „In-game-käufe“nutzen. Zum anderen spielt das Unverfängliche an ihnen eine große Rolle. Im App-store ist nicht immer direkt erkennbar, ob ein scheinbar kostenloses Spiel versteckte Kosten birgt. Viele Kinder dürfen heutzutage wild Apps und Spiele herunterladen; der geschulte Blick eines Erwachsenen fehlt da. Dazu kommt, dass wir inzwischen eine Generation von Kindern haben, die viel mehr Taschengeld bekommt als früher und dieses auch für Videospiele ausgibt.
Um diese „In-app-käufe“tätigen zu können, muss man ja zunächst einmal eine Kreditkarte hinterlegen oder ein Paypal-konto verknüpfen. Wissen Kinder denn überhaupt, wie man das bewerkstelligt?
Viele von ihnen haben unwissentlich Zugriff auf diese Zahlmethoden, denn oft wissen Eltern gar nicht, dass das App-konto mit einer Kreditkarte verknüpft ist. Dazu kommt, dass Kinder manchmal gar nicht einschätzen können, dass sie in diesem Moment tatsächlich etwas kaufen. Man bekommt im Austausch ja nichts Materielles. Manche unterliegen auch dem Irrglauben, dass sie nur Spielgeld ausgeben. Aber am Ende des Monats kommt dann eine saftige Rechnung.
Gibt es auch Kinder, die bewusst Geld innerhalb von Apps und Videospielen ausgeben?
Ja, die gibt es. Das sind oft diejenigen, deren Eltern ebenfalls zocken und nichts dagegen haben, dass ihre Kinder „Inapp-käufe“tätigen.
Trotzdem ist doch vermutlich nicht jeder, der hier und da mal einen Euro in diesen Apps ausgibt, gleich süchtig. Ab wann wird es gefährlich?
Grundsätzlich richtet sich das Risiko nach den Suchtkriterien, die die ICD-10WHO vorgibt. Wenn es einen Kontrollverlust gibt, man zum Beispiel kein Gefühl mehr für das Zeitliche hat, seinen Tagesrhythmus nicht mehr auf die Reihe bekommt oder Schule und Freunde vernachlässigt – erst wenn jemand in so eine Spirale gerät, spricht man von Spielsucht.
Sehen Sie ein größeres Suchtpotenzial in Spielen, die „In-game-käufe“anbieten als in Videospielen, für die man nur einmal zahlt?
Schon vor zehn Jahren waren Experten der Meinung, dass „Free-to-play“-spiele die Zukunft seien und dass sie eine größere Gefahr darstellen als Videospiele, für die man nur einmal zahlt. Die Verlockung ist groß, immer wieder kleinere Beträge auszugeben. Es ist schließlich scheinbar nicht viel Geld.
Traditionell assoziiert man Computerspiele ja eher mit Jungs. Hat sich auch das verändert?
Mädels haben in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt. Sie spielen vor allem Spiele als Apps auf dem Smartphone.
Weil diese günstiger sind als klassische Videospiele und man nicht zusätzlich noch eine 300-Euro-konsole braucht?
Genau, die Hemmschwelle ist niedriger. Man kann App-spiele ja zunächst einmal kostenlos herunterladen und einfach ausprobieren. Da sind viele Mädchen dabei.
Welche Spiele sind derzeit am beliebtesten?
Ganz vorne stehen „Minecraft“und „Fortnite“, dicht gefolgt von „Fifa“, „Call of Duty“und „Grand Theft Auto“. Das sind die Favoriten der Jungs. Mädels spielen vor allem „Clash of Clans“, „Candy Crush“und „Brawl Stars“. Generell sind Smartphone-spiele am beliebtesten, dann kommen Konsolenspiele.
Kann man „Free-to-play“-spiele auch in der kostenlosen Version spielen oder wird man irgendwann indirekt gezwungen, zu zahlen?
Gratis spielen funktioniert eben so lange, bis man den Punkt im Spiel erreicht, an dem einem Fähigkeiten oder Ausrüstungsgegenstände fehlen, ohne die man
nicht weiterkommt. Wenn die Kreditkarte mit dem App-store verknüpft ist, kommt man dann schnell in Versuchung. Manchmal ist es auch der Freundeskreis, der einen gewissen Druck ausübt.
Das klingt alles recht düster. Gibt es denn eine Möglichkeit, verantwortungsbewusst Geld für „In-game-käufe“auszugeben?
„In-game-käufe“sind natürlich nicht per se schlecht. Und diese Spiele machen natürlich Spaß, das muss man auch sagen. Ein verantwortungsbewusster Umgang mit ihnen ist ohne Eltern aber nicht möglich. Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist es, dass Eltern einen Blick auf deren Spielaktivitäten haben. Dabei gilt es, Absprachen zu treffen, zum Beispiel keine Spiele herunterzuladen, die „In-app-käufe“anbieten, oder diese Käufe nur nach Rücksprache mit den Eltern zu tätigen.
Sollten Eltern technische Hilfsmittel nutzen, um den Zugang ihrer Kinder zu bestimmten Apps einzuschränken?
Es gibt beispielsweise die Möglichkeit, über die Jugendschutzeinstellungen die Bezahlfunktion in bestimmten Apps zu deaktivieren. Oder man kann es so einstellen, dass man vor dem Herunterladen einen Code eingeben muss. Ich halte das grundsätzlich für keine schlechte Idee, aber es ist dennoch wichtig, im Gespräch zu bleiben. Manchmal reicht schon ein Blick ins Spiel, um als Elternteil ein Gefühl dafür zu entwickeln. Mein Tipp: Man soll sich von seinen Kindern das Spiel erklären lassen. Die können es nämlich am besten beschreiben.
Wenn man nun aber Eltern hat, die sich null mit Videospielen auskennen, lassen die sich vermutlich leicht an der Nase herumführen.
Das ist natürlich durchaus möglich (lacht). Manche Kinder wissen auch, wie man die Jugendschutzeinstellungen knacken kann. Einen hundertprozentigen Schutz gibt es sowieso nie. Die Basis ist und bleibt das vertrauensvolle Gespräch. Alles zu verbieten bringt nichts.
Damit es gar nicht erst so weit kommen muss, bietet G-recht Medienkompetenztraining an Schulen an. Was kann man sich darunter vorstellen?
Wir verbringen sechs Schulstunden in den Klassen. Zu Beginn verschaffen wir uns einen Überblick über die Apps, welche die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler nutzt. Meistens sind das Whatsapp, Instagram, Tiktok und einige Spiele-apps. Dann sprechen wir über die positiven Eigenschaften von sozialen Netzwerken, aber auch darüber, was bei ihnen schieflaufen kann. Daraus erarbeiten wir gemeinsam mit den Schülerinnen und
Schülern Regeln für einen guten Umgang mit sozialen Medien, also beispielsweise wie viel man von sich selbst online preisgeben sollte oder wie man mit Kettenbriefen umgeht. Auch juristische Aspekte wie das Recht am eigenen Bild und Persönlichkeits- sowie Urheberrechte werden thematisiert. Weil wir nicht nur mit erhobenem Zeigefinger dastehen wollen, drehen wir mit den Kindern zum Abschluss noch kleine Stop-motion-filme.
Wie groß ist die Spannbreite der Klassen, die Sie besuchen?
Wir fangen schon in der zweiten Klasse an. Den Präventionsaspekt bieten wir bis zur achten Klasse an. Es gibt jedoch auch durchaus Klassenstufen, die einer Intervention bedürfen, wenn es massive mediale Vorkommnisse gab, also zum Beispiel extreme Fälle von Cybermobbing oder wenn ganze Klassengruppen rechtsradikale oder pornografische Inhalte teilen.
Zweitklässler benötigen schon Medienkompetenz?
Es gibt heute immer mehr Grundschüler, die medial aufwachsen, weil wir mittlerweile auch eine Elterngeneration haben, die selbst mit Medien aufgewachsen ist. Früher hatten Eltern wenig Medienknow-how, heute sind sie sehr affin. Ihre Kinder werden unweigerlich in einen medialen Haushalt hineingeboren.
Überhaupt scheinen die Zeitspannen in der Medienwelt immer kürzer zu werden. Permanent erscheinen neue Apps. Müssen Sie Ihren Trainingsplan quasi alle paar Monate überarbeiten?
Eigentlich müssten wir unser Programm jede Woche anpassen. Wir haben den Vorteil, dass wir durch unseren täglichen Kontakt mit Medien immer auf dem aktuellen Stand sind.
Klingt so, als könnten Sie praktisch jede Woche in derselben Klasse Medienkompetenz vermitteln.
Man könnte tatsächlich fast jede Woche über etwas Neues sprechen. Medienkompetenz ist ja ein sehr weit gefasster Begriff. Unser Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler medienmündig zu machen.
Haben Sie den Eindruck, dass Kinder das Gelernte auch beibehalten?
Ja und nein. Wir erleben oft, dass viele Kinder schon ein gewisses Grundwissen mitbringen, gerade was den Bereich Persönlichkeitsrecht angeht. Die Umsetzung ist jedoch eine andere Geschichte. Oftmals gibt es ja keine unmittelbaren negativen Konsequenzen, wenn man zum Beispiel einen Social-media-beitrag negativ kommentiert. Das ist der Knackpunkt: Medienkompetenz ist ein fortlaufender Prozess. Mit einer Trainingseinheit ist es nicht getan.
Sind Eltern eigentlich auch Teil des Trainings?
Auf unseren Besuch in den Klassen folgt in der Regel ein Elternabend. Wir wollen dort auch Eltern aufklären und ihnen Hilfsmittel an die Hand geben, wie man zu Hause Medienregeln integrieren kann und was rechtlich erlaubt ist. Unsere Beratungsstelle bei G-recht gibt Eltern zudem die Möglichkeit, sich bei Fragen direkt an uns zu wenden. Dort beraten wir zu Fragen, wie man zum Beispiel ein Smartphone kindgerecht einstellen kann oder was man tun sollte, wenn das Kind eine dreistellige Handyrechnung anschleppt.
Was raten Sie in solchen Fällen?
Dass es am besten nicht noch mal vorkommen sollte (lacht). Häufig passiert so etwas, wenn Eltern keinen Blick auf die Mediennutzung ihrer Kinder hatten. Nachträglich sollte man verbindliche Regeln festlegen.
Welchen Rat geben Sie Eltern abseits von solchen Extremsituationen?
Wichtig ist die eigene Haltung zum Thema Mediennutzung. Je früher gemeinsam darüber gesprochen wird, desto mehr hat man später davon. Wer von Anfang an klare Regeln aufstellt, muss sich darüber nicht mehr so große Gedanken machen, wenn das Kind einmal 16 Jahre ist. Regeln sollten zusammen mit den Kindern ausgehandelt werden. Das reicht von Nutzungszeiten bis hin zur Frage, welche Apps überhaupt heruntergeladen werden dürfen.
Gehen wir einen Schritt zurück ins Extreme – wenn die Situation eskaliert und Prävention nicht mehr möglich ist. Was tut G-recht in diesem Fall?
Wir verweisen dann an die Suchtberatungsstelle oder die Diakonie. Deren Experten sind in diesem Fall besser aufgestellt, als wir es sind.
Haben Sie in den Klassen schon einmal die Erfahrung gemacht, dass ein Kind offensichtlich spielsüchtig ist?
Das ist schwer zu sagen. Durch unser Kompetenztraining können wir Suchtsymptome normalerweise nicht direkt erkennen. Es gibt immer wieder Schülerinnen und Schüler, die behaupten, dass sie 14 Stunden am Tag zocken. Ob das jedoch wirklich der Fall ist, wage ich manchmal zu bezweifeln. Manche wollen einfach nur vor den anderen angeben.
Heutzutage gibt es viel mehr Eltern, die selbst regelmäßig Videospiele spielen. Franziska Danner
Verein G-recht
Immer wieder behaupten Schüler, dass sie 14 Stunden am Tag zocken. Franziska Danner
Kindheitspädagogin, Sozialarbeiterin