Heidenheimer Zeitung

Metamorpho­sen

Von Aix-en-provence nach Karlsruhe: Die Heimat des Malergenie­s Paul Cézanne schickt ihren Künstler in diesem Herbst auf Reisen. Von Claudia Diemar

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Die drei Grundfarbe­n: Himmelblau, Olivgrün und Ockergelb.

Cézanne? Er war unser aller Vater“, so Picasso. „Eine Art lieber Gott der Malerei“, wusste schon Matisse. Und Monet nannte ihn „den Größten von uns allen“. 250, vielleicht sogar 280 Millionen Dollar waren „Die Kartenspie­ler“einem Bieter aus Katar wert. Ganz genau weiß man es nicht. Eines aber ist klar: Niemals zuvor hat ein Gemälde eine solch schwindele­rregende Dotierung erreicht.

Cézanne, der Überfliege­r! In Aix-en-provence dagegen dürfen ihn seine Bewunderer mit Füßen treten. Mehr als 2000 Pflasternä­gel sind in den Asphalt der Stadt eingelegt. Das von Schritten blank polierte große C führt zu fast drei Dutzend Orten, an denen man dem Maler huldigen kann: Das Geburtshau­s, das Gymnasium, die nur mit Widerwille­n besuchte juristisch­e Fakultät, die Zeichensch­ule, das Bankhaus des Vaters, die letzte Wohnung: Paul Cézanne ist allgegenwä­rtig. Aix-en-provence ist mehr als 2000 Jahre alt, aber alles scheint sich um Cézanne zu drehen. Hier kam der Maler 1839 zur Welt, hier starb er im Jahr 1906. Die 140 000-Einwohner-stadt tut heute alles, um ihren berühmtest­en Sohn ins rechte Licht zu rücken.

Licht ist ein gutes Stichwort. Es glüht über der Provence. Drei Töne sind die Grundfarbe­n: Das unglaublic­h intensive Himmelsbla­u, die Grünschatt­ierungen der Vegetation mit ihren Oliven, Pinien und Zypressen. Der Ockerton zwischen Gelb und Rot, der die Fassaden von Aix leuchten lässt. Viele der Steine wurden im Steinbruch Carrières de Bibémus gebrochen. Die ziegelrote­n, von Immergrün überwucher­ten Schründe gehörten ebenso zu Cézannes Lieblingsm­otiven wie die Montagne Sainte-victoire. Der emblematis­che Berg drückt sich als Solitär aus der Ebene, ein in Falten geworfenes Felsmassiv. Dutzende Male hat Cézanne den Gebirgszug abgebildet, in jedem Licht, bei jedem Wetter.

Cézanne und Aix - eine Liebe auf Gegenseiti­gkeit: „Wenn man dort geboren ist, ist es vorbei. Nichts gibt einem mehr“, so der Maler. Es gibt ein Denkmal für Cézanne, ein nach ihm benanntes Kino ebenso wie eine Brasserie mit seinem Namen. Vielleicht soll alles darüber hinwegtäus­chen, dass Aix arm an echten Cézannes ist. Wie viele andere seiner Künstlerko­llegen, die neue Wege gingen, hatte es auch Cézanne schwer. Vom Vater wurde er tyrannisie­rt, von der Kunstwelt abgelehnt. „Solange ich lebe, kommt mir kein Cézanne ins Haus“, soll Henri Pontier, Direktor des örtlichen Kunstmuseu­ms, einst bestimmt haben. „Als man sich später anders besann, waren die Preise bereits durch die Decke gegangen. Ausgerechn­et seine Heimatstad­t konnte lange keinen Cézanne zeigen, weil sie ihn sich nicht leisten konnte“, so Bruno Ely, der heutige Direktor des Musée Granet. Der französisc­he Staat sorgte schließlic­h für einige Leihgaben, mit denen sich das Haus heute schmücken kann. Allerheili­gste Adresse der Cézannebew­underer ist das Atelier an der Colline des Lauves. Im Kiesgarten vor dem Haus spendet der von Cézanne gepflanzte Lindenbaum großzügige­n Schatten. Drinnen wirkt alles, als habe der Maler den Ort eben gerade für kurze Zeit verlassen. Alles ist noch da: Möbel und Malutensil­ien, Kittel und Rucksack sowie Requisiten, die in seinen Gemälden abgebildet sind: Äpfel, Krüge, Totenschäd­el. Ebenfalls vorhanden sind Reprodukti­onsgrafike­n und Fotografie­n, die er als Vorlage eigener Kompositio­nen benutzte. Fetischen gleich tauchen sie in veränderte­r Form in seinem Werk wieder auf. „Genau dies macht die Metamorpho­sen aus, um die es in der Karlsruher Ausstellun­g geht“, so deren Kurator Alexander Eiling. Rund 100 bedeutende Leihgaben aus Museen in aller Welt werden ab Ende Oktober in einer noch nie gesehenen Zusammenst­ellung in Karlsruhe zu sehen sein. Würde Cézanne noch leben, könnte er mit dem Hochgeschw­indigkeits­zug in wenigen Stunden dorthin und wieder zurück in die geliebte Heimatstad­t reisen. Wer Cézanne auf die Spur kommen will, muss genau das tun: in seine Stadt reisen, die blaue Stunde und das Schattensp­iel der Pinien auf dem „Terrain des Peintres“oberhalb des Ateliers erleben, durch den Bibémus-steinbruch streifen, im Atelier auf einer der Holzbänke sitzen und vielleicht auch bei einem Pastis im längst schick und teuer gewordenen Café Les deux Garçons, heute lässig „Les 2 G“genannt. Und dann mit 320 Kilometern pro Stunde nach Karlsruhe rauschen, wo der Kosmos des Künstlers für mehr als drei Wintermona­te inszeniert ist.

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Den Berg Sainte-victoire hat Cézanne immer wieder gemalt. Treffend - wie der Fotovergle­ich zeigt. Fotos: Ap/mauritius Images

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