Wer sind die Älteren in Deutschland?
Richtet sich in der Politik inzwischen alles nach den Älteren – oder trügt dieser Eindruck? Und sind Rentnerinnen und Rentner überwiegend arm? Ein Blick auf die alternde Gesellschaft.
Den Alten wird gegeben, den Jungen genommen – so lautet die Kritik an der jüngsten Rentenreform der Bundesregierung. Die Einigung auf das Rentenpaket sei ein weiterer Beleg dafür, dass sich die Politik vor allem um die immer größer werdende Gruppe der Seniorinnen und Senioren kümmert. Aber stimmt das? Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Thema alternde Gesellschaft.
Haben die Älteren in der Politik zu großen Einfluss – was sagen die Jungen?
Johannes Winkel, Chef der Jungen Union, sieht diese Gefahr. „Natürlich richtet sich die Politik unter anderem danach, wie groß die Wählergruppen sind, die angesprochen werden sollen“, sagt der 32-Jährige. Das sei „nicht verwerflich“; nur dürfe man daraus nicht den Schluss ziehen, nachkommende Generationen komplett zu vernachlässigen. Damit Jüngere bei der zahlenmäßigen Übermacht der Älteren nicht untergebuttert werden, empfiehlt er ihnen, sich mehr und längerfristig für ihre politischen Ziele einzusetzen. „Das Engagement in Initiativen ist gut. Konkrete politische Entscheidungen werden aber in Parteien getroffen und in Parlamenten umgesetzt“, betont er. Wer entscheiden wolle, müsse daher in eine Partei eintreten.
Haben sie zu großen Einfluss – wie sehen Ältere das selbst?
Bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (Bagso) bestreitet man, dass Politik hauptsächlich für Ältere gemacht wird. „Auch Frauen sind unter den Wählern überrepräsentiert. Man hat aber nicht den Eindruck, dass Politik nur noch für Frauen gemacht wird“, sagt Bagso-vorsitzende Regina Görner. Sie kritisiert, dass Ruheständler von manchen als „homogene Masse“gesehen würden, „die nur ihre Rente und abgesenkte Bordsteine im Blick haben“. Das Gegenteil sei richtig: „Ältere interessieren sich heutzutage besonders stark für die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Deshalb engagieren sich viele Seniorinnen und Senioren zum Beispiel bei Fridays for Future und ,Omas gegen Rechts‘“.
Die aktuelle Rentenpolitik – inwiefern profitieren vor allem Ältere?
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) versichern: Die Rente soll trotz knapper Kassen und absehbar immer weniger Beitragszahlern „dauerhaft“entsprechend den allgemeinen Lohnsteigerungen angehoben werden. Dass damit auch die Rentenbeiträge steigen werden, erscheint unvermeidlich.
Ju-chef Winkel hält diese Entwicklung für katastrophal. Die Rentenlasten würden „nicht mehr fair auf alle Generationen verteilt“. So sei jetzt schon klar, dass der von allen zu tragende Steueranteil an den Renten ebenso weiter steigen werde wie der Beitrag zur Rentenversicherung. Bei den Seniorenorganisationen sieht man das etwas anders. Entscheidend
für die Zukunft des Rentensystems sei, „wie viele in der jüngeren Generation sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, und ob sie in ihren Berufen ein gutes Einkommen erzielen“, sagt Bagso-chefin Görner.
Sollen fitte Ältere weiterarbeiten? Einig sind der Ju-chef und die
Bagso-vorsitzende darin, dass Ältere nur dann weiterarbeiten sollen, wenn sie das auch möchten. Görner betont aber, viele Frauen seien im Alter dazu gezwungen zu arbeiten, weil sie schlecht in der Rente abgesichert seien.
Wie viele Rentnerinnen und Rentner sind von Armut bedroht? In
Deutschland geht es bei der Armutsgefährdung in der Regel um eine relative Armut. Nach EU-DEfinition gilt eine Person als armutsgefährdet, wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung zur Verfügung hat. 2022 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1250 Euro netto im Monat. Gemäß der Eu-definition waren 14,7 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht. Mit 18,3 Prozent lag die Armutsrisikoquote für Personen ab 65 Jahren in Deutschland klar über diesem Durchschnittswert.
Wie viele beziehen Grundsicherung im Alter?
Knapp 1,2 Millionen Personen haben im Dezember 2022 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezogen. Laut Statistischem Bundesamt waren das knapp 67 000 mehr als im Dezember 2021. Nach Angaben des früheren Generalsekretärs des Deutschen Caritasverbandes, Georg Cremer, gab es bei deutschen Staatsbürgern in diesem Zeitraum lediglich einen minimalen Anstieg, bei Menschen mit ausländischer
Staatsbürgerschaft hingegen einen Anstieg um mehr als ein Viertel. Hintergrund: Seit dem 1. Juni 2022 können Geflüchtete aus der Ukraine Leistungen der Grundsicherung im Alter beantragen. „Das schlägt sich in den aktuellen Zahlen deutlich nieder“, sagt Cremer.
Warum ist die Gleichsetzung von Hilfebezug und Armut problematisch?
„Wir messen ein Problem anhand der Hilfen, die der Sozialstaat bereitstellt. Wenn er mehr hilft, scheint das Problem größer zu werden“, sagt Cremer. Zudem gebe es eine hohe Dunkelziffer. Denn Untersuchungen zufolge verzichtet etwa die Hälfte der Grundsicherungsberechtigten auf ihren Anspruch.
Wie werden Ruheständler in der Werbung dargestellt?
Vor allem als verletzliche Gruppe: In der Arzneimittelwerbung sind Rentnerinnen und Rentner in der Regel abgeschlafft, haben Schmerzen, Männer müssen nachts regelmäßig raus auf die Toilette. Für die auch bei der älteren Generation beliebten Luxusartikel wie Parfüm,
Schmuck oder Sportwagen wird – entgegen dem Konsumverhalten – meist mit jungen Models geworben.
Welche Rolle spielen Ältere als Konsumenten?
Sie werden als Konsumgruppe immer wichtiger. „Man kann davon ausgehen, dass bis in zehn Jahren ungefähr ein Drittel der Konsumenten über 60 ist“, sagt Andrea Gröppel-klein, Direktorin des Instituts für Konsumund Verhaltensforschung an der Universität des Saarlandes. „Es wäre ein großer Fehler, die Älteren zu unterschätzen. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht“, betont die Konsumforscherin.
Das Institut der deutschen Wirtschaft hat 2021 die Konsumpotenziale je nach Altersgruppen untersucht. Das Ergebnis: Die sogenannte Konsumquote, die angibt, wie hoch die Konsumausgaben (prozentual gemessen am ausgabefähigen Einkommen) sind, ist bei den 65- bis 69-Jährigen mit 84 Prozentpunkten am höchsten. Zum Vergleich: Bei den 25- bis 55-Jährigen liegt sie bei unter 70 Prozent.
Wofür geben Rentner durchschnittlich am meisten Geld aus?
Untersuchungen zeigten, dass Senioren häufiger einkaufen als junge Menschen und bei Produkten des täglichen Bedarfs besonders oft die Marke wechseln, sagt Wissenschaftlerin Gröppel-klein. Im Bereich Freizeit unterscheiden sich die Ausgaben der Senioren im Schnitt kaum von denen der 25bis 34-Jährigen. „Ältere Menschen wollen am gesellschaftlichen Leben teilhaben“, betont Gröppel-klein. Dafür seien sie bereit – wenn die finanzielle Situation es zulässt –, viel Geld auszugeben.