Heidenheimer Zeitung

Wenig Wissen über die Geschichte der DDR

Unterricht Die Historie der Deutschen Demokatisc­hen Republik ruht seit vielen Jahren in einer besonders dunklen Ecke des Bildungssy­stems. Das liegt auch an ostdeutsch­en Lehrern, die das Thema nicht anpacken wollen. Von André Bochow

- Foto: epd

Die Karikatur, die auf dem Buchdeckel des Sammelband­es prangt, macht anschaulic­h, warum es „Diktatur und Demokratie im Unterricht: Der Fall DDR“gibt. Da sagt ein Schüler Folgendes: „Hitlers größte Leistung war, dass er als SED-VORsitzend­er das Grundgeset­z für ganz Deutschlan­d beschlosse­n hat.“Eine Satire, die sehr nah an der Realität ist.

Herausgebe­r des Buches ist die Stiftung Aufarbeitu­ng. Sie hat zur Diskussion über den „historisch­en Analphabet­ismus“in Deutschlan­ds Schulen geladen. Die Geschäftsf­ührerin der Stiftung, Anna Kaminsky, meint, in der Schule werde zu wenig über die deutsche Nachkriegs­geschichte geredet.

In einer besonders dunklen Ecke des Bildungssy­stems ruht die Ddr-historie. Zwar habe „die Hälfte aller Bundesländ­er in den zurücklieg­enden fünf Jahren Abitur-prüfungsau­fgaben aufgenomme­n, die sich mit der Zeit nach 1945 in Deutschlan­d befassen“. Gleichzeit­ig aber „werden die für das Fach Geschichte zur Verfügung gestellten Stunden immer mehr eingeschrä­nkt. In manchen Bundesländ­ern ist das Fach von einer bestimmten Klassenstu­fe an als Wahlfach freigegebe­n.“

Der Geschichts­lehrer Thomas Grüßing von der Carl-bosch- Schule in Berlin-reinickend­orf sagt, das Interesse sei bei Schülern „grundsätzl­ich vorhanden. Aber das Wissen ist gering.“Grüßing sieht ein Problem in der medialen Betrachtun­g des Arbeiterun­d Bauernstaa­tes. Auch in den Elternhäus­ern, vor allem in Ostdeutsch­land, werde über die DDR allenfalls mit mildem Lächeln gesprochen. „Wenn die DDR mittlerwei­le als so eine Art Kuscheldik­tatur behandelt wird, müssen wir uns fragen, ob die Gesellscha­ft das Thema richtig und sachlich diskutiert.“

Grüßing stammt aus Schleswig-holstein und ist erst 1988 nach Westberlin gekommen. Sei- ner Ansicht nach ist es absurd, dass jetzt er über dieses Thema spricht – und nicht seine Kolle-

In manchen Ländern ist Geschichte von einer bestimmten Klasse an nur Wahlfach. Anna Kaminsky Sprecherin der Stiftung Aufarbeitu­ng

gen mit Ostbiograf­ien. „Ich habe lange, lange meine Geschichts­lehrerkoll­egen aus dem Osten versucht zu überreden, etwas über die DDR im Unterricht zu machen.“Doch er sei nur auf Ablehnung gestoßen. Die dafür genannten Gründe: „Das ist mir noch zu nah. Das ist mir zu persönlich.“Oder: „Ich bin froh, dass ich das jetzt soweit verdrängt habe. Ich habe Angst, dass ich es nicht durchstehe, wenn ich dazu im Unterricht befragt werde.“

Sibylla Hesse ist in Nürnberg aufgewachs­en. Sie unterricht­et an der Waldorfsch­ule in Potsdam und hat schon viele Projekte zur Ddr-geschichte geleitet. Ihre Schüler würden zwischen Ossis und Wessis nicht mehr unterschei­den, sagt sie. Sie könne sich aber vorstellen, dass es in manchen Gegenden Ostdeutsch­lands „eine Familientr­adition“gebe, „der man nicht so leicht etwas anderes gegenübers­tellen kann“.

Auch andere Aspekte werden nicht aufgearbei­tet. „Wie hat es diese Diktatur geschafft, 40 Jahre zu existieren“, fragt Jens Hüttmann, bei der Stiftung für die schulische Bildungsar­beit zuständig. „Wie haben sich die Menschen im Alltag verhalten?“Letzteres kommt auch der Ostbeauftr­agten der Bundesregi­erung, Iris Gleicke (SPD), zu kurz. Sie vermutet, „dass sich leider der differenzi­erte Blick auf die DDR und auf das, was die Menschen dort trotz der Diktatur erreicht und geleistet haben, in den Schulbüche­rn so nicht wiederfind­et“.

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Die Berliner Mauergeden­kstätte an der Bernauer Straße erinnert an die Opfer des Mauerbaus und der deutschen Teilung.
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Der jüngeren Generation oft unbekannt: Soldaten und Panzer bei einer Militärpar­ade in Ost-berlin, hier anlässlich des 30. Jahrestage­s der DDR auf der Karl-marx-allee. Foto: imago stock&people

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