Plötzlich in der Defensive
Geld aus Russland, Spionage für China, ein degradierter Spitzenkandidat – der Partei will im Europawahlkampf nichts gelingen. Das könnte auch für die beiden Chefs zum Problem werden.
Vor der Halle im baden-württembergischen Donaueschingen machen sich Demonstranten über die Rechten lustig, bezeichnen sie als „Alternative für Diktatoren“. Drinnen läuten die beiden Parteichefs Tino Chrupalla und Alice Weidel den Wahlkampfauftakt der AFD für die Europawahl ein, sprechen von abenteuerlichen Mitteln, mit denen Unruhe gestiftet werden solle. Nicht mit dabei: Spitzenkandidat Maximilian Krah. Auch von Petr Bystron, der auf der Europaliste auf Platz zwei steht, fehlt jede Spur.
Weniger als sechs Wochen vor der Europawahl steht die AFD vor einem Trümmerhaufen. Die Rechtsaußen-partei, deren Umfragehoch das Land seit rund einem Jahr in Atem hält, kommt im Europawahlkampf nicht in die Offensive. Ganz im Gegenteil, sie ist plötzlich in der Defensive: Sie versucht händeringend, die Scherben aufzukehren, die Krah und Bystron mit ihren Skandalen um die mutmaßliche Annahme von Geld aus Russland sowie Spionage eines Mitarbeiters für China angerichtet haben.
Wird der stummgeschaltete Spitzenkandidat Krah noch nennenswerte öffentliche Auftritte im Wahlkampf haben? „Ich kann es mir nicht vorstellen“, sagt ein Bundestagsabgeordneter, der die Partei gut kennt. Er will nicht namentlich zitiert werden, wie viele Afd-politiker derzeit. Misst man den Puls der Rechten daran, wie verschwiegen sonst redselige Politiker derzeit sind – es wäre Zeit, den Notarzt zu rufen.
Für die „Neue Zürcher Zeitung“, intern lange Zeit Pflichtlektüre für Afd-funktionäre, ist klar: „Deutschlands selbsternannte Patrioten schaden den Interessen ihres Landes.“Doch wie sehr können die Skandale – laut Medienberichten prüfen die Staatsanwaltschaften Ermittlungen gegen Krah und Bystron – der AFD schaden?
„Ja, das stört den Wahlkampf – natürlich. Diese Berichte werden so schnell auch nicht aufhören“, sagt der 83-jährige Afd-ehrenvorsitzende Alexander Gauland. Krah hat sich im Eu-parlament viele Feinde gemacht. Aber nicht nur dort. Einige Parteifreunde nennen ihn schon „Spitzelkandidat“.
„Eine zentrale Erzählung der Partei über sich selbst bekommt gerade offensichtliche Risse“, sagt der Politikberater Johannes Hillje dieser Zeitung. „Das Bild, die AFD sei die einzige patriotische Kraft, wird durch Spitzenpolitiker wie Krah und Bystron, die im Interesse ausländischer Regierungen handeln, konterkariert.“Vor allem mit Blick auf eine Wählergruppe werde die AFD gerade sehr nervös, sagt Hillje: „Im letzten Jahr neu hinzugewonnene Sympathisanten, jenseits der
Kernklientel, die sich in Umfragen zur AFD bekennen, aber noch nie ihr Kreuz bei ihr gemacht haben.“
Um die potenziellen neuen Wähler nicht wieder zu verlieren, versucht sich die AFD an einer angepassten Kommunikationsstrategie. „Wir haben auf der einen Seite Krah und Bystron, die klassisch mit dem Opfermythos und der Gegenattacke reagieren“, sagt Hillje, der mehrere Bücher über die Kommunikation der AFD geschrieben hat. Allerdings gebe es mit der Degradierung von Krah zu einem Spitzenkandidaten zweiter Klasse interessanterweise einen anderen Kurs der Parteispitze.
Diese gerät intern zunehmend unter Druck. Geht die Europawahl in die Hose, könnten Weidel und Chrupalla im Sommer auf dem Parteitag in Essen einen Denkzettel verpasst bekommen. Denn auch immer mehr Unterstützer der beiden fragen sich, wie sie es trotz aller Warnungen aktiv unterstützen konnten, dass die AFD mit Krah und Bystron an der Spitze in den Europawahlkampf
zieht. Die Europaabgeordnete Sylvia Limmer, bis zum Rechtsruck-parteitag in Riesa 2022 selbst Mitglied des Vorstandes, stellt genüsslich in aller Öffentlichkeit klar, dass sie die Parteispitze lange vor dem Nominierungsparteitag in Magdeburg über alle skandalösen Details von Krah informiert habe. „Was Chrupalla und Weidel machen, ist eine taktische Distanzierung“, sagt Hillje. Den beiden gehe es darum, unsichere Afd-wähler zu binden, in dem man eine Distanzbotschaft sende. „Sie wollen den Eindruck erwecken“, sagt Hillje, „dass Konsequenzen gezogen werden.“
Dass die AFD die Skandale nicht so schnell wird abschütteln können, zeigte sich auch in der vergangenen Woche im Bundestag. In einer Aktuellen Stunde über „Russland, China und die AFD“hatte Fraktionsvize Stefan Keuter die undankbare Aufgabe, seine beiden Parteifreunde zu verteidigen. Ausgerechnet Keuter, ein ausgewiesener Russlandfreund. Doch nicht nur das. Laut Recherchen des „Spiegel“prahlte ein chinesischer Agent des Ministeriums für Staatssicherheit (MSS) in einem von westlichen Geheimdiensten mitgeschnittenen Chatverlauf damit, dass er Keuter dazu gebracht habe, 2021 eine „Kleine Anfrage“zu stellen. Keuter bestreitet, im Auftrag des MSS gehandelt oder Geld angenommen zu haben.
Das Thema seiner Anfrage im Bundestag an die Bundesregierung: die Aufnahme von Flüchtlingen aus Hongkong in Deutschland. In den fünf Jahren zuvor hatte es ganze acht Asylanträge von dort gegeben. Keuters wahres Ziel dürfte daher gewesen sein, die Demokratiebewegung Hongkongs zu delegitimieren. Ganz im Sinne Chinas.