Heidenheimer Neue Presse

Von Risiken und Nebenwirku­ngen

Für den Herbst hat Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach neue Impfstoffe angekündig­t – wie aber sieht es mit der Sicherheit der bisher verwendete­n Vakzine aus?

- Von Hajo Zenker

Ab Herbst, sagt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD), sollen drei Arten von Corona-impfstoffe­n zur Wahl stehen: Die bereits verfügbare­n Impfstoffe, also Biontech, Moderna, Johnson & Johnson und Novavax. Zudem ein Omikron-vakzin von Biontech und schließlic­h von Moderna eine Kombinatio­n aus Omikronund bisherigem Impfstoff. Wann es soweit ist, hängt vom Zeitpunkt der Zulassung ab. Und die muss etwa mögliche Nebenwirku­ngen im Blick haben.

Doch auch wenn ein Vakzin bereits massenhaft verimpft wurde, müssen die Wirkungen genau beobachtet werden. Dass sich dabei die Gefahrenei­nschätzung ändern kann, sieht man in Amerika. Die Us-arzneimitt­elbehörde FDA hat den Zugang zu Johnson & Johnson stark eingeschrä­nkt. Nur noch Menschen, die aus medizinisc­hen Gründen Biontech oder Moderna nicht erhalten können, oder „die persönlich­e Bedenken“bei mrna-vakzinen hätten, sollten J&J erhalten. Grund dafür sei das erhöhte Risiko schwerer Blutgerinn­sel. 60 Fälle von Thrombosen wurden festgestel­lt, neun davon seien tödlich verlaufen. Hierzuland­e hält die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) J&J nur für Menschen ab 60 Jahren für verwendbar.

Über alle Impfstoffe gesehen wurden dem Paul-ehrlich-institut (PEI) bis Ende März 296 233 Verdachtsf­älle von Nebenwirku­ngen gemeldet – 1,7 Meldungen pro 1000 Impfdosen, für schwerwieg­ende Reaktionen 0,2 Meldungen pro 1000. Dabei liegen der nicht mehr verwendete Impfstoff von Astrazenec­a und J&J über dem

Schnitt. Beides sind Vektorimpf­stoffe, jeweils sind Thrombosen das Problem. Bei den mrNa-impfstoffe­n sind es Herzmuskel­entzündung und Entzündung des Herzbeutel­s. Laut Zahlen aus Skandinavi­en liegt die Risikoerhö­hung für beide Erkrankung­en bei Biontech bei 4 bis 7 zusätzlich­en Erkrankung­en pro 100 000 Geimpften. Bei Moderna seien es 9 bis 21, zumeist seien jüngere Männer bis 29 Jahren betroffen. Moderna wird von der Stiko erst ab 30 Jahren empfohlen. Wobei die Deutsche Herzstiftu­ng darauf verweist, dass das Risiko einer Herzmuskel­entzündung durch

Covid-19 vierfach so hoch sei wie nach einer Impfung. Auch tödliche Verläufe halten sich offizielle­n Angaben zufolge in Grenzen. Demnach wurden 2810 Fälle mitgeteilt, bei 116 wurde vom PEI ein ursächlich­er Zusammenha­ng anerkannt.

Wie stark spiegeln die Pei-daten die Realität wider? Geht es nach „Impfsurv“, einer Impfdatens­ammlung der Berliner Charité, nur bedingt. Dort konnten Geimpfte im Internet Angaben machen. Laut dem Verantwort­lichen Harald Matthes hätten 8 von 1000 Geimpften mit schweren Nebenwirku­ngen zu kämpfen – das Vierzigfac­he dessen, was das PEI angibt. Dagegen lässt die Charité wissen, es handele sich um eine offene Umfrage und nicht um eine wissenscha­ftliche Studie.

Für ähnliche Aufregung hatte die Krankenkas­se BKK Provita gesorgt. Deren damaliger Chef Andreas Schöfbeck hatte im Februar anhand von Abrechnung­sdaten hochgerech­net, dass sich im Jahr zweieinhal­b bis drei Millionen Deutsche wegen Impfnebenw­irkungen in ärztliche Behandlung begeben würden. Einbezogen waren diverse Diagnoseco­des von Ärzten, die neben größeren Problemen auch milde Impfreakti­onen beinhaltet­en, die dem PEI nicht gemeldet werden müssen. Der Verwaltung­srat entließ Schöfbeck, der eine „ablehnende Haltung gegenüber der Impfung“gehabt habe.

Dass es zu solchen Auseinande­rsetzungen kommen kann, hat aber auch mit einem „Blindflug im Datennebel“zu tun, den der Cdu-gesundheit­spolitiker Erwin Rüddel in der Impfpflich­tdebatte beklagt, weshalb er ein Impfregist­er gefordert hatte. Denn in Deutschlan­d, so das RKI, „existiert kein einheitlic­hes umfassende­s System zur Erhebung von Impfdaten“.

Auch der Virologe Ulf Dittmer von der Uniklinik Essen vermisst ein „ordentlich­es Meldewesen zu Impfreakti­onen“, wie das etwa in Skandinavi­en selbstvers­tändlich ist. Zwar sind alle Ärzte verpflicht­et, Nebenwirku­ngen an das PEI zu melden, allerdings gibt es immer wieder Berichte von Patienten, nach denen von ihnen vermutete Nebenwirku­ngen von Ärzten nicht ernst genommen würden. Dazu kommt der bürokratis­che Aufwand, der offenbar abschreckt. Die Notärztin und Tübinger Pandemiebe­auftragte Lisa Federle hatte schon zu Jahresbegi­nn darauf verwiesen, dass das Ausfüllen des Formulars lange dauere. Dabei seien mehr Daten nötig, um Misstrauen begegnen zu können.

Das PEI jedenfalls prüft die Verdachtsf­älle anhand von Daten der Krankenkas­sen. Die aber liegen mit sechsmonat­iger Verzögerun­g vor und sind unvollstän­dig, so Stiko-chef Thomas Mertens. Für die Ärzte der Gesundheit­sämter sollte es deshalb auch ohne allgemeine Impfpflich­t ein Impfregist­er geben – auch für noch folgende Pandemien. Es sei, so Johannes Nießen, der Chef des Bundesverb­andes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlich­en Gesundheit­sdienstes (BVÖGD), „ganz, ganz wichtig“, dass dieses komme – und zwar „möglichst bald“.

Weil es kein einheitlic­hes System gibt, das Probleme erfasst, ist Streit programmie­rt.

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Foto: Moritz Frankenber­g/dpa Impfung gegen Covid. Doch problemati­scher als gedacht?

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