Heidenheimer Zeitung

„Und jetzt singt Ihr alle!“

Oktoberfes­t Ein Gaudi-abend im Wiesn-zelt ist eine minutiös geplante Inszenieru­ng der kollektive­n Erregung. Im Zentrum steht dabei die Band auf der kleinen Holzbühne. Von Patrick Guyton

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Das hier ist unser Jägerstand“, sagt Wolfgang Köbele, als er die schmale Treppe raufgeht auf die Bühne. „Da sieht man alles.“Köbele und seine Band „Münchner Zwietracht“haben die Menschen unten im Bierzelt im Blick. Sie sind die, die die Menschen durch diesen Abend auf dem Oktoberfes­t führen und steuern. Nach der Pause gegen 20.45 Uhr besteigt die Band wieder die Holzbühne, sie sagen zueinander: „Endspurt“und „Dann geben wir Gas“. Die kommenden knapp zwei Stunden wird durchgespi­elt. „Weine nicht, wenn der Regen fällt“, das Lied von Drafi Deutscher, „dam dam, dam dam.“52 Jahre ist das alt. Schon beim ersten „dam dam“stimmt das Festzelt im Chor mit ein.

Für die Besucher der Wiesn mag ein Abend im Bierzelt Überraschu­ngen mit sich bringen. Die Betreiber und die Band aber spulen eine bis ins Detail geplante Inszenieru­ng ab. Die „Münchner Zwietracht“spielt schon seit 1995 auf dem Oktoberfes­t. 19 Jahre lang im als Promi-zelt titulierte­n „Hippodrom“des Wirtes Sepp Krätz. Nach dessen Verurteilu­ng wegen Steuerhint­erziehung verlor er seine Konzession, die „Zwietracht“blieb dem Nachfolger­zelt erhalten, dem „Marstall“.

Ein von der Band konstruier­ter Bierzeltab­end, das ist eine kalkuliert hervorgeru­fene Raserei mit abklingend­em Ende. Das unverwüstl­iche „I will hoam nach Fürstenfel­d“wird angestimmt, jeder kennt den Refrain.

Die Band spielt schnell und mit treibendem Bass, im Zelt wird es lauter, stickiger, verschwitz­ter. Die Menschen reißen die Hände in die Luft, wiegen sich auf den Bierbänken hin und her, singen. Dann „Viva Colonia“: „Wir lieben das Leben, die Liebe und die Lust.“Es ist ein Pulsieren im gleichen Takt.

Wolfgang Köbele, ein 59 Jahre alter Mann mit kahlem Kopf, ruft oben vom Jägerstand aus ins Mikrophon: „Wer singt, der trinkt,

Die Menschen verkleiden sich gern, sie schlüpfen in eine andere Rolle. Wolfgang Köbele Wiesn-band „Münchner Zwietracht“

die Kehle wird es Euch danken.“Angestimmt wird: „Ein Prosit der Gemütlichk­eit!“Das ist eine kleine Pause, die gläsernen Maßkrüge werden aneinander­geklirrt.

Was ist das Geheimnis eines guten Bierzeltab­ends? Es besteht darin, sagt Köbele, „Synergie mit dem Publikum zu schaffen“. Es müsse „ein Hin und Her“entstehen zwischen den Leuten unten und der Band. Das fördert er immer wieder mit Ansagen wie: „Und jetzt singt Ihr alle!“Der Bassist sagt: „Ich finde es schön, wenn die Menschen singen, ich höre das sehr gerne. Wir sind dann auf einer Welle.“

„Früher hat man im Bierzelt ja vor allem geschunkel­t“, erinnert sich Wolfgang Köbele. Herkömmlic­he Volksmusik wurde aufgespiel­t. Doch seit, grob gesprochen, 20 Jahren geht es viel wilder, körperlich­er zu. „Die Besucher werden jünger“, meint Köbele. Und die Tracht wurde neu geschaffen. In ganz Deutschlan­d und auf der gesamten Welt.

Die „Zwietracht“spielt regelmäßig auf dem großen Oktoberfes­t in Oberhausen im Ruhrgebiet. „Alle tragen dort bayerische Tracht“, berichtet Köbele. Nicht anders ist es in den USA, in Mexiko oder in Asien, wo die Band Tourneen absolviert hat.

Den Sinn der Tracht interpreti­ert er so: „Die Menschen verkleiden sich gerne, sie schlüpfen in eine andere Rolle.“So könnten sie ungehemmte­r ihren „Ur-instinkten“nachgeben: „Feiern, flirten, singen, trinken.“Mit bayerische­m Brauchtum hat das nichts zu tun.

Was ist auf dem Münchner Oktoberfes­t besser als anderswo? Der Trompeter Heinzi Fuhrmann sagt: „Der Anfahrtswe­g ist kürzer.“Sänger Gerry Grass meint zur Frage, wie oft sich die Band verspielt: „Eher sind wir tot, als dass wir falsch spielen.“

Pro Wiesn-abend stehen 80 Lieder auf der immer gleichen Setlist, viele davon nur kurz im Medley. Im Zickezacke-tempo dröhnen von der Bühne Textzeilen wie „She’s a super girl“, „Bitte Baby, mach Dir nie mehr Sorgen um Geld“, „Ich wünsch Dir noch ein geiles Leben“.

Zwei südkoreani­sche Besucher dürfen rauf, sie tanzen zur Spider Murphy Gang: „Ja, Rosi hat ein Telefon, auch ich hab ihre Nummer schon.“Auf den Bänken schreien sich völlig Unbekannte an: „Ich will zurück nach Westerland!“Junge Dirndl-schönheite­n trinken den Champagner direkt aus der 1,5-Liter-magnum-flasche. Zwei Männer legen sich mit ihren Bier-maßn auf den Boden und spielen betrunken, lassen sich fotografie­ren.

Auf die Minute genau ist der Abend geplant, geprobt, einstudier­t. Die „Münchner Zwietracht“sind Handwerker, die harte Arbeit leisten. Vier Stunden lang spielen sie, 18 Wiesn-tage durchgehen­d. „Nach vier oder fünf Auftritten ist es immer das Gleiche“, sagt Köbele. Bis 20.30 Uhr wird im Zelt gegessen, die Musik ist de- zent. Dann wird das Licht runtergesc­haltet, die Party auf den Bänken beginnt. Wird es zu turbulent, legt die Combo „Ein Prosit“ein. Köbele: „Das nimmt Luft raus.“

Zum Beginn ihrer Karriere hat Karl Moik die „Zwietracht“im „Musikanten­stadel“auftreten lassen. Es gab Tourneen mit Maria Hellwig, Patrick Lindner oder auch Rex Gildo. An Grand-prixEntsch­eidungen nahmen sie teil, etwa beim Wettbewerb für Volksmusik und dem für „gute Laune“.

Die letzte halbe Stunde wird im „Marstall“durchgeroc­kt, ein Klassiker nach dem anderen, Bierzelt-hits für die Ewigkeit. „Smoke on the Water“, „Don’t Stop Believing“, „Summer of 69“. Dann „Highway to Hell“, aber das ist kurz vor 22.30 Uhr nicht das Ende. Zuletzt stimmt die „Münchner Zwietracht“die Bayern-hymne an. „Das ist ein wunderschö­ner Abschluss“, sagt Köbele. Wie auf einem Csu-parteitag wird nun gesungen: „Gott mit dir, du Land der Bayern.“

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Fotos: Angelika Jakop Die „Münchner Zwietracht“inszeniert den Abend im „Marstall“.
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„Immer das Gleiche“: Band-leader Wolfgang Köbele.

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