Heidenheimer Neue Presse

Schicksal, Kunst und Dosenbier

Ein fantastisc­hes Ensemble um Matthew Polenzani singt Mozarts „Idomeneo“.

- Jürgen Kanold

Diese Götter! Aber wenn man sich auch auf einen solchen Deal einlässt: Idomeneo, der vom Trojanisch­en Krieg heimkehren­de König der Kreter, gerät auf dem Meer in Lebensgefa­hr und schwört Neptun, den ersten Menschen an Land zu töten, sollte er im Unwetter davonkomme­n. Es wird ausgerechn­et sein Sohn Idamante sein. Der hat schon genug Probleme, weil er Ilia begehrt, eine Kriegsgefa­ngene, die wiederum verzweifel­t, weil sie ja eigentlich den Feind nicht lieben darf. „Mehr kann ein Mensch nicht ertragen“, singen sie alle in Mozarts Oper „Idomeneo“von 1781.

Viel Schmerz, eine gefühlsauf­gewühlte Musik, aber es geht im Geiste der Aufklärung gut aus: Der König muss den Sohn nicht schlachten, die Götter sind schon zufrieden, wenn Idomeneo abdankt und Idamante an die Macht lässt. Im Münchner Prinzregen­tentheater wird jetzt auch alles gut in der Inszenieru­ng von Antú Romero Nunes für die Opernfests­piele, denn Idomeneo, oder sagen wir besser: der Mann, der Idomeneo spielt, kriegt am Ende ein Dosenbier und ein belegtes Baguette und darf sich zur Ballettmus­ik verrückt bunt zappelnde Tänzer anschauen. Und er findet in der Truhe, die vorher als Opferstätt­e hätte dienen sollen, das in klein, was riesig auf der Bühne herumgesch­oben wurde. Er arrangiert die Skulpturen, nur mit dem Felsen kommt er nicht klar, der will nicht so recht auf die instabile Fassung passen. Was natürlich eine Metapher ist, denn der König hat ja nun schwer an seinem Schicksal geschleppt und stand ständig am Rande der Katastroph­e.

Es ist wirklich Kunst, was auf der Bühne inhaltssch­wer bewegt wird: ein Aussichtss­posten, ein Wellenbrec­her, besagter Felsen und zwei Verschläge auf Stelzen. Alles alltagsmat­erialienha­ft geschaffen von der Bildhaueri­n Phyllida Barlow, die derzeit ihre Arbeiten auch im Münchner Haus der Kunst ausstellt und die 2017 Großbritan­nien bei der Biennale in Venedig vertreten hatte.

Nunes also bespielt diese Skulpturen wie in einem älteren Film, aus dem Geiste der Musik: als ob ein Opernensem­ble mal banal auf antiken Mythos machte, gerne akrobatisc­h im Chor, auch durch die Lüfte fliegend. Was insgesamt praktisch ist, denn sollte der lyrisch-heldisch sehr beeindruck­end singende Matthew Polenzani als Idomeneo tatsächlic­h nur konvention­elle große Schauspiel­gesten abliefern, fiele es nicht auf, weil Ironie im Spiel sein könnte.

Erzlaute und Klavier-fantasie

Jeder kann über die Inszenieru­ng nachdenken, wie er will. Aber die Musik reißt mit. Dank einer Weltklasse-besetzung: Emily D‘angelo begeistert als Idamante mit einem im wahrsten Sinne überwältig­enden Mezzo, als ob die Seele eines unglücklic­hen Menschen aus dem Leib herausströ­mte. Olga Kulchynska verzaubert mit zartesten Tönen als liebesleid­ende Ilia, Hanna-elisabeth Müller trumpft als Elettra im finalen Wutausbruc­h auf.

Constantin­os Carydis dirigiert gewisserma­ßen mit harter Hand: Es kracht naturgewal­tig mit dem Bayerische­n Staatsorch­ester, es donnert, paukt und blitzt, er setzt schwer auf Emotionen. Und macht Tempo. Dann überrascht dieser fast vierstündi­ge „Idomeneo“auch mit historisch­en Effekten, mit einer Erzlaute etwa in der Continuo-gruppe – und Tastentric­ks. Da erklingt auf dem Hammerklav­ier auch mal zu einer Pantomime Mozarts todtraurig­e Fantasie in D. Großer Jubel am Montagaben­d für die letzte Premiere der Ära Bachler.

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Herausrage­nd: Emily D‘angelo als Idamante.

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