Liebe Originalität,
Dein schlimmster Feind ist die Nachahmung. Das Plagiat, die Kopie. Aber nicht jedes Nachahmen ist grundschlecht. Kinder lernen durch Nachahmung das Sprechen, das Schreiben und womöglich sogar Sitte und Anstand, wenn ihnen dieses die Erwachsenen vorleben.
Nachahmung wird dann kritisch, wenn sie wie ein Klau daherkommt. Sofort denken wir an das ferne Asien, wo ganze Industrien kopieren, was im Westen gut und teuer ist. Doch angeblich herrscht dort eine andere Kultur, in der das Nachahmen nicht als Raub fremden Gedankenguts gilt, sondern man sich Kindern gleich Fremdes aneignet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Nun, es wird nicht nur in Asien kopiert. Sobald es hierzulande herbstelt, tischt man allerorten bei Oktoberfesten auf. Natürlich mitten im September. Auch darin macht man es den Münchnern nach, die das inzwischen weltgrößte Volksfest immer mehr in den Altweibervorsommer vorverlegt haben. Begonnen hat alles im Jahr 1810 mitten im Oktober. Man feierte auch damals auf dem Sendlinger Berg, der heutigen Theresienwiese. Anlass war die Hochzeit von Kronprinz Ludwig und Prinzessin Therese am 12. Oktober 1810. Dazu fanden in München zahlreiche private und öffentliche Feiern statt. Auf deren letzte, das Pferderennen am 17. Oktober, geht das Oktoberfest zurück. Erst Ende des 19. Jahrhunderts rutschte der Festbeginn in den wärmeren September. Nun kopieren die mittlerweile unzähligen Oktoberfeste ja nicht den Münchner Trubel, sie nutzen nur den Markennamen, damit der Erwartungshorizont des Besuchers gleich richtig abgesteckt ist: Es geht um Bier, Brezen und Tracht.
Dennoch bleibt die Frage, ob es nicht origineller wäre, ein Fest im September wirklich Septemberfest zu benennen. Mit soviel Echtheit fiele man im Reigen der Oktoberfeste mittlerweile wohl mehr auf. Originalität bewies aber aufs Neue das Oktoberfest in der Heidenheimer Fußgängerzone. 18 Tage Freudenrausch in München hat man hier auf sechs Stunden komprimiert. Aber das liest Du ja eh nicht. Günter Trittner