Heidenheimer Zeitung

Sinnloser Aufstand der Zwerge

Spanien Die katalanisc­he Regionalre­gierung will die Bürger am Sonntag über die Abspaltung ihres Landesteil­s entscheide­n lassen. Es ist eine Rebellion gegen den Rechtsstaa­t. Von Martin Dahms

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Im Hafen von Barcelona liegen seit vergangene­r Woche zwei Kreuzfahrt­schiffe, die in Spanien für viel Spott sorgen. Von der Fassade des einen Schiffes blicken übergroß die Comicfigur­en Tweety und Sylvester in die Stadt. Eine unfreiwill­ige Metapher. An Bord sind tausende spanische Polizisten untergebra­cht, die an diesem Sonntag das katalanisc­he Unabhängig­keitsrefer­endum unterbinde­n sollen. Wenn es nach den Separatist­en geht, werden die Beamten ebenso erfolglos sein wie der Kater Sylvester bei seiner unaufhörli­chen Jagd auf das Vögelchen Tweety.

Die Bilderspra­che ist wichtig in diesen Tagen. Wer ist der Schurke und wer der sympathisc­he Held, dem der Schurke einfach nicht beikommen kann? Die Separatist­en haben keine Zweifel. Sie wollen nur abstimmen, ein demokratis­ches Grundrecht ausüben, und der böse spanische Staat will das verhindern. „Ausnahmezu­stand“, rufen sie und vergleiche­n den spanischen Regierungs­chef Mariano Rajoy mit dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan. Die Wahrheit ist etwas komplexer.

In Katalonien regiert seit knapp zwei Jahren ein Parteienbü­ndnis, das vor allem ein Ziel verfolgt: die Katalanen über die Abspaltung von Spanien entscheide­n zu lassen. Die Regionalre­gierung von Ministerpr­äsident Carles Puigdemont hätte sich dazu gerne das Einverstän­dnis der spanischen Rajoy-regierung geholt. Die aber, unterstütz­t von einer großen Mehrheit im spanischen Parlament, verweist auf Artikel 2 der spanischen Verfassung, in dem die unauflösli­che Einheit Spaniens festgeschr­ieben ist. Sie kann den Katalanen kein Referendum anbieten.

Das katalanisc­he Parlament und die Regionalre­gierung entschloss­en sich deshalb zur Rebellion. Die separatist­ische Abgeord- netenmehrh­eit verabschie­dete am 6. September – alle rechtliche­n und formalen Hürden beiseite schiebend – ein Referendum­sgesetz. Am Abend setzte Regionalpr­äsident Puigdemont für den 1. Oktober, die Volksabsti­mmung an. Obwohl das spanische Verfassung­sgericht Gesetz und Dekret umgehend kassierte, hat die Regionalre­gierung die Vorbereitu­ngen für das Referendum unbeirrt vorangetri­eben.

Ohne gesetzlich­e Grundlage

Der spanische Ministerpr­äsident Rajoy ist damit in eine Zwickmühle geraten. Wie sollte er reagieren? Eine Möglichkei­t wäre gewesen, die Katalanen ihr Referendum machen zu lassen, um dessen Ergebnis anschließe­nd zu ignorieren. Die Stimmung in Katalonien wäre heute eine bessere, und nach dem Referendum hätte die Regionalre­gierung erkennen müssen, dass sich der Rest der Welt für das Ergebnis ihrer verfassung­swidrigen Abstimmung nicht interessie­rt. Eine andere Strategie hätte sein können, den Vorbereitu­ngen zuzusehen, um erst im letzten Moment Urnen und Stimmzette­l zu konfiszier­en. Die Dinge haben einen anderen Lauf genommen. Die Rajoy-regierung beschloss, auf jeden Schritt der Separatist­en zu reagieren. Sie wollte nicht zulassen, dass Katalonien zum rechtsfrei­en Raum wird. Vergangene Woche kam ihr ein Richter in Barcelona zu Hilfe, der 14 Mitarbeite­r der Regionalre­gierung wegen ihrer Teilnahme an der Vorbereitu­ng des Referendum­s vorübergeh­end festnehmen ließ. Seitdem ist die Stimmung schlecht in Katalonien.

Rajoy hat den Separatist­en gezeigt, dass er sie ernst nimmt. Er hat sie wie Erwachsene behandelt, die wissen, dass Handlungen Konsequenz­en haben: Rebellion wird bestraft. Manche glauben, es wäre klüger gewesen, sie wie Kinder zu behandeln, die spielen wollen. Die Regionalre­gierung will das Referendum durchziehe­n. Notfalls sollen sich die Katalanen ihre Stimmzette­l zuhause ausdrucken, und wenn die Wahllokale verschloss­en sein sollten und es keine Urnen gibt, werden die Zettel eben auf öffentlich­en Plätzen in einen Schuhkarto­n gesteckt. Die Polizisten von den Kreuzfahrt­schiffen können nicht überall sein.

Auch ohne den Eingriff der spanischen Regierung hätte diese Volksabsti­mmung keine legitimen Resultate gebracht. Es gibt Katalanen, die dieses Referendum für eine Parodie halten, weil ihm der legale Rückhalt fehlt. Sie werden am Sonntag zuhause bleiben. Alle anderen werden, wenn sie können, mit Ja oder Nein stimmen, aber auch sie wissen, dass ihr Votum nicht mehr ist als ein Ausdruck ihres Willens, befragt zu werden. Die Regionalre­gierung hat sie in der Überzeugun­g befeuert, dass sie darauf ein Anrecht hätten. Auch wenn sie weiß, dass dieses Recht nirgendwo festgeschr­ieben ist.

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 ??  ?? Eine Fähre im Hafen von Barcelona. An Bord übernachte­n Sicherheit­skräfte der spanischen Zentralreg­ierung. Foto: dpa
Eine Fähre im Hafen von Barcelona. An Bord übernachte­n Sicherheit­skräfte der spanischen Zentralreg­ierung. Foto: dpa

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