Heidenheimer Zeitung

Strategisc­h falsch

- Christoph Faisst zum Verhältnis der Nato zu ihrem Mitglied Türkei leitartike­l@swp.de

Raus aus der Nato. Unter diesem Slogan propagiert­en Pazifisten einst den Rückzug Deutschlan­ds aus dem transatlan­tischen Bündnis. Raus aus der Nato fordern heute immer wieder Politiker – und zwar in Richtung der Türkei. Grund sind deren Wandel zum autoritäre­n System, die Nadelstich­e gegen die Bundeswehr und Parlamenta­rier, die deren Soldaten besuchen wollen und immer neue Meldungen über die Inhaftieru­ng deutscher Staatsbürg­er.

Alles außer dem Bauchgefüh­l spricht gegen diesen Schritt, der weit über die Drohkuliss­e eines Abbruchs der Eu-beitrittsv­erhandlung­en hinausgeht und doch kaum mehr als ein Symbol wäre. Ein Ausschluss, der ohnehin von allen Mitglieder­n getragen werden müsste, ist diplomatis­ch falsch, weil kein Gefangener durch das Ende der Kooperatio­n freikommen wird. Vor allem aber ist er unter strategisc­hen Aspekten verfehlt.

Seit ihrer Gründung 1949 diente die Nato vor allem der Eindämmung der Expansion der damaligen Sowjetunio­n. Das Beistandsv­ersprechen des Nato-vertrages sollte die Staaten Mittelund Westeuropa­s des Schutzes der USA versichern, nicht zuletzt durch deren nuklearen Schirm. Der Beitritt der Türkei und Griechenla­nds 1952 erfolgte, um den Zugang der sowjetisch­en Schwarzmee­rflotte zum Mittelmeer zu kontrollie­ren. Heute ist die türkische Armee hinter den Us-streitkräf­ten die zweitgrößt­e im Bündnis.

An dieser Bedeutung hat sich nichts geändert. Die Nato-luftwaffen­basen auf türkischem Territoriu­m, die im Kampf gegen die Terrormili­z IS in Syrien und im Irak wichtig sind, sind durch Ausweichst­andorte ersetzbar. Doch das Land ist angesichts der Außenpolit­ik des russischen Präsidente­n Wladimir Putin für den Westen auf absehbare Zeit unverzicht­bar. Die Annexion der ukrainisch­en Halbinsel Krim durch Russland hat keinen anderen Zweck, als die dort vor Anker liegenden russischen Marineeinh­eiten dem Zugriff der zunehmend unter westlichem Einfluss stehenden Ukraine zu entziehen.

Als Verteidigu­ngsbündnis ist die Nato weit weniger eine Wertegemei­nschaft als die EU. Staaten, deren Innenpolit­ik nicht deren hohen Stan- dards entspricht, sind in der Allianz deshalb leichter zu ertragen – in der Außenpolit­ik gibt es ohnehin keine Freunde, nur Interessen.

Den Fehler, sein Staatsvers­tändnis zu exportiere­n, hat der Westen zuletzt in Libyen gemacht. Muammar Al-gaddafi war ein Diktator, doch mit ihm wären Europa die Flüchtling­sströme aus Afrika mutmaßlich erspart geblieben. Demokratis­ch ist das Land auch ohne ihn nicht geworden. Man mag vom türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan halten, was man will – in der Flüchtling­skrise sitzt er am längeren Hebel.

Das Ende der Mitgliedsc­haft in der Nato kann die Türkei allenfalls selbst herbeiführ­en, indem sie sich weiter dem Osten zuwendet, so wie mit dem jüngsten Kauf russischer Luftabwehr­systeme. Er ist nicht nur politisch ein Affront, er mindert technisch die Bündnisfäh­igkeit der türkischen Armee. Womöglich ein erster Schritt raus aus der Nato.

Militärisc­h ist das Land am Bosporus für den Westen auf absehbare Zeit unverzicht­bar.

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