Lake District – Wanderparadies in England
Höchste Berge, größte Seen und der uralte Steinkreis von Castlerigg. Eine abwechslungsreiche Reise.
Weit führte uns der Gang unter den alten Bäumen: nicht Strasse gab’s, noch eines Waldmanns Pfad“– so beschrieb der Lyriker William Wordsworth im 19. Jahrhundert diese romantische, von stillen Seen und bis knapp tausend Meter hohen Bergen geprägte Landschaft. Und das trifft es noch immer, wenn auch heutzutage Wegweiser den Wanderer nicht von verträumten Pfaden abkommen lassen.
Es stimmt, dass Landschaft starken Einfluss auf das Gemüt ausübt. Und hier sind es diese Blicke über in Auen und Hügel eingebetteten Seen, die die Seele baumeln lassen. Etwa 370 Kilometer nördlich von London erhielt sich ein Stück ursprüngliches England mit malerischen Dörfern und Gehöften – und Schafen, soweit das Auge reicht. Im Juli diesen Jahres wurde der Naturpark Lake District, von Einheimischen kurz mit „The Lakes“bezeichnet, in die Liste des Unesco-weltnaturerbes aufgenommen.
Vorwiegend die Würm-eiszeit, die hier erst vor etwa 15 000 Jahren endete, bildete tausend Gewässer im Seenbezirk. Windermere heißt der größte natürliche See Englands; er ist etwa 17 Kilometer lang, bis zu 1500 Meter breit und 65 Meter tief. Erste internationale Aufmerksamkeit erreichte er in den 1930er- und 1950er-jahren mit Geschwindigkeits-rekordversuchen auf dem Wasser. Der beliebteste Ort ist Bowness-on-windermere mit 3800 Einwohnern: Die 1847 eröffnete Bahnstrecke Kendal-windermere brachte den touristischen Aufschwung. Diese Idylle mit malerischen Häusern sowie dem Hafen mit dem jetzt dieselbetriebenem „Dampfer“wollen heute natürlich auch japanische und chinesische Besucher abgehakt wissen; abseits der Hotspots trifft man sie allerdings so gut wie nie. Diverse Bootseigner bieten Touren sowie Vermietungen: ein gern genutztes Freizeitvergnügen.
Bereits das benachbarte, nicht direkt am Wasser gelegene und kleinere, Ambleside wirkt echter mit seinen unverputzten Steinhäusern und den Straßen mit den typischen Häuserreihen und blumengeschmückten Vorgärten. Einige Künstler und Schriftsteller siedelten in diesen Ort und die Region Cumbria; der aus deutscher Sicht bekannteste ist wohl der Dadaist, Maler und Grafiker Kurt Schwitters, der von 1945 bis zu seinem Tod (1948) hier wirkte. In der „Weide bei der Sandbank“, so die Übersetzung des Ortsnamens, findet der Besucher auch kurzfristig eine Bed&breakfast-unterkunft. Diese sind meist klein und altmodisch und mit knapp 100 Euro nicht gerade billig, aber die familiäre Atmosphäre in den liebevoll eingerichteten Kaminzimmern, wo das volle englische Frühstück mit Eiern und Speck, Bohnen und Würstchen, Bratkartoffeln und Grilltomaten nebst Toast serviert wird, entschädigt. Hier tauscht man sich mit den anderen Bewohnern aus und erfährt, dass man die Schiefer-mine besuchen muss oder der junge Rastatyp John aus Oregon/usa zum Mountainbiken und Klettern gekommen ist. Letzteres machen wohl viele, denn ist Ambleside auch der Sitz eines gut beschäftigten Bergrettungsteams, da viele die Gefahren der Berge unterschätzen. Vor den beiden alten Pubs mit typischen Speisen stehen Gäste mit den Gläsern in der Hand auch auf der Straße, allerdings gibt es auch gehobene Gastronomie, ein Steakhouse und ein thailändisches Restaurant.
Es lohnt ein Besuch der Honister Schiefer-mine, die auf eine über 300-jährige Geschichte zurückblicken kann. Der etwa 35 Kilometer entfernte Honister-pass liegt zwar lediglich 356 Meter über dem Meer, doch diese waldlosen und etwa 600 Meter hohen „Berge“drumherum vermitteln echtes Hochgebirgs-ambiente. War der hier abgebaute „Westmoreland Green Slate“einst edles und hochwertiges Baumaterial, das auch auf Londons Dächern den Regen abhielt, wurde diese uralte Schiefermine 1989 geschlossen. Der findige und aus der Region stammende Geschäftsmann Mark Weir kaufte 1997 das Gelände, um es mit ehemaligen Bergleuten in eine Touristenattraktion mit Schaubergwerk, Schiefer-produktion, aber auch Kletterwänden und Hängebrücke zu verwandeln. „Wir sind ihm heute noch sehr dankbar“, sagt unser Tour-guide Andrew, der einst Schichtführer in der Mine war, „er hat über 30 neue Arbeitsplätze geschaffen, ganz wichtig in unserer Region, wo es außer Tourismus und Schafzucht kaum etwas gibt.“
Der Werksbus bringt uns vom Besucherzentrum weit zum Bergwerkseingang. Mit Helm und Grubenlampe zieht die Schar in gebückter Haltung und unter fachkundiger Leitung durch niedrige, enge Stollen zu den Abbruchstellen. Unter unmenschlichen Bedingungen schufteten einst Kinder und Männer, um Blöcke aus dem Fels zu schlagen. Das 450 Millionen Jahre alte Gestein vulkanischen Ursprungs wurde auf abenteuerlichen Routen mit Schlitten und Ponys, später auch Seilbahnen und einer Schmalspurbahn ins Tal gebracht. Mit Meiselschlägen wurden dann vom Block die etwa Zentimeter starken Platten abgespalten. Wenn dem Gast heute in noblen Restaurants das Steak oder der Nachtisch auf Schiefer serviert wird, stammt der vielleicht vom Honister Pass. Der Investor Mark Weir erlebte die Erfolgsstory leider nicht mehr: er stürzte 2011 mit seinem Helikopter ab.
Wanderparadies Lake District: Wer Natur pur genießen möchte, packt sich ein Picknick und findet überall Zugang zu den Seen. Die Wege sind meist einfach und große Steigungen nicht zu überwinden. Riesige Farne säumen durch alten Baumbestand plätschernde Bäche, märchenhafte Pfade führen zu lichten Stellen. Dickbewollte Schafe fühlen sich von des Wanderers im Sand Schritten in der Mittagsruhe gestört und nehmen empört Reißaus.
Mit im Korb sind die berühmten „Kekse“der Sarah Nelson. Im Weiler Grasmere fügte sie im Jahre 1854 ihrem Plätzchenteig eine Portion Ingwer bei und verkaufte diese gewürzten Kekse an die Besucher des nahen Gotteshauses. Schnell fand das Gebäck seine Liebhaber weit über Cumbrias Grenzen hinaus: heute bilden sich lange Schlangen vor der versteckt gelegenen Bäckerei, wo viktorianisch gekleidete Verkäuferinnen das „Original Celebratet Grasmere Gingerbread“über den Tresen reichen.
Die Römer waren natürlich auch hier, um im ersten Jahrhundert n.chr. im Norden des Nationalparks Teile des Hadrian-walls, dieser Grenzmauer nach Schottland, zu bauen. Einige Dörfer dagegen wurden vor rund 1000 Jahren von den Wikingern gegründet, die auf ihren Beutezügen vorbeikamen. Bereits vor etwa 4500 Jahren entstand östlich von Keswick der „Circle of Castlerigg“. Eindrucksvoll bilden noch heute 38 bis zu drei Meter hohe Blöcke diesen Steinkreis auf einer Hochfläche. Nachdem das berühmte Stonehenge in Südengland gesperrt wurde, versammelte sich hier zur Sommersonnwende am 20. Juni ein buntes Völkchen, um dieses Ereignis am für sie mystischen Ort zu feiern.
Der Lake District ist eine Gegend für stille Entdecker; den Worten des Dichters William Wordsworth ist nichts hinzuzufügen: „Und diese Schlucht hätt ich auch nicht erwähnt, wär’s nicht um eines Etwas wegen, das du im Vorbeigehn zwar sehen und doch übersehen könntest.“