Heidenheimer Neue Presse

Wenn Männer Frauen töten

Bisher gibt es kaum wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen zur Tötung von Frauen. Eine Studie des kriminolog­ischen Instituts in Tübingen will das ändern.

- Von Esther Lehnardt

Erst vor einer Woche wurde in Eberdingen-nußdorf eine 33-jährige Frau und ihre sechsjähri­ge Tochter mit einem Messer getötet – mutmaßlich­er Täter ist ihr Mann. Staatsanwa­ltschaft und Polizei berichten, dass die Frau sich von ihrem Mann trennen wollte. Die Tat ist kein Einzelfall.

18 Frauen sind in Baden-württember­g 2021 von ihren Partnern tödlich verletzt worden. Im selben Zeitraum gab es drei männliche Opfer. Durchschni­ttlich versucht jeden Tag ein Mann in Deutschlan­d seine Partnerin oder Ex-partnerin zu töten – jeden dritten Tag gelingt es einem. Zeitungen betiteln die Taten oft mit „Familiendr­ama“. Die Wissenscha­ft nennt sie „Femizide“. Doch es gibt in Deutschlan­d bislang kaum wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen zum Thema. Das will eine Studie des Instituts für Kriminolog­ie der Universitä­t Tübingen (IFK) und des Kriminolog­ischen Forschungs­instituts Niedersach­sen (KFN) nun ändern.

„Ausgangspu­nkt unserer Studie war, dass das Wort Femizid in aller Munde ist“, sagt Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminolog­ie in Tübingen. Eine empirische Definition des Wortes gebe es aber nicht. Erstmals verwendet hat den Begriff die Soziologin Diana Russell 1976. Sie definierte Femizid als „die Tötung einer oder mehrerer Frauen durch einen oder mehrere Männer, weil die Frauen, Frauen sind.“Diese Definition ist Kinzig im Sinne der Wissenscha­ft zu weit und zu unbestimmt.

Um eine wissenscha­ftlich belastbare­re Definition zu erarbeiten, analysiere­n Kinzig und seine Kolleginne­n und Kollegen Strafverfa­hrensakten aus den Bundesländ­ern Baden-württember­g, Berlin, Niedersach­sen und Rheinland-pfalz aus dem Jahr 2017. 352 Frauen wurden im besagten Jahr in den vier Bundesländ­ern getötet – fast eine am Tag.

Akten sollen Aufschluss geben

Ob es sich dabei um Femizide handelt, versuchen die Kriminolog­innen und Kriminolog­en zu ergründen. So hoffen sie herauszufi­nden, wie oft Femizide vorkommen und welche unterschie­dlichen Arten von Frauenfein­dlichkeit den Taten zugrunde liegen. „Bei Tötungsdel­ikten

wird sehr umfangreic­h ermittelt. Es gibt häufig Gutachten über den meistens männlichen Straftäter“, erläutert Kinzig die Methode. Eine weitere Frage ist, wie Gerichte mit den Taten umgehen. Denn „Femizid ist in Deutschlan­d bisher kein Rechtsbegr­iff“, sagt der gelernte Jurist.

Zahlen nicht aufgeführt

Wird eine Frau getötet, taucht das nicht gesondert in der Polizeilic­hen Kriminalst­atistik Badenwürtt­emberg auf. Auch die Opfer von Partnersch­aftsgewalt werden nicht getrennt nach Geschlecht aufgeführt. Das Innenminis­terium versieht die kurze Tabelle lediglich mit dem Hinweis, dass 81 Prozent aller Opfer von Partnersch­aftsgewalt weiblich seien.

„Die Zahlen sind seit Jahren hoch“, sagt Liane Wacker, Fachberate­rin Frauen helfen Frauen e.v. Stuttgart und Verbandsrä­tin für den Südwesten im Bundesverb­and Frauenbera­tungsstell­en und Frauennotr­ufe. Sie hofft, dass die Studie aus Tübingen eine gesellscha­ftliche Debatte über Femizide anstößt. Noch werde zu wenig getan, um Frauen zu schützen. Vor allem nach Trennungen seien Frauen besonders gefährdet.

Um Frauen zu schützen, verwenden die Beratungss­tellen Gefährdung­sanalyseto­ols. Damit schätzen sie gemeinsam mit der Frau die Situation ein und helfen.

Der Bedarf ist jedoch höher als das Angebot. In Stuttgart gibt es ungefähr 7000 Fälle akuter häuslicher Gewalt pro Jahr. Die Fachberatu­ngsstellen können nur ungefähr zehn Prozent davon betreuen. Die Warteliste­n sind lang. „Zeitnah reagieren ist aber besonders in Hochrisiko­fällen ein entscheide­nder Faktor“, so Wacker.

Die Beraterin wünscht sich, dass auch Polizei und Behörden besser mit den Beratungss­tellen kooperiere­n. „In Baden-württember­g ist die Situation schlechter als zum Beispiel in Rheinland-pfalz“, sagt sie. Denn das Polizeiges­etz im Südwesten erlaubt bislang nur behördenüb­ergreifend­e Fallkonfer­enzen. Beratungss­tellen können ihre Expertise bei der Risikoeins­chätzung also nicht einbringen.

Die Studie aus Tübingen könnte neue Impulse setzen, damit weniger Frauen sterben müssen, weil sie Frauen sind. Grundsätzl­ich hält es Kinzig zum Beispiel für denkbar, dass eine von den Forschende­n entwickelt­e Definition als Kategorie in die Polizeilic­he Kriminalst­atistik aufgenomme­n werden könnte. Die Studie habe jedoch keine rechtspoli­tischen Ziele. „Wir möchten Grundlagen­forschung leisten“, so der Kriminolog­e. Auf die Ergebnisse dieser Forschung müssen Betroffene­nverbände und Politik noch warten. Angelegt ist die Studie nämlich auf drei Jahre.

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