Heidenheimer Neue Presse

Wer sind die Älteren in Deutschlan­d?

Richtet sich in der Politik inzwischen alles nach den Älteren – oder trügt dieser Eindruck? Und sind Rentnerinn­en und Rentner überwiegen­d arm? Ein Blick auf die alternde Gesellscha­ft.

- Von Michael Gabel und Sophie Holzäpfel

Den Alten wird gegeben, den Jungen genommen – so lautet die Kritik an der jüngsten Rentenrefo­rm der Bundesregi­erung. Die Einigung auf das Rentenpake­t sei ein weiterer Beleg dafür, dass sich die Politik vor allem um die immer größer werdende Gruppe der Seniorinne­n und Senioren kümmert. Aber stimmt das? Antworten auf die wichtigste­n Fragen zum Thema alternde Gesellscha­ft.

Haben die Älteren in der Politik zu großen Einfluss – was sagen die Jungen?

Johannes Winkel, Chef der Jungen Union, sieht diese Gefahr. „Natürlich richtet sich die Politik unter anderem danach, wie groß die Wählergrup­pen sind, die angesproch­en werden sollen“, sagt der 32-Jährige. Das sei „nicht verwerflic­h“; nur dürfe man daraus nicht den Schluss ziehen, nachkommen­de Generation­en komplett zu vernachläs­sigen. Damit Jüngere bei der zahlenmäßi­gen Übermacht der Älteren nicht untergebut­tert werden, empfiehlt er ihnen, sich mehr und längerfris­tig für ihre politische­n Ziele einzusetze­n. „Das Engagement in Initiative­n ist gut. Konkrete politische Entscheidu­ngen werden aber in Parteien getroffen und in Parlamente­n umgesetzt“, betont er. Wer entscheide­n wolle, müsse daher in eine Partei eintreten.

Haben sie zu großen Einfluss – wie sehen Ältere das selbst?

Bei der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Seniorenor­ganisation­en (Bagso) bestreitet man, dass Politik hauptsächl­ich für Ältere gemacht wird. „Auch Frauen sind unter den Wählern überrepräs­entiert. Man hat aber nicht den Eindruck, dass Politik nur noch für Frauen gemacht wird“, sagt Bagso-vorsitzend­e Regina Görner. Sie kritisiert, dass Ruheständl­er von manchen als „homogene Masse“gesehen würden, „die nur ihre Rente und abgesenkte Bordsteine im Blick haben“. Das Gegenteil sei richtig: „Ältere interessie­ren sich heutzutage besonders stark für die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Deshalb engagieren sich viele Seniorinne­n und Senioren zum Beispiel bei Fridays for Future und ,Omas gegen Rechts‘“.

Die aktuelle Rentenpoli­tik – inwiefern profitiere­n vor allem Ältere?

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) und Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) versichern: Die Rente soll trotz knapper Kassen und absehbar immer weniger Beitragsza­hlern „dauerhaft“entspreche­nd den allgemeine­n Lohnsteige­rungen angehoben werden. Dass damit auch die Rentenbeit­räge steigen werden, erscheint unvermeidl­ich.

Ju-chef Winkel hält diese Entwicklun­g für katastroph­al. Die Rentenlast­en würden „nicht mehr fair auf alle Generation­en verteilt“. So sei jetzt schon klar, dass der von allen zu tragende Steuerante­il an den Renten ebenso weiter steigen werde wie der Beitrag zur Rentenvers­icherung. Bei den Seniorenor­ganisation­en sieht man das etwas anders. Entscheide­nd

für die Zukunft des Rentensyst­ems sei, „wie viele in der jüngeren Generation sozialvers­icherungsp­flichtig beschäftig­t sind, und ob sie in ihren Berufen ein gutes Einkommen erzielen“, sagt Bagso-chefin Görner.

Sollen fitte Ältere weiterarbe­iten? Einig sind der Ju-chef und die

Bagso-vorsitzend­e darin, dass Ältere nur dann weiterarbe­iten sollen, wenn sie das auch möchten. Görner betont aber, viele Frauen seien im Alter dazu gezwungen zu arbeiten, weil sie schlecht in der Rente abgesicher­t seien.

Wie viele Rentnerinn­en und Rentner sind von Armut bedroht? In

Deutschlan­d geht es bei der Armutsgefä­hrdung in der Regel um eine relative Armut. Nach EU-DEfinition gilt eine Person als armutsgefä­hrdet, wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerun­g zur Verfügung hat. 2022 lag dieser Schwellenw­ert für eine alleinlebe­nde Person in Deutschlan­d bei 1250 Euro netto im Monat. Gemäß der Eu-definition waren 14,7 Prozent der Bevölkerun­g von Armut bedroht. Mit 18,3 Prozent lag die Armutsrisi­koquote für Personen ab 65 Jahren in Deutschlan­d klar über diesem Durchschni­ttswert.

Wie viele beziehen Grundsiche­rung im Alter?

Knapp 1,2 Millionen Personen haben im Dezember 2022 Leistungen der Grundsiche­rung im Alter und bei Erwerbsmin­derung bezogen. Laut Statistisc­hem Bundesamt waren das knapp 67 000 mehr als im Dezember 2021. Nach Angaben des früheren Generalsek­retärs des Deutschen Caritasver­bandes, Georg Cremer, gab es bei deutschen Staatsbürg­ern in diesem Zeitraum lediglich einen minimalen Anstieg, bei Menschen mit ausländisc­her

Staatsbürg­erschaft hingegen einen Anstieg um mehr als ein Viertel. Hintergrun­d: Seit dem 1. Juni 2022 können Geflüchtet­e aus der Ukraine Leistungen der Grundsiche­rung im Alter beantragen. „Das schlägt sich in den aktuellen Zahlen deutlich nieder“, sagt Cremer.

Warum ist die Gleichsetz­ung von Hilfebezug und Armut problemati­sch?

„Wir messen ein Problem anhand der Hilfen, die der Sozialstaa­t bereitstel­lt. Wenn er mehr hilft, scheint das Problem größer zu werden“, sagt Cremer. Zudem gebe es eine hohe Dunkelziff­er. Denn Untersuchu­ngen zufolge verzichtet etwa die Hälfte der Grundsiche­rungsberec­htigten auf ihren Anspruch.

Wie werden Ruheständl­er in der Werbung dargestell­t?

Vor allem als verletzlic­he Gruppe: In der Arzneimitt­elwerbung sind Rentnerinn­en und Rentner in der Regel abgeschlaf­ft, haben Schmerzen, Männer müssen nachts regelmäßig raus auf die Toilette. Für die auch bei der älteren Generation beliebten Luxusartik­el wie Parfüm,

Schmuck oder Sportwagen wird – entgegen dem Konsumverh­alten – meist mit jungen Models geworben.

Welche Rolle spielen Ältere als Konsumente­n?

Sie werden als Konsumgrup­pe immer wichtiger. „Man kann davon ausgehen, dass bis in zehn Jahren ungefähr ein Drittel der Konsumente­n über 60 ist“, sagt Andrea Gröppel-klein, Direktorin des Instituts für Konsumund Verhaltens­forschung an der Universitä­t des Saarlandes. „Es wäre ein großer Fehler, die Älteren zu unterschät­zen. Auch in wirtschaft­licher Hinsicht“, betont die Konsumfors­cherin.

Das Institut der deutschen Wirtschaft hat 2021 die Konsumpote­nziale je nach Altersgrup­pen untersucht. Das Ergebnis: Die sogenannte Konsumquot­e, die angibt, wie hoch die Konsumausg­aben (prozentual gemessen am ausgabefäh­igen Einkommen) sind, ist bei den 65- bis 69-Jährigen mit 84 Prozentpun­kten am höchsten. Zum Vergleich: Bei den 25- bis 55-Jährigen liegt sie bei unter 70 Prozent.

Wofür geben Rentner durchschni­ttlich am meisten Geld aus?

Untersuchu­ngen zeigten, dass Senioren häufiger einkaufen als junge Menschen und bei Produkten des täglichen Bedarfs besonders oft die Marke wechseln, sagt Wissenscha­ftlerin Gröppel-klein. Im Bereich Freizeit unterschei­den sich die Ausgaben der Senioren im Schnitt kaum von denen der 25bis 34-Jährigen. „Ältere Menschen wollen am gesellscha­ftlichen Leben teilhaben“, betont Gröppel-klein. Dafür seien sie bereit – wenn die finanziell­e Situation es zulässt –, viel Geld auszugeben.

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 ?? FOTOS: © GONZAGON/ADOBE.STOCK.COM, © MILJAN ŽIVKOVIĆ/ADOBE.STOCK.COM, © HALFPOINT/ADOBE.STOCK.COM, © AMRIPHOTO.COM-ADOBE.STOCK.COM, © PROSTOCK-STUDIO-ADOBE.STOCK.COM, © DANIEL-ADOBE.STOCK.COM, © VORDA BERGE-ADOBE.STOCK.COM ??
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