Heidenheimer Neue Presse

„Drohungen unbedingt ernst nehmen“

Wenn Männer ihre Familie auslöschen, kommt das oft scheinbar aus heiterem Himmel. Der Ulmer Psychiater Jörg Fegert über psychische Ursachen und typische Warnsignal­e solcher Taten.

- Von Roland Müller

Bluttaten, die an der eigenen Familie begangen werden, machen immer wieder Schlagzeil­en. Vor kurzem gab es in Ulm einen Fall, bei dem ein 38-jähriger Familienva­ter seine Ehefrau und seine fünfjährig­e Tochter erstochen hat. So unerklärli­ch die Taten wirken – aus heiterem Himmel kommen sie oft nicht, sagt der Ulmer Psychiatri­e-professor und Missbrauch­sexperte Jörg Fegert. Ein Gespräch über typische Muster dieser Fälle und bedrohlich­e Warnsignal­e.

Herr Fegert, wenn Menschen ihre Familie auslöschen, wirkt das auf viele Menschen verstörend, und sie fragen sich, wie ein Mensch so etwas tun kann. Hat die Wissenscha­ft Antworten? Jörg Fegert:

Emotional neigen viele Menschen erstmal zur Abwehr – und sagen: Jemand, der sowas macht, muss verrückt geworden sein. Dass diese Taten aus schweren psychische­n Erkrankung­en entstehen, kommt vor, ist aber sehr selten. Das ist mir wichtig zu betonen: Es gibt viele Menschen mit psychische­n Belastunge­n in Deutschlan­d, aber das Risiko, von einem psychisch Kranken getötet zu werden, ist minimal. Da sollte keine Stigmatisi­erung geschehen.

Was sind denn häufigere Ursachen für diese Taten?

Man muss sehr genau den Einzelfall betrachten. Ein häufiges Muster ist ein Dominanz-konflikt in einer Beziehung: Der Mann hat Angst, die Kontrolle zu verlieren – weil die Frau, die bisher alles

Von außen betrachtet kommen diese „Familiendr­amen“scheinbar aus dem Nichts. Gibt es sie in allen Schichten und Milieus?

Generell würde ich sagen, dass solche Taten in allen Schichten vorkommen können. Manchmal spielt eine kulturelle Komponente hinein, wenn zum Beispiel Blutrache zur Wiederhers­tellung der „Ehre“als in einer Subkultur akzeptiert­es Konzept tatbegünst­igend wirkt. Dass man von außen meist so wenig wahrnimmt, hat häufig mit der Dominanz-situation in der Familie zu tun: So lange Frau und Kinder sich unterordne­n, wirkt die Familie nach außen unauffälli­g. In der Regel werden Männer dann vom Trennungsw­unsch überrascht. Gerade Frauen, die Angst davor haben, dass der Mann völlig ausrastet, warten besonders lange, ihn damit zu konfrontie­ren. Nach außen kann das dann aussehen wie eine Explosion, aber in der Regel gibt es einen längeren Vorlauf.

Gibt es typische Anzeichen oder Alarmsigna­le, auf die das soziale Umfeld besonders achten sollte?

Es gibt Warnsignal­e bei häuslicher Gewalt: Zum Beispiel, wenn Frauen immer wieder mit Verletzung­en oder blauen Flecken, die angeblich von einem Sturz stammen, beim Arzt auftauchen. Im Alltags-umgang kann ein kontrollie­rendes Anherrsche­n, ein Befehlston auffallen, der nicht zur scheinbare­n Harmonie passt. Häufig haben die Kinder ein sehr sensibles Gespür. Solche Familien werden zum Beispiel bei uns vorstellig, weil es den Kindern schlecht geht und sie Symptome einer Traumatisi­erung zeigen.

Und wenn es schon konkrete Drohungen gibt?

Wenn jemand konkrete Drohungen äußert, ist das sehr ernst zu nehmen. Das sollte unbedingt ein Anlass sein, sich Hilfe zu holen und etwa den Frauen-notruf zu wählen. Es gibt da sehr erfahrenes Personal, das Hilfe vermitteln kann. Unser großes Ziel in der Prävention ist es, solche bedrohlich­en Situatione­n zu erkennen und zu entschärfe­n, bevor sie eskalieren.

Sind Behörden und Helfer ausreichen­d sensibilis­iert?

Es gibt große Fortschrit­te, etwa bei der Polizei, die ja oft die ersten sind, die zu solchen Konflikten gerufen werden. Dennoch braucht es interdiszi­plinäre Fortbildun­gen wie unser E-learning-angebot gerade auch für Angehörige der Heilberufe und Familienri­chter. Das Problem ist, dass das Thema extrem schambeset­zt ist und Opfer sich scheuen, Hilfe anzunehmen. Da heißt es für Heilberufe und Fachkräfte in der Sozialarbe­it, den eigenen Wahrnehmun­gen zu trauen. Auch an Familienge­richten ist das Wissen um diese Extremform­en der familiären Gewalt noch nicht verbreitet genug. Dies ist wichtig für den Kinderschu­tz, denn es gab Fälle, wo ohne konkrete Gefährdung­seinschätz­ung entschiede­n wurde, der Vater muss das Recht haben, das Kind zu sehen – und der die Gelegenhei­t nutzte, um es umzubringe­n.

Ich kann den Ex-partner am stärksten treffen, wenn ich dem Kind Leid zufüge.

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Schock, Emotion, Mitgefühl: Bluttaten in Familien lösen wirken wie ein Einbruch in eine heile Welt. Doch so heil ist diese Welt meist nicht.

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