Heidenheimer Neue Presse

Abbas verliert an Vertrauen

Das Volk wendet sich zunehmend vom Langzeit-chef der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde ab.

- Agnes Fazekas

Es begann nach dem Waffenstil­lstand mit Gaza im Mai. Am nächsten Morgen skandierte man vor dem Felsendom in Jerusalem: „Das Volk will das Regime stürzen!“Diesmal ging es nicht um den damals noch amtierende­n Benjamin Netanyahu, sondern um Mahmoud Abbas, der sich ähnlich lange im Amt hält. Der Präsident der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde (PA) regiert seit dem Ende seines Mandats vor zwölf Jahren per Dekret, und das zusehends autokratis­ch.

Als Abbas nach dem Tod von Jassir Arafat zum Kopf der im Westjordan­land regierende­n Fatah-partei gewählt wurde, war man nicht nur in Israel erleichter­t. Abbas galt als besonnen, sprach sich für das Ende der Zweiten Intifada aus. Spätestens jedoch als der frühere Us-präsident Donald Trump die Us-botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegte, schien jede Hoffnung auf Frieden zerstört. Das Volk hält Abbas inzwischen für schwach, die endlosen Verhandlun­gen

mit Israel für sinnlos und entwürdige­nd. Und nachdem nun zu Ramadan die israelisch­e Polizei die Al Aqsa-moschee stürmte, war es die Hamas in Gaza, die den Palästinen­sern den Rücken stärkte: mit Raketen. Seit dem Konflikt in Mai sind die Palästinen­ser insgesamt näher zusammenge­rückt, solidarisi­ert man sich in Haifa und Jerusalem noch mehr mit Gaza.

Impfstoff für Parteigeno­ssen

Besonders die jungen Palästinen­ser machen nicht nur Israel als Besatzungs­macht verantwort­lich für ihre Lage, sondern auch die eigene Führungsri­ege. Eine Umfrage von Juni bestätigte, dass 84 Prozent der Palästinen­ser die PA für korrupt halten. Da half es auch nicht, dass sie die sowieso raren Covid-vakzine an die Parteigeno­ssen verteilte.

Unter dem Druck Europas setzte der 85-jährige Abbas im Januar zwar endlich Neuwahlen an, machte jedoch einen Rückzieher – aus Angst zu verlieren, wie seine Kritiker sagen. Einerseits ist es verständli­ch, dass sich „Abu Masen“an die Macht klammert, um zumindest den Status Quo zu wahren und die Hamas in Schach zu halten. Doch dabei wird er selbst zum Problem. Die Palästinen­ser fühlen sich zunehmend zensiert und unterdrück­t.

Ende Juni verhaftete die palästinen­sische Polizei erst den Aktivisten Issa Amro, nachdem er die PA auf Facebook kritisiert hatte. Ein paar Tage darauf starb der palästinen­sische Regierungs­kritiker Nisar Banat in Polizeigew­ahrsam. Eine Autopsie ergab, dass ihm vor seinem Tod mehrfach und massiv auf den Kopf geschlagen worden war. Banat wollte bei Neuwahlen für die Opposition kandidiere­n. Während Banats Familie die PA anklagt, seinen Tod zu vertuschen, sprach diese von einem Unfall. Seit seinem Begräbnis wird nun beinahe täglich protestier­t. Abbas’ Rücktritt würde jedoch erstmal der radikalisl­amischen Hamas zugutekomm­en.

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