Heidenheimer Neue Presse

Merkel auf Abschiedst­our

Zum letzten Mal stellt die Kanzlerin sich den Fragen der Hauptstadt­journalist­en. Dabei macht sie eines klar: Bis zum Ende ihrer Amtszeit bleibt sie im Krisenmodu­s.

- Angela Merkel (CDU) Bundeskanz­lerin Von Dorothee Torebko

Was werden Sie am Abend der Bundestags­wahl tun?“, wird Angela Merkel am Donnerstag in der Bundespres­sekonferen­z gefragt. „Um 18 Uhr werde ich in Kontakt zu der Partei sein, die mir nahesteht“, sagt die Bundeskanz­lerin. Ein Lachen brandet im Raum auf, und die Kanzlerin merkt, dass das doch ein bisschen diplomatis­ch ausgedrück­t war. Merkel lächelt und schiebt schnell hinterher: „Und deren Mitglied ich bin. Sie steht mir nahe, und ich bin ihr Mitglied – also ein doppeltes Bekenntnis.“

Gemeint ist natürlich die CDU. Klar, weiß ja jeder. Ab Herbst wird Angela Merkel zum ersten Mal seit 16 Jahren nicht in der ersten Reihe ihrer Partei stehen. Sie wird nicht mehr die zentrale politische Figur des Landes sein. Vorbei.

Merkel erlebt in diesen Tagen ziemlich viele letzte Male. Wäre sie ein Rockstar und wäre gerade kein Corona, würde man wohl von einer Abschiedst­ournee sprechen. An diesem Donnerstag in Berlin war das Stück „Merkel und die Presse“dran. Die Kanzlerin stellte sich zum letzten Mal in ihrer Sommerkonf­erenz den Fragen der Hauptstadt­journalist­en.

Insgesamt 29 Auftritte hat die Kanzlerin in der Bundespres­sekonferen­z inzwischen hingelegt, allein vier davon während der Pandemie. Zu den großen Krisen ihrer Kanzlersch­aft nahm sie hier Stellung. Davon gab es einige: Finanzkris­e, Eurokrise, Flüchtling­skrise, Corona und nun die Hochwasser-katastroph­e im Westen der Republik. Im Sommer 2015 fiel ihr wohl berühmtest­er Satz „Wir schaffen das“. Eins hatten die Stunden mit den Journalist­en alle gemein: Sie sind ein Stimmungsu­nd Lagebild der Nation.

Entspreche­nd groß ist der Andrang normalerwe­ise, nahezu jeder Platz ist besetzt, und die Luft ist nach kurzer Zeit zum Schneiden dick. Dieses Mal ist (wieder) etwas anders: Wie schon im ersten Corona-jahr sind die Reihen ausgedünnt. Merkel ist in ihren letzten Tagen im Kanzleramt im doppelten Krisenmodu­s.

Und die Kanzlerin wäre nicht die Kanzlerin, wenn sie diesen zweifachen Stresstest für das

Land nicht in einfache Worte fasste: „Wir haben schrecklic­hes Hochwasser, und die Infektione­n steigen“, sagt Merkel.

Doch der Reihe nach. Da wäre also zunächst das vermutlich größte Thema ihrer Kanzlersch­aft, die größte Krise in der Geschichte der Bundesrepu­blik, die Pandemie, die das Land seit knapp 17 Monaten fest im Griff hat. Nur gemeinsam könne sie überwunden werden, wirbt die Kanzlerin und richtet sich an die Hälfte der Deutschen, die noch nicht geimpft wurden. „Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein.“Sie habe auch nichts dagegen, die Ministerpr­äsidentenk­onferenz vorzuziehe­n, um nochmal über Corona zu beraten, sagt sie und schaut dabei, als wolle sie sagen: Wenn’s denn hilft.

Solidaritä­t sei auch mit den Opfern der Hochwasser-katastroph­e in NRW und Rheinland-pfalz gefragt. „Wir werden beim Wiederaufb­au einen langen Atem brauchen“, kündigt Merkel an. Nach der Soforthilf­e des Bundes in Höhe von 200 Millionen Euro könnte es auch einen Aufbaufond­s geben.

Merkel ist auch in ihrer letzten großen Pressekonf­erenz genauso, wie die Bürger sie kennen: nüchtern, faktenorie­ntiert, spröde. Als ein Fragestell­er einen Riss in der Koalition und ihrer Partei ausmachen will und das Wort stetig wiederholt, pariert sie mit der Frage: „Gibt es außer Rissen noch etwas Anderes, was Sie interessie­rt?“

Gibt es. Was sie denn in ihrer Amtszeit bereue, wird Merkel gefragt. Es ist der einzige Moment, in denen es still im Raum wird und die Kanzlerin mehrere Sekunden überlegen muss. „Schwierig“, beginnt sie dann. „Ich habe zu lange am Kyoto-protokoll festgehalt­en“, sagt sie zuerst. Das Protokoll beinhaltet Begrenzung­sund Reduzierun­gspflichte­n vieler Industriel­änder in der Klimapolit­ik – von einem der größten Klimasünde­r, den USA, wurde es nicht unterschri­eben. Da sei aber noch eine weitere Sache, die ihr nicht gelungen sei, sagt Merkel. Die Menschen im ländlichen Raum müssten mitgenomme­n werden beim Klimaschut­z. Für sie müsste ein Anreiz gesetzt werden, dann stoße Klimaschut­z auch auf weniger Widerstand. Eine Lösung dafür zu finden, sei ihr nicht gelungen.

Das bleibt dann wohl für den Nachfolger. In ihrer Zeit als Kanzlerin wurden einige Klimaschut­zmaßnahmen auf den Weg gebracht: Der Atomaussti­eg wurde ebenso wie der Kohleausst­ieg beschlosse­n. Das ist aber eben nicht genug, meint auch Merkel. Gemessen an dem Ziel, den weltweiten Klimaansti­eg bis auf zwei Grad zu begrenzen, sei in ihrer Kanzlersch­aft „nicht ausreichen­d viel passiert“, räumt sie ein. Deshalb müsse jetzt das Tempo angezogen werden. Ein Schuldeing­eständnis ist das aber nicht. „Ich bin der Meinung, dass ich sehr, sehr viel Kraft für den Klimaschut­z aufgewandt habe“, betont sie.

Nach gut 90 Minuten ist dann Schluss. „Dankeschön. Es war mir eine Freude“verabschie­det sich Merkel. Keine Zugabe.

Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein.

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Foto: Stefanie Loos/afp Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei ihrem letzten Auftritt vor der Bundespres­sekonferen­z.

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