Wenn KI den Blues spielt
Programme wie „Suno“generieren eigenständig Songs – nach den Wünschen ihrer der Musik bereits kann und welche Folgen das für die ganze Branche hat.
Akustische Gitarrentöne und eine kräftige Männerstimme, die Zeilen in gekonnt traurigem Blues-stil singt. „Algorithms strummin‘, melodies on repeat“– übersetzt etwa „Algorithmen klimpern, Melodien in Wiederholung“, singt er weiter in rhythmischen Blues-takten. „Sie sagen, die KI kann lernen zu singen und zu spielen; aber kann sie den Schmerz und die Liebe einfangen, die wir fühlen?“
Nichts davon hat ein Mensch selbst komponiert, an der Gitarre gespielt oder gesungen. All das übernimmt das frei zugängliche Ki-programm „Suno“. Für den Blues-song lautete der auf Englisch verfasste Befehl („Prompt“): „Solo-akustikmississippi-blues über die Chancen und Risiken von KI in der Musikindustrie“. Knapp 40 Sekunden, dann spuckte Suno eine anderthalb minutenlange Audiospur aus, mit dazugehörigen Songzeilen und Gesang. Titel: „The Digital Blues“, also „Der digitale Blues“.
Musik erfordert Kreativität, Können und Talent. Maschinen besitzen diese Eigenschaften in der Regel nicht. Doch Suno liefert jeden gewünschten Stil inklusive Songtexten und – wenn gewünscht – Gesang. Das Ergebnis kann man sich als Audio- oder Videodatei herunterladen. Mit ein paar Klicks und ein bisschen tippen kann jeder solch eine Datei erstellen. Das stellt die Musikbranche vor viele neue Fragen. Woher kann eine KI das? Mit welchen Songs und Daten wurde sie gefüttert? Wie musikalisch ist eine KI? Und: Was ist mit den Rechten von Musikerinnen und Musikern?
Diese fühlen sich von der neuen Technologie in ihrer Existenz und Identität
Wie ähnlich darf etwas sein, um noch nicht als Plagiat zu gelten? Oliver Zöllner für
bedroht. Vor kurzem haben mehr als 200 Musikschaffende aus aller Welt in einem offenen Brief Maßnahmen gegen betrügerischen Ki-einsatz gefordert. Es geht um Technologien wie Suno, die nicht nur Songtexte, sondern auch Stimme, Sound und Aussehen von Musikern kopieren können. Namhafte Künstlerinnen und Bands wie Billie Eilish, Nicki Minaj und Bon Jovi haben den Brief unterzeichnet. Bei einem unverantwortlichen Einsatz von KI sei das künstlerische Schaffen und die Existenz von Musikern in Gefahr. Sie fordern Softwareunternehmen und die Musikbranche auf, KI nur kontrolliert einzusetzen. Gleichzeitig sehen die Unterzeichner bei einer „verantwortungsvollen“Umgang in KI großes kreatives Potenzial.
Milliardengeschäft für Plattformen
In einem Artikel im Musikmagazin „Rolling Stone“schildert Mikey Shulman, Mitbegründer von Suno, die Vision einer Welt, in der Musikmachen „demokratisiert“ist. Shulman stellt sich ein Szenario vor, in dem eine Milliarde Menschen jeweils zehn Dollar monatlich zahlen, um über Suno eigene Songs zu kreieren. Dass es so viel mehr Musikhörer als Musikschaffende gebe, sei seiner Meinung nach „einseitig“, Suno sei ein geeignetes Mittel, dieses Ungleichgewicht zu beheben.
Aus dieser Sicht wäre Suno ein Milliardengeschäft – für die Gründer. Doch eine KI ist nur so gut wie die Daten, mit denen sie gespeist wurde. Doch genau da liegt ein entscheidendes Problem, sagt Oliver Zöllner, Professor für digitale Ethik an der Hochschule der Medien in Stuttgart: „Ein maschinelles Programm hat diesen Song nach bestimmten Regeln zusammengestellt, die wir aber nicht kennen, weil sie nicht offengelegt werden und von denen wir nicht wissen, auf welche Urdatensätze sie zurückgreifen.“Für die Künstler bedeute das einen Einnahmeverlust und eine Entwertung ihrer künstlerischen Tätigkeit.
Die Sorge in der Branche ist groß, dass der Musikmarkt mit Ki-generierten Angeboten überflutet wird und „echte“Künstlerinnen und Künstler verdrängt werden. Damit einher gehen Fragen nach Urheber- und Persönlichkeitsrechten. „Die Frage ist immer: Wie ähnlich darf etwas sein, um noch nicht als Plagiat zu gelten?“, sagt Zöllner. „Das werden noch viele Gerichte in der Zukunft entscheiden müssen.“Zudem stellen sich soziale Fragen, zum Beispiel nach kultureller Aneignung. Im Beispiel oben wurde der Blues erst nach dem Wort „Mississippi“besonders. Diese Region in den USA gilt als dessen Geburtsstätte: Der Blues geht auf die Klagegesänge der Sklaven auf Plantagen zurück.
Überwiegen somit die Nachteile der Technologie? Für Ali Nikrang nicht. Er ist klassischer Musiker, Komponist und Professor für KI und musikalische Kreation an der Hochschule für Musik und Theater in München. Für ihn eröffnet KI unendlich viele neue Möglichkeiten. Er schreibt bereits eigene Kompositionen mithilfe eines von ihm entwickelten Kiprogramms „Ricercar“, das mit klassischer Musik trainiert worden ist. „Das Ergebnis meiner Arbeit ist die KI selbst“, sagt der Forscher. Das jeweils entwickelte Stück präsentiere den aktuellen Entwicklungsstand des Programms. Ihn fasziniere der Prozess an sich: „Was bedeutet es, wenn KI ein Musikstück komponiert? Können tatsächlich nur Daten uns emotional berühren?“
Nikrang sagt zwei zentrale Entwicklungen voraus: Zum einen werden seiner Meinung nach bestimmte Tätigkeiten in der Musikproduktion durch KI schneller und produktiver. „Das wird Jobs kosten“, gibt er zu. Allerdings habe die Geschichte gezeigt, dass neue Technologien auch neue Jobs entstehen lassen. Es sei davon auszugehen, dass eine ähnliche Entwicklung mit KI stattfindet: „Menschen sind immer auf der Suche nach etwas Neuem.“Zum anderen werde KI von vielen Künstlern eingesetzt, die neue Ideen und Inspirationen dadurch suchen – wie er selbst. „KI zeigt uns, was unsere Kreativität eigentlich ist und wird unsere Vorstellung davon verändern. KI ist in Wahrheit ganz passiv. Der Raum ist da, aber wir müssen uns als Menschen darin bewegen.“Am Ende entscheide noch immer der Mensch, nicht die Maschine.