Heidenheimer Neue Presse

Die Kehrtwende

Jahrelang plant das Kultusmini­sterium Microsoft-produkte für die Bildungspl­attform ein. Nun kommt die Bremse – mit unabsehbar­en Folgen.

- Von Axel Habermehl

An einem Freitag im Juni 2018 fand in Stuttgart ein Treffen statt, dessen Folgen die Schulpolit­ik in Baden-württember­g bis zum heutigen Tag beschäftig­en. Die Amtschefin der damaligen Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) kam mit dem Landesbeau­ftragten für Datenschut­z und Informatio­nsfreiheit (LFDI) Stefan Brink zusammen. Thema: Bewertung eines Einsatzes von „Microsoft Office 365“im Rahmen einer digitalen Bildungspl­attform für Schulen.

Ein heikles Treffen. Denn dass man im Ministeriu­m über Microsoft-produkte für jene Plattform nachdachte, auf der der Schulunter­richt im Land ins digitale Zeitalter transferie­rt werden soll, war öffentlich unbekannt. Das Treffen fand gut drei Monate vor jenem denkwürdig­en Tag statt, an dem Eisenmann öffentlich­keitswirks­am das bisherige Projekt unter dem Namen „Ella“stoppte.

„Ella“ging als Millioneng­rab in die schulpolit­ische Geschichte des Landes ein. Später stellte sich heraus, dass Eisenmann, die das Projekt von der Vorgängerr­egierung geerbt hatte, mit der Entscheidu­ng Kosten von rund 6,5 Millionen Euro in Kauf nahm – und einen kompletten Neustart.

Bei diesem setzten Eisenmanns Leute schnell vor allem auf eine Karte: Microsoft. Zwar sollte die geplante Plattform aus einer Reihe

von Bausteinen zusammenge­fügt werden: Lernmanage­mentsystem­e, Chatmessen­ger und mehr. Doch für wichtige Module wie Lehrer-mailadress­en, Bürosoftwa­re und einen Cloudspeic­her plante man „Office 365“ein.

Brinks Skepsis, ob dies alles mit dem Datenschut­z vereinbar ist, wischte man in der eigens für das Projekt eingericht­eten Stabsstell­e beiseite. Seit dem gestrigen Donnerstag ist klar: Die Pläne sind erneut gescheiter­t. Am Vormittag ließ Eisenmanns Nachfolger­in, die neue Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne), ein Schreiben an alle Schulen im Land verschicke­n. Darin teilt sie mit, dass sie aufgrund von Datenschut­z-bedenken entschiede­n habe, Aufträge für mehrere wichtige Bausteine der Plattform auszuschre­iben.

Negativer Modellvers­uch

Schopper trägt damit Brinks Vorbehalte­n Rechnung. Der hatte Ende April nach einer Auswertung eines Pilotproje­kts zu den Microsoft-komponente­n empfohlen, „von der Nutzung der erprobten Ms-produkte im Schulberei­ch abzusehen“. Nicht nur hatte er „zahlreiche Datentrans­fers in die USA, die nicht unterbunde­n werden können“, festgestel­lt, was laut Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs problemati­sch sei. Auch verarbeite Microsoft Nutzerdate­n „im Wege der

Beobachtun­g, Aufzeichnu­ng und Auswertung des Nutzer- und Geräteverh­altens ohne erkennbare Rechtsgrun­dlage“weiter. Dies sei besonders problemati­sch, als es sich bei Nutzern künftig um minderjähr­ige Schüler handeln könnte.

Schopper schreibt nun, sie habe Brinks „Empfehlung für den Schulberei­ch akzeptiert“. Durch die Ausschreib­ung wolle man „so bald wie möglich eine sichere und datenschut­zkonforme Lösung zur Verfügung stellen“.

Klar ist: Das Projekt, das auf einen Kabinettsb­eschluss aus dem Jahr 2015 zurückreic­ht, verzögert sich erneut. Intern rechnet man im Ministeriu­m mit mindestens einem bis anderthalb Jahre. Auch die Kosten des Projekts dürften steigen. Die Preise von Microsoft, das haben Ministeria­le oft betont, seien konkurrenz­los günstig.

Völlig unklar ist, was der Schritt für rund 1200 Schulen im Land bedeutet, die Microsoft-software wie das Programm „Teams“bereits auf eigene Verantwort­ung für Unterricht nutzen. Schopper schreibt zwar: „Soweit Schulen derzeit Microsoft Produkte einsetzen, wird der LFDI diese mit Blick auf die Gesamtlösu­ng nicht pauschal untersagen, bis das Land eine datenschut­zkonforme Lösung gesamtheit­lich zur Verfügung stellt.“Sie freue sich sehr, „dass wir gemeinsam mit dem LFDI nun eine Lösung im Sinne der Schulen gefunden haben und damit die Durchführu­ng digitalen Unterricht­s auch zukünftig an den Schulen sichergest­ellt werden kann“.

Doch so einfach ist es wohl nicht. Brink bestätigte zwar gegenüber dieser Zeitung, dass er kein pauschales Verbot auszusprec­hen gedenke. Er setze auf Kooperatio­n und Beratung der Schulen. Jedoch sagt er auch: „Das ist kein Freibrief und keine pauschale Duldung. Wir gehen auch weiterhin jeder Beschwerde über die Nutzung von Microsoft-produkten an Schulen nach.“Derzeit lägen seiner Behörde Beschwerde­n in einer hohen zweistelli­gen Zahl vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany