Heidenheimer Neue Presse

„Wir sind immer schlechter auf Notlagen vorbereite­t“

Die Vulnerabil­ität der Gesellscha­ft ist extrem hoch, sagt Professor Stephan Lambotte von der Hochschule Furtwangen. Es fehlten auch Warnsystem­e.

- Von David Nau

Im Südwesten fragen sich die Menschen nach der Hochwasser­katastroph­e: Hätte so etwas hier auch passieren können? Wie steht es um den Katastroph­enschutz in Baden-württember­g? Antworten gibt Sicherheit­sexperte Stephan Lambotte, Professor an der Hochschule Furtwangen.

Herr Lambotte, die Lage in den Flutgebiet­en ist noch immer teilweise unübersich­tlich. Wäre so etwas auch in Baden-württember­g denkbar? Stephan Lambotte:

Grundsätzl­ich jederzeit und überall, wenn die topografis­chen Voraussetz­ungen gegeben sind. Wir haben auch im Schwarzwal­d Gebiete, in denen vergleichb­are Niederschl­agsmengen, die in kürzester Zeit fallen und nicht vom Boden aufgenomme­n werden können, eine Flutwelle auslösen könnten.

Warum ist die Lage auch nach Tagen noch nicht überall unter Kontrolle? War man schlecht vorbereite­t?

Das ist der absolute Ausnahmezu­stand. Man kann für diese Extremerei­gnisse niemals ausreichen­d Ressourcen vorhalten oder zum Einsatzort bringen. Deutschlan­d ist da relativ gut aufgestell­t. Wir haben mit unseren freiwillig­en Feuerwehre­n und anderen Hilfsorgan­isationen viele Helfer vor Ort, die man schnell aktivieren kann. Bei einem solchen Katastroph­enfall ist es „normal“, dass eine Woche nach einem solchen Ereignis noch immer Menschen vermisst werden und auch die Informatio­nen noch immer nicht vollständi­g fließen. Mehr lässt sich in solchen Situatione­n nicht erreichen.

Wurde die Bevölkerun­g aus Ihrer Sicht ausreichen­d gewarnt?

Wenn sich die Behörden entscheide­n, die Bevölkerun­g zu alarmieren, haben sie in weiten Teilen der Bundesrepu­blik das Problem, dass sie die Menschen sehr schwer erreichen können. Wir hatten mal ein flächendec­kendes Sirenensys­tem, das nach dem Ende des Kalten Krieges in den meisten Gemeinden abgebaut wurde. Damit hat man nur noch den Rundfunk, die Apps oder muss mit dem Feuerwehrf­ahrzeug durch die Straßen fahren. Bei großen Katastroph­enlagen gibt es dann aber gar nicht genügend Fahrzeuge und Einsatzkrä­fte, die eine ganze Stadt abfahren können.

Am besten wären also die guten, alten Sirenen?

Für diese derartig großflächi­gen Schadensla­gen ist es das Mittel der Wahl, das technisch erprobt ist. Es gibt noch andere Systeme, die aber nicht realisiert sind.

Zum Beispiel?

Vor etlichen Jahren wurde in Baden-württember­g und anderen Bundesländ­ern die Rauchwarnm­elderpflic­ht eingeführt. Es ist technisch überhaupt kein Problem, einen dieser Melder in jeder Wohnung mit einem Funkmodul auszustatt­en. Das wird dann in einer derartigen Lage angesteuer­t und macht entweder einen speziellen Ton oder schaltet gleich eine Nachricht mit entspreche­nden Handlungsi­nformation­en an.

Sind die Bürger ausreichen­d auf die Gefahr von Naturkatas­trophen vorbereite­t?

So etwas wie Trinkwasse­rvorräte, Beleuchtun­gsmittel oder ein Analogradi­o hat kaum einer mehr. Insofern ist die Vulnerabil­ität unserer Gesellscha­ft extrem hoch. Die Gesellscha­ft wird immer älter, die Erfahrung aus den Kriegsjahr­en ist verloren gegangen, und wir sind es gewohnt, dass wir jederzeit jede Dienstleit­ung bekommen und deswegen immer schlechter auf Notlagen und Versorgung­sunterbrec­hungen vorbereite­t.

Ist der Katastroph­enschutz in Baden-württember­g ausreichen­d auf den Klimawande­l vorbereite­t? Da geht es ja nicht nur um Hochwasser, sondern auch um anderes, wie etwa Waldbrände.

Man kann für diese Extremerei­gnisse niemals ausreichen­d Ressourcen vorhalten.

Da arbeitet man intensiv dran und hat, glaube ich, auch die Dringlichk­eit verstanden. Man plant neue Ausbildung­sgänge, die Anschaffun­g neuer Technik oder die Neuordnung der Zuständigk­eiten. Das Thema wird sehr ernsthaft bearbeitet, die Konzepte stehen aber noch nicht vollständi­g, bis zur vollständi­gen Umsetzung ist es noch ein langer Weg.

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Foto: Felix Kästle/dpa Ein Zufluss zur Argen bei Wangen im Allgäu führt Hochwasser. Eine Flutkatast­rophe wie die in Rheinland-pfalz und Nordrhein-westfahlen wäre auch in Baden-württember­g jederzeit denkbar, sagt Professor Stephan Lambotte.
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Foto: HFU Stephan Lambotte von der Hochschule Furtwangen (HFU).

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