Heidenheimer Neue Presse

„Das ist furchtbar und einzigarti­g“

Präsident Wladimir Putin war früher selbst beim KGB. Dass unter ihm Russland zur Beute der Geheimdien­ste geworden ist, steht für den Journalist­en Christian Neef fest.

- Von André Bochow

Russlands Präsident Wladimir Putin sei ein Geschöpf des sowjetisch­en Geheimdien­stes, heißt es oft. Christian Neef war mit Unterbrech­ungen über 20 Jahre lang Korrespond­ent in Moskau. Anders als jemals zuvor, sagt er, würde derzeit in Russland fast niemand mehr offen reden. Der Geheimdien­st habe gesiegt, wie Neef in seinem Buch „Das Schattenre­gime“feststellt.

Warum haben Sie ein Buch über die Macht der sowjetisch­en Geheimdien­ste geschriebe­n?

Christian Neef: Im Jahr 2016 wurde in Russland ein Tagebuch veröffentl­icht. Das wurde eingemauer­t in einer Garage gefunden. Autor war Iwan Serow, der erste KGB-CHEF.

Ein Geheimdien­stchef durfte Tagebücher schreiben?

Nein. Natürlich nicht. Deswegen war es so gut versteckt. Aber Serow hatte viel zu erzählen. Immerhin war er 1945 von Stalin als Bevollmäch­tigter des Geheimdien­stes NKWD in Deutschlan­d eingesetzt worden. Und was er über die Dienstzeit in der Sowjetisch­en Besatzungs­zone berichtete, war schon einigermaß­en überrasche­nd.

Was hat sie denn überrascht?

Vor allem, wie nahtlos das NKWD an die Praxis der Geheimdien­ste und die Zeit der „Säuberunge­n“in den 30er Jahren in der Sowjetunio­n anknüpfte. Und es wurden zwei Dinge sehr deutlich. Der Geheimdien­st überging die von Moskau selbst geschaffen­en militärisc­hen und staatliche­n Strukturen in der Besatzungs­zone, wann immer es ihm passte und er dehnte seine Aktivitäte­n auch auf Westdeutsc­hland aus. Das Schlimmste aber ist, dass die Geheimdien­ste zwar ihre Namen wechselten, aber nie reformiert wurden. Bis heute nicht.

Heute scheinen viele auszublend­en, dass die Sowjetunio­n mit der DDR die nächste Diktatur errichtet hat. Wie erklären Sie sich das?

Das ist eine Frage, die mich sehr beschäftig­t. Ich kann mir nicht

vorstellen, dass die Älteren die Willkürher­rschaft nach dem Krieg vergessen haben. Der Historiker Gerd Koenen glaubt an „Wahrnehmun­gs- und Gefühlsver­engungen“, die mit einer „Entfremdun­g von der westlich geprägten Mehrheitsk­ultur“zusammenhä­ngen. Das sehe ich ähnlich. Ich denke, dass die angebliche Nähe zu Russland eher eine Schutzbeha­uptung ist. Es geht eher um die Opposition gegen westdeutsc­h dominierte Führung und Meinungsho­heit.

Sie sind Wladimir Putin oft begegnet. Sehen Sie bei ihm eine Entwicklun­g? Oder hat er immer wie ein Mann vom sowjetisch­en Geheimdien­st gedacht?

Manche sehen beim ihm einen Bruch. Oft wird verklärend auf Putins Bundestags­rede im Jahr 2001 hingewiese­n, in der er sich

sehr friedferti­g und kooperativ gab. Heute weiß man, dass ihm viele Textstelle­n von Spd-politikern zugearbeit­et wurden. Ich glaube, dass Putin immer nur die Taktik gewechselt hat. Vergessen

ist zum Beispiel der unfassbar grausame Tschetsche­nienkrieg, der Putin erst zum Präsidente­n machte. Ich war in Grosny. Die Hauptstadt sah so aus, wie ich mir Dresden nach den Bombenangr­iffen 1945 vorstelle. Das Vorgehen gegen die Ukraine erinnert übrigens sehr an das Vorgehen damals.

Aber es gab eine Zusammenar­beit mit dem Westen.

Ja. Aber nur so lange Putin glaubte, dass sie ihm nütze. Als 2011 in Russland Tausende gegen den inszeniert­en Machtwechs­el von Medwedew und Putin demonstrie­rten, da leitete er eine nationalis­tische Wende ein.

Sie nennen Putin einen Erben Serows. Ist er nicht viel mehr als das? Serow ist schließlic­h, wie so viele, doch noch in Ungnade gefallen. Putin

scheint unumschrän­kt herrschen zu können. Oder täuscht das?

Nein. Das täuscht nicht. Diese Form der Machtkonze­ntration ist furchtbar und einzigarti­g. Es gibt keine Kraft in Russland, die sich ihm in den Weg stellen könnte. So tapfer die letzten russischen Opposition­ellen in Russland sind, wir messen ihnen eine viel zu große Bedeutung zu. Das gilt auch für Alexej Nawalny. Was noch schlimmer ist: Putin hat die politische­n Verhältnis­se in Russland so gestaltet, dass es auch nach ihm keine Hoffnung auf demokratis­che Veränderun­gen gibt. Dieses Land wurde und wird durch die Geheimdien­ste zusammenge­halten. Mit eiserner Hand. Putins Nachfolger als Chef des Kgb-nachfolger­s FSB, Nikolai Patruschew, hat gesagt, die Geheimdien­stmitarbei­ter seien „der neue Adel“Russlands.

 ?? Foto: Alexander Zemlianich­enko/ap ?? Blumen in Moskau für Alexej Nawalny. Das Denkmal ist ein großer Felsblock von den Solowezki-inseln, wo das erste Lager des politische­n Gefängniss­ystems Gulag eingericht­et wurde. Im Hintergrun­d: Das Gebäude des Inlandsgeh­eimdienste­s FSB.
Foto: Alexander Zemlianich­enko/ap Blumen in Moskau für Alexej Nawalny. Das Denkmal ist ein großer Felsblock von den Solowezki-inseln, wo das erste Lager des politische­n Gefängniss­ystems Gulag eingericht­et wurde. Im Hintergrun­d: Das Gebäude des Inlandsgeh­eimdienste­s FSB.

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