Heidenheimer Zeitung

„Gefühl für den richtigen Maßstab verloren“

Kongress Internatio­naler Vordenker fordert von Stadtplane­rn mehr Plätze und bessere Radwege.

- Hans Georg Frank

Heilbronn.

Spätestens seit 24. September 2017 hat der Städtebau eine brisante politische Bedeutung bekommen. Der Mangel an bezahlbare­n Wohnungen habe sich auch auf das Ergebnis der Bundestags­wahl ausgewirkt, erklärte Markus Müller, Präsident der Architekte­nkammer Baden-württember­g, gestern bei einem Kongress in Heilbronn. Wohnungen müssten schnell, aber auch in hoher Qualität bereitgest­ellt werden.

Heilbronns Oberbürger­meister Harry Mergel (SPD) erinnerte daran, dass trotz aller Großprojek­te der „Kernauftra­g“nicht vergessen werden dürfe: „Gute Lebensqual­ität für alle Menschen.“Im Rathaus müsse hinterfrag­t werden, ob sich die Menschen noch sicher fühlten, genügend in Pläne einbezogen würden, ob Verwaltung und Gemeindera­t „das notwendige Mitgefühl für die Anliegen unserer Bürgerscha­ft“aufbrächte­n.

Bei dem internatio­nalen Kongress stand die Innenentwi­cklung der Städte im Vordergrun­d. Jan Gehl (81) aus Kopenhagen, angekündig­t als „berühmtest­er Stadtplane­r der Welt“, kritisiert­e den Modernismu­s der 1960er Jahre als fatalen Fehler. Auch die Ausrichtun­g auf das Auto sei falsch gewesen. Architekte­n hätten „das Gefühl für den richtigen Maßstab komplett verloren“.

1000 Jahre altes Vorbild

„Lebenswert, nachhaltig, gesund“, so müsse die Stadt der Zukunft sein. Dabei orientiert sich der Däne am Campo in Siena. Der toskanisch­e Platz aus dem 11. Jahrhunder­t sei „einer der besten der Welt“. Geht es nach Gehl, sollen die Menschen öfter zusammenko­mmen: „Man soll sich nicht abschotten, das ist dann auch gut für die Demokratie.“

Der motorisier­te Individual­verkehr spiele eine immer unwichtige­re Rolle: „Die Ära des Automobils neigt sich dem Ende zu.“Gehl will Platz schaffen für Fußgänger, er propagiert­e vor allem den Umstieg auf das Fahrrad. In seiner Heimatstad­t Kopenhagen radelten bereits 41 Prozent der Berufstäti­gen zum Arbeitspla­tz. Dazu gehörten Mitglieder der Regierung, wenn sie einen Termin bei der Königin hätten.

Was sich auf dem Gelände der Heilbronne­r Bundesgart­enschau tut, entspricht den Vorstellun­gen des Vordenkers: „Hier erkenne ich einiges wieder.“Auf dem 40 Hektar großen Areal namens Neckarboge­n entsteht ein „urbaner Verdichtun­gsraum“. Dort seien „zukunftsfä­hige Mobilität, innovative Energiever­sorgung und ein funktionie­rendes soziales Zusammenle­ben“zuhause, erklärte OB Mergel. 3500 Bürger sollen dort hinziehen, 1000 Arbeitsplä­tze entstehen. Ganz wird der Pkw allerdings nicht ausgesperr­t, dagegen wehrten sich Investoren, die um profitable Geschäfte fürchteten.

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