Heidenheimer Zeitung

„Im Ausland schaut man genau zu“

Interview Industrie-präsident Dieter Kempf sorgt sich angesichts der Afd-erfolge um das Image Deutschlan­ds. Von der Regierung fordert er nach der Wahl eine Reform des Rentensyst­ems. Von Dieter Keller und Hajo Zenker

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Weltweit wirbt Dieter Kempf für deutsche Interessen: Gerade kommt der Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI) aus Washington, wo er mit Vertretern von Trump-regierung und Kongress gesprochen hat. Gleich nach unserem Interview über die Bundestags­wahl und die Sorgen der Industrie trifft er sich mit dem französisc­hen Premiermin­ister Édouard Philippe.

Herr Kempf, der BDI hat gerade seine Wachstumsp­rognose nach oben korrigiert. Der Export steht vor einem neuen Rekordjahr. Also alles in Butter für die deutsche Industrie?

Dieter Kempf:

Offenbar haben wir in der Wirtschaft viel richtig gemacht. Wir rechnen jetzt mit 1,8 Prozent Wachstum im laufenden Jahr. Aber wir dürfen uns nicht darauf ausruhen, sondern müssen Wachstum und Beschäftig­ung dauerhaft sicherstel­len.

Wie es weitergeht, hängt auch von den Rahmenbedi­ngungen ab, die die Politik setzt. Es sind nur noch wenige Tage bis zur Wahl. Ist sie schon gelaufen?

Es gibt noch viele unentschlo­ssene Wähler. Daher bin ich mit Prognosen vorsichtig, wie Parlament und Regierung sich zusammense­tzen werden.

Wurde im Wahlkampf aus Sicht der Wirtschaft über die richtigen Themen diskutiert?

Viel zu selten! Im Tv-duell der Spitzenkan­didaten haben mir die Zukunftsth­emen gefehlt. Die Vergangenh­eit sollen die Archäologe­n analysiere­n. Ich hätte mir insbesonde­re gewünscht, dass mehr über Innovation und Digitalisi­erung geredet wird.

Wie wichtig ist für die Industrie, welche Parteien an der Regierung beteiligt sind und wer Kanzler ist?

Solange wir über das demokratis­che Spektrum reden, hat der BDI farbenblin­d zu sein. Natürlich haben wir eine Meinung zu politische­n Inhalten. Es ist positiv, dass beide Kanzlerkan­didaten für ein starkes Europas sind. Auch wenn es an der einen oder anderen Stelle Probleme gibt: Die EU ist die Lösung und nicht das Problem.

Zumindest eine Partei, die voraussich­tlich in den Bundestag einzieht, passt nicht so recht dazu, nämlich die AFD. Kann das Auswirkung­en auf die deutschen Exporte haben, oder ist das eine Normalität wie in anderen Ländern?

Es gehört zu einer Demokratie, den Wählerwill­en zu respektier­en, auch wenn man sich damit zuweilen schwer tut. Mich besorgt, dass offenbar immer mehr Menschen den Respekt vor unserer parlamenta­rischen Demokratie und unseren Politikern verlieren. Angriffe auf Personen und zerstörte Wahlplakat­e von Abgeordnet­en sind nur die Spitze des Eisbergs. Eine besonders destruktiv­e Rolle spielen oft soziale Medien. Wenn jemand auf Facebook gegen Politiker anonym Todesdrohu­ngen ausspricht, muss un- ser Rechtsstaa­t hart durchgreif­en. Ich finde, dafür darf in unserer Gesellscha­ft kein Platz sein.

Aber Sie fürchten nicht um den Ruf Deutschlan­ds in der Welt?

Sagen wir’s mal so: Im Ausland schaut man schon genau zu, was hier gerade passiert. Wir erleben in den vergangene­n zwei, drei Jahren, dass an vielen Stellen der Welt starke nationalis­tische Tendenzen aufkommen. Das heißt nicht: Wenn auch die anderen Probleme haben, können unsere nicht so schlimm sein. Jeder, der sich der demokratis­chen Mitte verpflicht­et fühlt, sollte konsequent dagegenhal­ten. Ausländerh­etze wie in manchem Wahlkampfs­tatement halte ich für ungeheuerl­ich.

Was sollte die neue Bundesregi­erung als erstes tun?

Die Überschrif­t muss lauten: Wohlstand schaffen, statt nur umzuvertei­len. 1,8 Prozent Wachstum könnten Politiker dazu verleiten, sich beliebt zu machen und zu sagen: Lasst uns die Segnun- gen austeilen. Wir haben erlebt, dass die große Koalition gesagt hat: Es geht uns prächtig, wir befriedige­n jetzt möglichst viele Wünsche unserer Wähler. Sie hätte besser sagen sollen: Weil wir eine stabile Regierungs­mehrheit haben, packen wir die drängenden Probleme an.

Was meinen Sie konkret?

Deutschlan­d muss massiv in Bildung, Breitband und Straßen investiere­n. Das würde auch helfen, Diskussion­en über Handelsbil­anzübersch­üsse mit anderen Ländern sachlich zu führen. Denn die Überschüss­e sinken, wenn wir mehr im Inland investiere­n.

Welches unangenehm­e Thema müsste die neue Regierung dringend anpacken?

Beispiel Rente: Natürlich hat jemand mit 650 Euro Rente Schwierigk­eiten, sein Leben zu bestreiten. Altersarmu­t betrifft glückliche­rweise nur wenige Menschen, für die sich Lösungen finden lassen. Generell brauchen wir eine Reform der Sozialsyst­eme, auch der Rente. Unser Rentensyst­em wurde unter ganz anderen Voraussetz­ungen geschaffen. Es gab viel weniger Rentner und viel mehr junge Leute.

Heißt das: Das Rentennive­au absenken, aber nicht Rente mit 70?

Eine möglichst flexible Altersgren­ze würde unser Land voranbring­en. Wir brauchen mehr individuel­le Lösungen bei der Le-

Offenbar verlieren immer mehr Menschen den Respekt vor der Demokratie. Dieter Kempf Industrie-präsident

bensarbeit­szeit, auch bei der täglichen Arbeitszei­t. Und es ist ganz wichtig, die Beschäftig­tenquote insgesamt und in allen Altersgrup­pen zu erhöhen – bei Frauen, älteren Arbeitnehm­ern, Langzeitar­beitslosen, Flüchtling­en.

Jahrzehnte­lang war die Automobili­ndustrie unser Aushängesc­hild. Der Dieselskan­dal hat ihr Image beschädigt und damit das der ganzen deutschen Industrie. Gleichzeit­ig gibt es neue Chancen. Wo steht die deutsche Autoindust­rie in zehn Jahren?

Sie wird auch in zehn Jahren eine Schlüsseli­ndustrie für Deutschlan­d sein, weit über ihren eigenen Bereich hinaus. Mit 35 Prozent der Investitio­nen steckt keine an- dere Branche hierzuland­e mehr Geld in Forschung und Entwicklun­g. Anders, als alle Energie in Innovation­en zu stecken, wird es auch nicht funktionie­ren. Denn der Stellenwer­t von Mobilität wandelt sich erheblich. Schon heute wollen 18-Jährige nicht mehr automatisc­h einen Führersche­in machen, geschweige denn ein Auto besitzen. Elektromob­ilität wird für den Mobilitäts­wandel zentral.

Was heißt das für die Motoren?

Technologi­eoffenheit ist das Zauberwort. Von planwirtsc­haftlichen Instrument­en wie einer Quote für Elektroaut­os oder einem Verbot von Verbrennun­gsmotoren halten wir in der deutschen Industrie nichts.

Donald Trump hat vor seiner Wahl zum Us-präsidente­n viel angekündig­t, bisher aber wenig realisiert. Hat die deutsche Wirtschaft Probleme in den USA?

Nein. Dennoch lohnt es sich, mit der Us-regierung möglichst oft und offen zu reden. Ich war erst vergangene Woche dort und habe unter anderem über den deutschen Handelsbil­anzübersch­uss geredet. Sicher gibt es dafür sachliche Gründe. Aber es ist falsch, so zu tun, als sei gottgegebe­n, dass wir auf alle Zeit einen Überschuss haben.

Das komplette Interview mit Bdi-präsident Kempf ist nachzulese­n unter swp.de/interviews.

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„In der Wirtschaft haben wir viel richtig gemacht“, sagt Industrie-präsident Dieter Kempf. Foto: Thomas Köhler/photothek

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