Geistige Frischluft
Es ist ein fröhliches Wiedersehen: „Reconnect“– erneut verbinden – lautet das Motto der Frankfurter Buchmesse, die an diesem Dienstagabend eröffnet wird. Nach einer weltweiten „Kontaktstörung“also, nach einer nur digitalen Ausgabe im vergangenen Jahr, freuen sich die Veranstalter auf die persönliche Begegnung in den Hallen: Denn die Buchmesse war ja nie nur ein Marktplatz, sondern auch die größte Buchhandlung, die sich denken lässt, der imposanteste Leseabenteuer-spielplatz. So vermittelt auch die Buchmesse die ersehnte Aufbruchstimmung. Die Pandemie freilich bleibt gegenwärtig: Waren es 2019 knapp 7500 Aussteller aus 125 Ländern und insgesamt 300 000 Besucherinnen und Besucher, so dürfen jetzt täglich höchstens 25 000 Menschen in die Messehallen, für die sich 1800 Aussteller aus über 70 Länder angemeldet haben. „100 Prozent Frischluftzufuhr in den Innenräumen“sei dabei nach dem Hygienekonzept gewährleistet. Das sollte man gerne auch bildlich verstehen, als Empfehlung für zu Hause: Denn nicht nur für gute Unterhaltung, sondern für geistige Frischluftzufuhr sorgen im besten Falle die Autorinnen und Autoren, die Verlage mit ihren Büchern. Der Buchmarkt ist ganz gut durchs Corona-jahr 2020 gekommen. So wuchs der Bereich „Belletristik“im Vergleich zu 2019 um vier Prozent, in den Lockdowns hat sich das Kulturgut Buch nicht zuletzt dank leidenschaftlich dafür kämpfender Buchhändlerinnen und Buchhändler als resilient gezeigt. Und es gab besondere Gewinner, das Kinder- und Jugendbuch profitierte nachhaltig: Seit der Pandemie lesen 34 Prozent der 10- bis 19-Jährigen häufiger. So trifft eine andere Krise den Buchmarkt auf dem falschen Fuß: Das Papier ist knapp und teuer, was sich auf die Produktion von Büchern, deren Lieferbarkeit und den Preis deutlich niederschlagen kann. Ein elitärer Luxus wie im Mittelalter wird das Buch aus Papier aber hoffentlich nicht. Und für den reinen Lesestoff gibt’s ja das E-book; 35,8 Millionen Verkäufe waren es 2020, Tendenz steigend. Aber auch hier herrscht Stress. Prominente Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Daniel Kehlmann, Charlotte Link, Juli Zeh oder Ferdinand von Schirach wehren sich derzeit mit der Initiative „Fair Lesen“dagegen, dass die Politik ihre ökonomische Grundlage ruiniert. Der Bundesrat hatte im März vorgeschlagen, dass Verlage künftig verpflichtet sein sollen, E-books bereits bei Erscheinen
Der Buchmarkt ist ganz gut durch das Corona-jahr gekommen. Doch nun gibt es Stress wegen E-books.
den Bibliotheken für die digitale Ausleihe zur Verfügung zu stellen. Schon jetzt läuft fast die Hälfte des E-book-konsums über öffentliche Bibliotheken, nur dass die Verlage die Titel erst viel später dorthin abgeben, weil sie auch noch etwas verkaufen wollen. Literatur zur billigen Flatrate? Verständlich, dass die Autorinnen und Autoren protestieren, wenn ihr Content verscherbelt wird. Auch für solche Kontaktstörungen ist eine Buchmesse unter dem Motto „Reconnect“gut: um sich wieder zu verbinden. Besser: um sich für das Buch zu verbünden.