Wenn das Pausenbrot Panik auslöst
Thomas Hecker hat ein Start-up gegründet. Die Idee: der Handel mit Nahrungsergänzungsmitteln und Körperpflegeprodukten für Menschen mit Allergien und Unverträglichkeiten.
Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel ist riesig und wächst in Deutschland stetig. Dabei ist ihre Einnahme bei ausgewogener Ernährung laut Bundesinstitut für Risikobewertung überflüssig, teils sogar kontraproduktiv. Was aber, wenn man sich über lange Zeit hinweg nicht ausgewogen ernähren kann?
Übelkeit, Schmerzen, Krämpfe
„Reispfanne, jeden verdammten Tag“titelte die HZ im vorigen Jahr. Es ging um eine junge Frau aus Altheim, die von ihrem Leben mit der Krankheit Mastzellaktivierungssyndrom, kurz MCAS, berichtete. Es sind bis heute genau fünf Lebensmittel, die Nadine E. zu sich nehmen kann: Reispfanne mit Geflügel, Mungobohnen, Rapsöl und Haferflocken, die sie mit Wasser mischt. Die 35-Jährige reagiert allergisch auf andere Nahrungsmittel, auf Gerüche und parfümierte Menschen. Sie kann keine herkömmlichen Kosmetikprodukte benutzen, keine Blumenvasen aufstellen und auch nicht mehr in ihrem Beruf als Chemielaborantin arbeiten. Kommt sie in Kontakt mit Dingen, die sie nicht verträgt, reagiert ihr Körper mit allerlei Symptomen: ein Ruhepuls von 130, Übelkeit, Nervenschmerzen, Schwindel, Muskelkrämpfe. Aber die größte Einschränkung in ihrem Leben, so beschreibt es die 35-Jährige, ist die Erschöpfung. Ist sie eine Stunde unterwegs, liegt sie für den Rest des Tages im Bett.
All die Dinge, die Nadine E. meidet, sind sogenannte Trigger. Sie lösen nicht nur allergische und pseudoallergische Reaktionen, sondern auch chronische Entzündungen aus. Und zwar an verschiedenen Organen, etwa im Darm. Zur einseitigen Ernährung kommt hinzu, dass Nährstoffe durch die Dauerinflammation nicht richtig aufgenommen werden können. Die Folge: teils erhebliche Vitamin- und Mineralstoffmängel.
Und hier kommt ihr Freund ins Spiel. Seit fünf Jahren sind Thomas Hecker und Nadine E. ein Paar. Der 32-jährige Achstetter (Landkreis Biberach) ist Biochemiker und er leidet ebenfalls unter Allergien und Nahrungsmittelintoleranzen. Wie seine Partnerin nicht von Geburt an. Die Probleme begannen in der Grundschule. In den Pausen hatte er des öfteren Angst, eine Art Panikattacke. Ausgelöst durch plötzliches Herzstolpern. „Ich bin mehrfach ins Lehrerzimmer gerannt, weil ich mir nicht mehr zu helfen wusste.“Heute glaubt er zu wissen, was die plötzlich kommenden und gehenden Herzrhythmusstörungen ausgelöst hat: sein Pausenbrot. „Ich habe histaminreiche Kost schon damals nicht vertragen und das Herzstolpern und die dadurch ausgelöste Angst waren die Reaktion auf das, was ich zuvor gegessen hatte.“
Laut dem Deutschen Allergieund Asthmaverband gehört Histamin wie Serotonin oder Thyramin zu der Gruppe der biogenen Amine. Das sind biologisch aktive Substanzen, „kleine Helfer“, die im Körper für wichtige Funktionen notwendig sind. Sie regulieren den Blutdruck, regen die Magensaftproduktion an, steigern die Darmbewegung. Normalerweise ist der Organismus in der Lage, auch mit größeren Mengen Histamin fertig zu werden. Liegt allerdings eine Histamin-unverträglichkeit vor, können bereits kleinere Mengen Symptome hervorrufen. Darunter Hautrötungen, Juckreiz und Quaddelbildung. Aber auch Übelkeit, Durchfall, Magenkrämpfe, Herzrasen und Schwindel.
Von einem Tag auf den anderen
„Richtig los“ging es bei Thomas Hecker dann 2006. Quasi von einem Tag auf den anderen konnte er praktisch nichts mehr essen, ohne davon nach kürzester Zeit Durchfall zu bekommen. Bis die Ursache und damit die Diagnose feststand und er wusste, welche Lebensmittel er essen und welche er meiden muss, vergingen Jahre. „Als erste Diagnose erhält man häufig Reizdarm, aber das hilft einem nicht weiter“, so der Achstetter. Heilbar sind seine Intoleranzen nicht. „Man kann nur versuchen, das System zu beruhigen und unterstützen, in der Hoffnung den Allgemeinzustand zu verbessern.“
Betroffenen Mut machen
Das ist im Grunde auch das Ziel seines Start-ups Histameany. Auf der Homepage ist zu lesen: „Menschen mit Erkrankungen der Mastzellen, Histamin-abbaustörung, Salicylatintoleranz oder klassischen Allergien möchte ich unterstützen und ihnen Mut machen. Mein Ziel ist es, diesen Betroffenen mit verträglichen Nahrungsergänzungsmitteln und Körperpflegeprodukten sowie den medizinischen Hintergründen zu den Erkrankungen den Alltag zu erleichtern.“
Nun sind Drogerien und Supermärkte voll mit Nahrungsergänzungsmitteln. Worin liegt der Unterschied? „Es geht um die Zusammensetzung und die Dosierung“, erklärt Thomas Hecker. „Die meisten Nahrungsergänzungsmittel enthalten Zusatzstoffe, etwa Farbstoffe, Aromen und synthetische Konservierungsmittel, auf die Menschen mit Unverträglichkeiten reagieren können.“Teils seien sie auch zu niedrig dosiert.
Seine Partnerin bestätigt: „Für mich war es immer sehr schwierig, an verträgliche Nahrungsergänzungsmittel ohne Zusatzstoffe heranzukommen“, sagt sie. Und sie individuell und in speziellen Apotheken anfertigen zu lassen, sei sehr kostenintensiv.
Aber wie kommt Hecker auf die Dosierung und wie kann er wissen, dass sie unbedenklich einsetzbar sind? „Grundlage für Dosierung und Inhaltsstoffe sind meine eigenen Erfahrungen und die Erfahrung anderer, mit denen ich mich austausche. Dabei halte ich mich an die gesetzlichen Vorgaben des Arzneimittelgesetzes und an die gesetzlichen Vorgaben zu Höchstmengen in Vitaminpräparaten.“Durch seine wissenschaftliche Ausbildung handle er nach bestem Wissen und Gewissen. „Ich lese viele Forschungsberichte und versuche seit Jahren auf dem neuesten Stand zu sein. Und grundsätzlich ist die Dosierung unserer Produkte weit unter dem, was von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit als toxisch angesehen wird.“Die Hersteller der Produkte – derzeit sind es nur Nahrungsergänzungsmittel, bald sollen die Körperpflegeprodukte aber folgen – haben ihren Sitz in Deutschland und Österreich. „Jede Charge wird dann nochmal in unabhängigen Laboren in Deutschland unter anderem auf Schwermetalle, Schimmelpilze, Gluten und ihren Vitamingehalt hin untersucht“, sagt Hecker. Die Prüfberichte veröffentlicht er dann auf der Homepage des Unternehmens. Doch: „Trotz sorgfältiger Auswahl der Rohstoffe, Laboranalysen und Selbsttests können wir keine Verträglichkeitsgarantie geben. Und natürlich ist jeder Körper unterschiedlich und hat eine individuelle Toleranzgrenze.“
Nichts für Gesunde
Er selbst, wie auch seine Partnerin, nimmt eine ganze Ladung an Nahrungsergänzungsmitteln ein. Darunter Vitamin C, Biotin, Darmbakterien, Zink, Aktives Vitamin B6 und Vitamin D. Aber so ein Cocktail sei nichts für Gesunde und vermeintlich Gesundheitsbewusste. „Wer alles essen kann und gesund ist, braucht im Prinzip nichts zusätzlich einzunehmen“, sagt Hecker. „Aber hierzulande hat so gut wie jeder einen Mangel an Vitamin D und es gibt Studien, die zum Schluss kommen, dass die zusätzliche Einnahme von Vitamin D und C positive gesundheitliche Effekte hat.“Im Idealfall sollte vor der Einnahme von Produkten jeder Art jedoch ein Mangel an bestimmten Vitaminen oder Spurenelementen im Blut festgestellt worden sein. „Allerdings wird das von Ärzten oft erst auf Nachfrage veranlasst.“
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Wie wirkt sich das alles auf die Beziehung aus? „Wenn man so eine Erkrankung hat, macht das bescheiden“, sagt Hecker. „Wir sind einfach glücklich, wenn wir Zeit zusammen verbringen, reden und uns austauschen können.“An gemeinsame Urlaube oder dergleichen sei nicht zu denken. „Das wäre eine Qual für uns, aber wir haben uns gefunden und es passt einfach.“