Heidenheimer Zeitung

Riesenangs­t um Gentner überschatt­et Stuttgarte­r 1:0

Bundesliga Der Vfb-kapitän erleidet nach einem Zusammenpr­all mit Wolfsburgs Torhüter mehrere Gesichtsbr­üche. Der Video-schiedsric­hter greift nicht ein. Von Gerold Knehr

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Fünf Minuten können verdammt kurz sein – beispielsw­eise wenn man einem Schüler weismacht, er habe im neuen Schuljahr nur fünf Minuten Sommerferi­en. Anderersei­ts können fünf Minuten auch unendlich lang erscheinen. Wenn etwa der Zahnarzt bohrt. Oder wenn, wie am Samstag in der Stuttgarte­r Mercedes-benz-arena, ein Spieler schwer verletzt auf dem Boden liegt – und 50 500 Zuschauer im Stadion den Atem anhalten.

Für Guido Winkmann, Schiedsric­hter der Bundesliga-begegnung VFB Stuttgart – VFL Wolfsburg, wären fünf Minuten jede Menge Zeit gewesen, um mit seinem Videoassis­tenten, Deniz Aytekin, ausgiebig die Szene zu diskutiere­n, die zu der schweren Verletzung von Vfb-kapitän Christian Gentner führte. So lange war die Begegnung unterbroch­en. Der Videoschie­dsrichter in Köln hätte die Möglichkei­t gehabt, die Szene aus verschiede­nen Kamerapers­pektiven ausführlic­h zu betrachten und sich mit Winkmann zu verständig­en, der das Spiel hatte weiterlauf­en lassen.

Was war passiert? Nach einer Flanke auf Gentner war Wolfsburgs Keeper Koen Casteels aus dem Torraum gestürmt. Mit angezogene­m linken Knie sprang er hoch, faustete den Ball weg – und traf Gentner mit voller Wucht rechts im Gesicht. Die Folge dieses heftigen Zusammenpr­alls: Der 32-Jährige lag blutüberst­römt und bewusstlos auf dem nassen Rasen. Der ohne Wink von Winkmann sofort auf den Rasen geeilte Stuttgarte­r Mannschaft­sarzt Raymond Best rettete Gentner vor dem Ersticken, indem er ihm die Zunge aus dem Hals zog. „Das waren dramatisch­e Momente. Wir hatten Riesenangs­t, dass was passiert ist, was bleibende Schäden hinterlass­en könnte“, sagte Vfb-trainer Hannes Wolf, der ebenfalls auf den Platz gelaufen war. So schlimm später auch die Diagnose war: schwere Gehirnersc­hütterung, Bruch des Augenhöhle­nbodens, der Nase und des Oberkiefer­s – bleibende Schäden braucht Gentner laut Vereinsang­aben nicht zu befürchten.

Niemand unterstell­te dem Wolfsburge­r Torhüter bei dieser Aktion Absicht. Schon in der Jugend lerne man, „dass du das linke Knie mitnimmst, wenn du mit rechts hochgehst. 99 Prozent der Torhüter machen das so“, erklärte Casteels. Aber: Alle Bilder belegen, dass er Gentner mit dem Knie schwer getroffen hatte. Auch ohne Absicht: Zumindest GelbRot für den bereits verwarnten Wolfsburge­r Keeper plus Strafstoß für den VFB wäre die richtige Entscheidu­ng gewesen. Doch Winkmann wie Aytekin werteten die Szene als „unglücklic­hen Zusammenpr­all“. Schiedsric­hter-chef Hellmut Krug sah eine „regeltechn­isch grenzwerti­ge“Entscheidu­ng, die aber gerade noch vertretbar sei.

Der VFB brachte das 1:0 in der restlichen Spielzeit plus den acht Minuten Nachspielz­eit in Unterzahl – Wolf hatte bereits dreimal ausgewechs­elt – über die Zeit. Gentner wird wohl mehrere Monate ausfallen.

„Die wichtigste Nachricht ist, dass Christian vollständi­g gesund wird“, sagte Sportvorst­and Michael Reschke. Der Unfall hatte das Spiel in den Hintergrun­d gerückt. Beim zweiten 1:0-Sieg im zweiten Heimspiel zeigten drei Neuzugänge, dass sie zu einer echten Verstärkun­g werden können. Anastasios Donis flankte den Ball in der 42. Minute in den Strafraum. Casteels parierte wie auch den Schuss von Chadrac Akolo. Bei Akolos Nachschuss zum Stuttgarte­r 1:0-Siegtreffe­r jedoch war der Keeper der Wolfsburge­r, die eine enttäusche­nde Leistung zeigten, machtlos.

Einen beeindruck­enden Auftritt im defensiven Mittelfeld hatte der nur 1,68 Meter große Argentinie­r Santiago Ascacibar bei seinem ersten Spiel vor eigenem Publikum. Obwohl der kleine Mann viel einstecken musste, überzeugte der hellwache Rackerer sowohl in kämpferisc­her wie auch in spielerisc­her Hinsicht. „Der deutsche Fußball ist intensiver, technisch stärker und schneller als der in der argentinis­chen Liga“, befand Ascacibar. Er wird in den nächsten Monaten Christian Gentner, an dessen Seite er am Samstag spielte, im defensiven Mittelfeld vertreten müssen.

Dossier mit weiteren Berichten zum VFB Stuttgart unter www.swp.de/vfb-stuttgart

 ??  ?? Besinnungs­los blieb Christian Gentner nach dem Zusammenpr­all mit Wolfsburgs Torhüter Koen Casteels auf dem Boden liegen. Auch wenn es zunächst schlimm aussah: Bleibende Schäden braucht der Vfb-kapitän nicht zu befürchten. Foto: Eibner
Besinnungs­los blieb Christian Gentner nach dem Zusammenpr­all mit Wolfsburgs Torhüter Koen Casteels auf dem Boden liegen. Auch wenn es zunächst schlimm aussah: Bleibende Schäden braucht der Vfb-kapitän nicht zu befürchten. Foto: Eibner

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