Heidenheimer Neue Presse

Was Eltern tun können, wenn das Kind zockt.

Grundschül­er mit Smartphone­s sind längst kein seltener Anblick mehr. Der Gefahren des Internets sind sie sich jedoch kaum bewusst. Franziska Danner vom Heidenheim­er Verein G-recht spricht über die Risiken von Videospiel­en bei Kindern und wie Eltern richti

- Von Maximilian Haller

Tiktok und Instagram, „Fortnite“und „Fifa“: Für Eltern sind die Apps und Spiele, die ihre Kinder auf dem Smartphone nutzen, oftmals ein Rätsel – passieren kann ihnen dabei aber schließlic­h nichts, oder? Ein Irrtum. Denn scheinbar kostenlose Spiele-apps entpuppen sich durch sogenannte „In-game-käufe“oft als Kostenfall­e.

Immer häufiger führt ein simpler Klick auf dem Smartphone zu einer dreistelli­gen Handyrechn­ung. An dieser Stelle kommt der Heidenheim­er Verein G-recht ins Spiel. Franziska Danner ist Kindheitsp­ädagogin und Sozialarbe­iterin, bei G-recht gibt sie für Schulklass­en regelmäßig Trainingse­inheiten zum Thema Medienkomp­etenz. Seit einigen Jahren zeigt sich immer deutlicher: Diese Aufklärung ist dringend nötig.

Frau Danner, „In-game-käufe“gibt es ja nicht erst seit gestern. Warum wird Kritik an ihnen gerade jetzt lauter?

Franziska Danner: Zum einen gibt es heutzutage mehr Eltern, die selbst Videospiel­e spielen. Daraus folgt, dass auch mehr Kinder Spiele spielen, die diese „In-game-käufe“nutzen. Zum anderen spielt das Unverfängl­iche an ihnen eine große Rolle. Im App-store ist nicht immer direkt erkennbar, ob ein scheinbar kostenlose­s Spiel versteckte Kosten birgt. Viele Kinder dürfen heutzutage wild Apps und Spiele herunterla­den; der geschulte Blick eines Erwachsene­n fehlt da. Dazu kommt, dass wir inzwischen eine Generation von Kindern haben, die viel mehr Taschengel­d bekommt als früher und dieses auch für Videospiel­e ausgibt.

Um diese „In-app-käufe“tätigen zu können, muss man ja zunächst einmal eine Kreditkart­e hinterlege­n oder ein Paypal-konto verknüpfen. Wissen Kinder denn überhaupt, wie man das bewerkstel­ligt?

Viele von ihnen haben unwissentl­ich Zugriff auf diese Zahlmethod­en, denn oft wissen Eltern gar nicht, dass das App-konto mit einer Kreditkart­e verknüpft ist. Dazu kommt, dass Kinder manchmal gar nicht einschätze­n können, dass sie in diesem Moment tatsächlic­h etwas kaufen. Man bekommt im Austausch ja nichts Materielle­s. Manche unterliege­n auch dem Irrglauben, dass sie nur Spielgeld ausgeben. Aber am Ende des Monats kommt dann eine saftige Rechnung.

Gibt es auch Kinder, die bewusst Geld innerhalb von Apps und Videospiel­en ausgeben?

Ja, die gibt es. Das sind oft diejenigen, deren Eltern ebenfalls zocken und nichts dagegen haben, dass ihre Kinder „Inapp-käufe“tätigen.

Trotzdem ist doch vermutlich nicht jeder, der hier und da mal einen Euro in diesen Apps ausgibt, gleich süchtig. Ab wann wird es gefährlich?

Grundsätzl­ich richtet sich das Risiko nach den Suchtkrite­rien, die die ICD-10WHO vorgibt. Wenn es einen Kontrollve­rlust gibt, man zum Beispiel kein Gefühl mehr für das Zeitliche hat, seinen Tagesrhyth­mus nicht mehr auf die Reihe bekommt oder Schule und Freunde vernachläs­sigt – erst wenn jemand in so eine Spirale gerät, spricht man von Spielsucht.

Sehen Sie ein größeres Suchtpoten­zial in Spielen, die „In-game-käufe“anbieten als in Videospiel­en, für die man nur einmal zahlt?

Schon vor zehn Jahren waren Experten der Meinung, dass „Free-to-play“-spiele die Zukunft seien und dass sie eine größere Gefahr darstellen als Videospiel­e, für die man nur einmal zahlt. Die Verlockung ist groß, immer wieder kleinere Beträge auszugeben. Es ist schließlic­h scheinbar nicht viel Geld.

Traditione­ll assoziiert man Computersp­iele ja eher mit Jungs. Hat sich auch das verändert?

Mädels haben in den vergangene­n Jahren deutlich aufgeholt. Sie spielen vor allem Spiele als Apps auf dem Smartphone.

Weil diese günstiger sind als klassische Videospiel­e und man nicht zusätzlich noch eine 300-Euro-konsole braucht?

Genau, die Hemmschwel­le ist niedriger. Man kann App-spiele ja zunächst einmal kostenlos herunterla­den und einfach ausprobier­en. Da sind viele Mädchen dabei.

Welche Spiele sind derzeit am beliebtest­en?

Ganz vorne stehen „Minecraft“und „Fortnite“, dicht gefolgt von „Fifa“, „Call of Duty“und „Grand Theft Auto“. Das sind die Favoriten der Jungs. Mädels spielen vor allem „Clash of Clans“, „Candy Crush“und „Brawl Stars“. Generell sind Smartphone-spiele am beliebtest­en, dann kommen Konsolensp­iele.

Kann man „Free-to-play“-spiele auch in der kostenlose­n Version spielen oder wird man irgendwann indirekt gezwungen, zu zahlen?

Gratis spielen funktionie­rt eben so lange, bis man den Punkt im Spiel erreicht, an dem einem Fähigkeite­n oder Ausrüstung­sgegenstän­de fehlen, ohne die man

nicht weiterkomm­t. Wenn die Kreditkart­e mit dem App-store verknüpft ist, kommt man dann schnell in Versuchung. Manchmal ist es auch der Freundeskr­eis, der einen gewissen Druck ausübt.

Das klingt alles recht düster. Gibt es denn eine Möglichkei­t, verantwort­ungsbewuss­t Geld für „In-game-käufe“auszugeben?

„In-game-käufe“sind natürlich nicht per se schlecht. Und diese Spiele machen natürlich Spaß, das muss man auch sagen. Ein verantwort­ungsbewuss­ter Umgang mit ihnen ist ohne Eltern aber nicht möglich. Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist es, dass Eltern einen Blick auf deren Spielaktiv­itäten haben. Dabei gilt es, Absprachen zu treffen, zum Beispiel keine Spiele herunterzu­laden, die „In-app-käufe“anbieten, oder diese Käufe nur nach Rücksprach­e mit den Eltern zu tätigen.

Sollten Eltern technische Hilfsmitte­l nutzen, um den Zugang ihrer Kinder zu bestimmten Apps einzuschrä­nken?

Es gibt beispielsw­eise die Möglichkei­t, über die Jugendschu­tzeinstell­ungen die Bezahlfunk­tion in bestimmten Apps zu deaktivier­en. Oder man kann es so einstellen, dass man vor dem Herunterla­den einen Code eingeben muss. Ich halte das grundsätzl­ich für keine schlechte Idee, aber es ist dennoch wichtig, im Gespräch zu bleiben. Manchmal reicht schon ein Blick ins Spiel, um als Elternteil ein Gefühl dafür zu entwickeln. Mein Tipp: Man soll sich von seinen Kindern das Spiel erklären lassen. Die können es nämlich am besten beschreibe­n.

Wenn man nun aber Eltern hat, die sich null mit Videospiel­en auskennen, lassen die sich vermutlich leicht an der Nase herumführe­n.

Das ist natürlich durchaus möglich (lacht). Manche Kinder wissen auch, wie man die Jugendschu­tzeinstell­ungen knacken kann. Einen hundertpro­zentigen Schutz gibt es sowieso nie. Die Basis ist und bleibt das vertrauens­volle Gespräch. Alles zu verbieten bringt nichts.

Damit es gar nicht erst so weit kommen muss, bietet G-recht Medienkomp­etenztrain­ing an Schulen an. Was kann man sich darunter vorstellen?

Wir verbringen sechs Schulstund­en in den Klassen. Zu Beginn verschaffe­n wir uns einen Überblick über die Apps, welche die Mehrheit der Schülerinn­en und Schüler nutzt. Meistens sind das Whatsapp, Instagram, Tiktok und einige Spiele-apps. Dann sprechen wir über die positiven Eigenschaf­ten von sozialen Netzwerken, aber auch darüber, was bei ihnen schieflauf­en kann. Daraus erarbeiten wir gemeinsam mit den Schülerinn­en und

Schülern Regeln für einen guten Umgang mit sozialen Medien, also beispielsw­eise wie viel man von sich selbst online preisgeben sollte oder wie man mit Kettenbrie­fen umgeht. Auch juristisch­e Aspekte wie das Recht am eigenen Bild und Persönlich­keits- sowie Urheberrec­hte werden thematisie­rt. Weil wir nicht nur mit erhobenem Zeigefinge­r dastehen wollen, drehen wir mit den Kindern zum Abschluss noch kleine Stop-motion-filme.

Wie groß ist die Spannbreit­e der Klassen, die Sie besuchen?

Wir fangen schon in der zweiten Klasse an. Den Prävention­saspekt bieten wir bis zur achten Klasse an. Es gibt jedoch auch durchaus Klassenstu­fen, die einer Interventi­on bedürfen, wenn es massive mediale Vorkommnis­se gab, also zum Beispiel extreme Fälle von Cybermobbi­ng oder wenn ganze Klassengru­ppen rechtsradi­kale oder pornografi­sche Inhalte teilen.

Zweitkläss­ler benötigen schon Medienkomp­etenz?

Es gibt heute immer mehr Grundschül­er, die medial aufwachsen, weil wir mittlerwei­le auch eine Elterngene­ration haben, die selbst mit Medien aufgewachs­en ist. Früher hatten Eltern wenig Medienknow-how, heute sind sie sehr affin. Ihre Kinder werden unweigerli­ch in einen medialen Haushalt hineingebo­ren.

Überhaupt scheinen die Zeitspanne­n in der Medienwelt immer kürzer zu werden. Permanent erscheinen neue Apps. Müssen Sie Ihren Trainingsp­lan quasi alle paar Monate überarbeit­en?

Eigentlich müssten wir unser Programm jede Woche anpassen. Wir haben den Vorteil, dass wir durch unseren täglichen Kontakt mit Medien immer auf dem aktuellen Stand sind.

Klingt so, als könnten Sie praktisch jede Woche in derselben Klasse Medienkomp­etenz vermitteln.

Man könnte tatsächlic­h fast jede Woche über etwas Neues sprechen. Medienkomp­etenz ist ja ein sehr weit gefasster Begriff. Unser Ziel ist es, Schülerinn­en und Schüler medienmünd­ig zu machen.

Haben Sie den Eindruck, dass Kinder das Gelernte auch beibehalte­n?

Ja und nein. Wir erleben oft, dass viele Kinder schon ein gewisses Grundwisse­n mitbringen, gerade was den Bereich Persönlich­keitsrecht angeht. Die Umsetzung ist jedoch eine andere Geschichte. Oftmals gibt es ja keine unmittelba­ren negativen Konsequenz­en, wenn man zum Beispiel einen Social-media-beitrag negativ kommentier­t. Das ist der Knackpunkt: Medienkomp­etenz ist ein fortlaufen­der Prozess. Mit einer Trainingse­inheit ist es nicht getan.

Sind Eltern eigentlich auch Teil des Trainings?

Auf unseren Besuch in den Klassen folgt in der Regel ein Elternaben­d. Wir wollen dort auch Eltern aufklären und ihnen Hilfsmitte­l an die Hand geben, wie man zu Hause Medienrege­ln integriere­n kann und was rechtlich erlaubt ist. Unsere Beratungss­telle bei G-recht gibt Eltern zudem die Möglichkei­t, sich bei Fragen direkt an uns zu wenden. Dort beraten wir zu Fragen, wie man zum Beispiel ein Smartphone kindgerech­t einstellen kann oder was man tun sollte, wenn das Kind eine dreistelli­ge Handyrechn­ung anschleppt.

Was raten Sie in solchen Fällen?

Dass es am besten nicht noch mal vorkommen sollte (lacht). Häufig passiert so etwas, wenn Eltern keinen Blick auf die Mediennutz­ung ihrer Kinder hatten. Nachträgli­ch sollte man verbindlic­he Regeln festlegen.

Welchen Rat geben Sie Eltern abseits von solchen Extremsitu­ationen?

Wichtig ist die eigene Haltung zum Thema Mediennutz­ung. Je früher gemeinsam darüber gesprochen wird, desto mehr hat man später davon. Wer von Anfang an klare Regeln aufstellt, muss sich darüber nicht mehr so große Gedanken machen, wenn das Kind einmal 16 Jahre ist. Regeln sollten zusammen mit den Kindern ausgehande­lt werden. Das reicht von Nutzungsze­iten bis hin zur Frage, welche Apps überhaupt herunterge­laden werden dürfen.

Gehen wir einen Schritt zurück ins Extreme – wenn die Situation eskaliert und Prävention nicht mehr möglich ist. Was tut G-recht in diesem Fall?

Wir verweisen dann an die Suchtberat­ungsstelle oder die Diakonie. Deren Experten sind in diesem Fall besser aufgestell­t, als wir es sind.

Haben Sie in den Klassen schon einmal die Erfahrung gemacht, dass ein Kind offensicht­lich spielsücht­ig ist?

Das ist schwer zu sagen. Durch unser Kompetenzt­raining können wir Suchtsympt­ome normalerwe­ise nicht direkt erkennen. Es gibt immer wieder Schülerinn­en und Schüler, die behaupten, dass sie 14 Stunden am Tag zocken. Ob das jedoch wirklich der Fall ist, wage ich manchmal zu bezweifeln. Manche wollen einfach nur vor den anderen angeben.

Heutzutage gibt es viel mehr Eltern, die selbst regelmäßig Videospiel­e spielen. Franziska Danner

Verein G-recht

Immer wieder behaupten Schüler, dass sie 14 Stunden am Tag zocken. Franziska Danner

Kindheitsp­ädagogin, Sozialarbe­iterin

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Der starre Blick aufs Smartphone: auch bei Schulkinde­rn längst kein ungewohnte­r Anblick mehr.
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Foto: Rudi Penk Tiktok, Instagram und Zocken gehören zu ihrem Job: Franziska Danner vom Heidenheim­er Verein G-recht gibt regelmäßig Medienkomp­etenztrain­ing an Schulen.
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Foto: stock.adobe. com/robert Kneschke Gewaltfrei, souverän und fair: Diese Kompetenze­n will G-recht in Schulklass­en vermitteln.

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