Roman Paradise Garden (Folge
62)
„Die Staatsanwaltschaft hat uns nicht darüber informiert, dass sie offensichtlich kein Strafverfahren gegen deine Großmutter eröffnet hat, und auch nicht darüber, dass es jemanden gibt, der für dich sorgt“, sagte die Sozialarbeiterin.
„Und was ist, wenn ich nicht bei meiner Großmutter bleiben will?“
„Es tut mir leid. Aber die Plätze, wo wir dich unterbringen könnten, sind begrenzt.“
„Abgesehen davon wolltest du doch sowieso nicht bleiben“, sagte Frau Geiger und zwang sich zu einem Lächeln.
Ihr Lächeln sagte: Wir haben dich umsonst gesucht.
Es sagte: Du verschwendest unsere Zeit.
Ich hatte sie angelogen. Es war klar, dass sie sauer war. Ich nahm es ihr nicht übel. Sie musste begriffen haben, dass ich nicht vorhatte, bei Leas Familie einzuziehen.
„Worum genau geht es hier eigentlich?“, wollte meine Großmutter wissen und versuchte, mich zur Seite zu schieben.
„Ich habe einen Vater“, sagte ich.
„Hast du denn mittlerweile Kontakt zu ihm?“, fragte Frau Geiger.
Ich schüttelte den Kopf. „Du hast gesagt, du wüsstest nicht, wer er ist“, sagte die Sozialarbeiterin.
„Ja …“
„Wenn deine Mutter deinen Vater nicht angegeben hat, also amtlich, auf deiner Geburtsurkunde, dann können wir nichts machen. Dann ist er unbekannt“, erklärte die Sozialarbeiterin.
Ich hatte keine Ahnung, wo meine Geburtsurkunde war oder was darauf stand. Meine Mutter hatte einen Karton, in dem sie ihre Papiere und Briefe sammelte. Manchmal warf sie Briefe in den Müll, ohne sie vorher zu öffnen. „Das meiste erledigt sich von selbst“, hatte sie dann gesagt und mit den Schultern gezuckt. Manchmal hatte sie recht, manchmal nicht. Und manchmal kam ein zweiter Brief vom selben Absender. Oder ein dritter. Ich beschloss, meine Geburtsurkunde zu suchen, sobald die beiden gegangen waren.
„Was ist mit deiner Großmutter?“, fragte Frau Geiger. „Weiß sie, wer dein Vater ist?“
„Du sollst ihnen sagen, wer mein Vater ist“, sagte ich zu meiner Großmutter auf Ungarisch.
Meine Großmutter sah mich misstrauisch an. Dann verschränkte sie die Arme. „Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich es nicht weiß.“
„Sie sagt, dass sie es nicht weiß, aber ich bin nicht sicher, ob das stimmt“, sagte ich.
„Das wäre dann eine private Angelegenheit“, sagte Frau Geiger.
„Ja, da können wir dann nichts machen“, bestätigte die Sozialarbeiterin und zog eine Visitenkarte aus der Tasche. „Aber wenn es mit deiner Großmutter Probleme gibt, dann ruf an.“
Und damit war die Sache für sie erledigt.
Als die beiden fort waren, riss ich die Visitenkarte in kleine Fetzen und ließ sie aus meinem Fenster regnen. 24
Meine Mutter hatte kein eigenes Zimmer, aber sie hatte einen eigenen Schrank. Der Schrank war aus glänzendem dunkelbraunem Holz und sah aus wie eine Schatztruhe.
Es gab einen erlaubten und einen verbotenen Teil. Der erlaubte Teil war der untere. Dort stand neben allem möglichen Zeug auch der Karton mit dem Papierkram. Der verbotene Teil war hinter den beiden oberen Türen. Natürlich wollte ich wissen, was sie dort aufbewahrte.
„Jeder braucht ein bisschen Privatsphäre!“, hatte meine Mutter gesagt. Und: „Zwing mich nicht, den Schlüssel zu verstecken.“
Ich hatte sie nie dazu gezwungen.
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Ich wartete, bis meine Großmutter eingeschlafen war. Meine Mutter hatte einmal behauptet, dass meine Großmutter lauter schnarchte als zehn sibirische Holzfäller zusammen. Ich hatte es nicht geglaubt, aber es stimmte: Ich konnte meine Großmutter bis in mein Zimmer hören. Und da die Wände dünn waren, hörte Luna sie wahrscheinlich auch.
Auf Zehenspitzen schlich ich ins Wohnzimmer.
Ich stand vor dem Schrank und starrte auf den Schlüssel. Ich wusste, dass es falsch war, die oberen Türen zu öffnen. Plötzlich war ich mir sicher, dass meine Mutter von da oben sehen konnte, was ich vorhatte.
Fortsetzung folgt
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