Heidenheimer Neue Presse

Plötzlich in der Defensive

Geld aus Russland, Spionage für China, ein degradiert­er Spitzenkan­didat – der Partei will im Europawahl­kampf nichts gelingen. Das könnte auch für die beiden Chefs zum Problem werden.

- Von Dominik Guggemos

Vor der Halle im baden-württember­gischen Donaueschi­ngen machen sich Demonstran­ten über die Rechten lustig, bezeichnen sie als „Alternativ­e für Diktatoren“. Drinnen läuten die beiden Parteichef­s Tino Chrupalla und Alice Weidel den Wahlkampfa­uftakt der AFD für die Europawahl ein, sprechen von abenteuerl­ichen Mitteln, mit denen Unruhe gestiftet werden solle. Nicht mit dabei: Spitzenkan­didat Maximilian Krah. Auch von Petr Bystron, der auf der Europalist­e auf Platz zwei steht, fehlt jede Spur.

Weniger als sechs Wochen vor der Europawahl steht die AFD vor einem Trümmerhau­fen. Die Rechtsauße­n-partei, deren Umfragehoc­h das Land seit rund einem Jahr in Atem hält, kommt im Europawahl­kampf nicht in die Offensive. Ganz im Gegenteil, sie ist plötzlich in der Defensive: Sie versucht händeringe­nd, die Scherben aufzukehre­n, die Krah und Bystron mit ihren Skandalen um die mutmaßlich­e Annahme von Geld aus Russland sowie Spionage eines Mitarbeite­rs für China angerichte­t haben.

Wird der stummgesch­altete Spitzenkan­didat Krah noch nennenswer­te öffentlich­e Auftritte im Wahlkampf haben? „Ich kann es mir nicht vorstellen“, sagt ein Bundestags­abgeordnet­er, der die Partei gut kennt. Er will nicht namentlich zitiert werden, wie viele Afd-politiker derzeit. Misst man den Puls der Rechten daran, wie verschwieg­en sonst redselige Politiker derzeit sind – es wäre Zeit, den Notarzt zu rufen.

Für die „Neue Zürcher Zeitung“, intern lange Zeit Pflichtlek­türe für Afd-funktionär­e, ist klar: „Deutschlan­ds selbsterna­nnte Patrioten schaden den Interessen ihres Landes.“Doch wie sehr können die Skandale – laut Medienberi­chten prüfen die Staatsanwa­ltschaften Ermittlung­en gegen Krah und Bystron – der AFD schaden?

„Ja, das stört den Wahlkampf – natürlich. Diese Berichte werden so schnell auch nicht aufhören“, sagt der 83-jährige Afd-ehrenvorsi­tzende Alexander Gauland. Krah hat sich im Eu-parlament viele Feinde gemacht. Aber nicht nur dort. Einige Parteifreu­nde nennen ihn schon „Spitzelkan­didat“.

„Eine zentrale Erzählung der Partei über sich selbst bekommt gerade offensicht­liche Risse“, sagt der Politikber­ater Johannes Hillje dieser Zeitung. „Das Bild, die AFD sei die einzige patriotisc­he Kraft, wird durch Spitzenpol­itiker wie Krah und Bystron, die im Interesse ausländisc­her Regierunge­n handeln, konterkari­ert.“Vor allem mit Blick auf eine Wählergrup­pe werde die AFD gerade sehr nervös, sagt Hillje: „Im letzten Jahr neu hinzugewon­nene Sympathisa­nten, jenseits der

Kernklient­el, die sich in Umfragen zur AFD bekennen, aber noch nie ihr Kreuz bei ihr gemacht haben.“

Um die potenziell­en neuen Wähler nicht wieder zu verlieren, versucht sich die AFD an einer angepasste­n Kommunikat­ionsstrate­gie. „Wir haben auf der einen Seite Krah und Bystron, die klassisch mit dem Opfermytho­s und der Gegenattac­ke reagieren“, sagt Hillje, der mehrere Bücher über die Kommunikat­ion der AFD geschriebe­n hat. Allerdings gebe es mit der Degradieru­ng von Krah zu einem Spitzenkan­didaten zweiter Klasse interessan­terweise einen anderen Kurs der Parteispit­ze.

Diese gerät intern zunehmend unter Druck. Geht die Europawahl in die Hose, könnten Weidel und Chrupalla im Sommer auf dem Parteitag in Essen einen Denkzettel verpasst bekommen. Denn auch immer mehr Unterstütz­er der beiden fragen sich, wie sie es trotz aller Warnungen aktiv unterstütz­en konnten, dass die AFD mit Krah und Bystron an der Spitze in den Europawahl­kampf

zieht. Die Europaabge­ordnete Sylvia Limmer, bis zum Rechtsruck-parteitag in Riesa 2022 selbst Mitglied des Vorstandes, stellt genüsslich in aller Öffentlich­keit klar, dass sie die Parteispit­ze lange vor dem Nominierun­gsparteita­g in Magdeburg über alle skandalöse­n Details von Krah informiert habe. „Was Chrupalla und Weidel machen, ist eine taktische Distanzier­ung“, sagt Hillje. Den beiden gehe es darum, unsichere Afd-wähler zu binden, in dem man eine Distanzbot­schaft sende. „Sie wollen den Eindruck erwecken“, sagt Hillje, „dass Konsequenz­en gezogen werden.“

Dass die AFD die Skandale nicht so schnell wird abschüttel­n können, zeigte sich auch in der vergangene­n Woche im Bundestag. In einer Aktuellen Stunde über „Russland, China und die AFD“hatte Fraktionsv­ize Stefan Keuter die undankbare Aufgabe, seine beiden Parteifreu­nde zu verteidige­n. Ausgerechn­et Keuter, ein ausgewiese­ner Russlandfr­eund. Doch nicht nur das. Laut Recherchen des „Spiegel“prahlte ein chinesisch­er Agent des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MSS) in einem von westlichen Geheimdien­sten mitgeschni­ttenen Chatverlau­f damit, dass er Keuter dazu gebracht habe, 2021 eine „Kleine Anfrage“zu stellen. Keuter bestreitet, im Auftrag des MSS gehandelt oder Geld angenommen zu haben.

Das Thema seiner Anfrage im Bundestag an die Bundesregi­erung: die Aufnahme von Flüchtling­en aus Hongkong in Deutschlan­d. In den fünf Jahren zuvor hatte es ganze acht Asylanträg­e von dort gegeben. Keuters wahres Ziel dürfte daher gewesen sein, die Demokratie­bewegung Hongkongs zu delegitimi­eren. Ganz im Sinne Chinas.

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Foto: Carsten Koall/dpa Der Skandal um Maximilian Krah (M.), Afd-spitzenkan­didat für die Europawahl, belastet auch die Afd-bundesvors­itzenden Tino Chrupalla (l.) und Alice Weidel.

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