Sozialdemokratisches Urgestein, fein geschliffen
Nachruf Abschied von Heinz Martin: Kaum einer war länger an wichtigen Schaltstellen kommunaler Politik.
In Zeiten wie diesen scheint es angezeigt, an Menschen zu erinnern, die es noch selbst erlebt haben, was es heißt, sich rechtsradikalen und nationalsozialistischen Bewegungen entgegenzustellen. Emil Martin, einer der führenden Köpfe der Heidenheimer Sozialdemokraten, wurde 1933 und danach mehrfach festgenommen und eingekerkert. Eswar sein Sohnheinz Martin, der in der großen Tradition einer von Erfolgen, Niederlagen und auch von Verfolgung gekennzeichneten Geschichte dieser Partei das Gesicht und die Seele seiner Heimatstadt mitgeformt hat: Jener Stadt, der es jetzt aufgetragen ist, mit tiefer Dankbarkeit und hohem Respekt Abschied von dieser großen Persönlichkeit zu nehmen.
Lange Spd-ortsvorsitzender
Heinz Martin, der vergangene Woche verstorben ist, war mehr als 91 Jahre Wegbegleiter dieser Stadt, nicht selten wegweisend und wegbereitend, was deren politische und soziale Entwicklung anbe- langt. Jahrzehntelang SPD-ORTSvorsitzender und damit Nachfolger seines nicht minder legendärenvaters, 29 Jahre Stadtrat, 21 Jahre lang Chef der Spd-fraktion, fast 30 Jahre im Kreistag, 20 Jahre Betriebsratsvorsitzender bei Zeiss in Oberkochen, 14 Jahre lang in der evangelischen Landessynode und im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags, ein Leben lang mit der Arbeiterwohlfahrt verbunden: Die Stimme dieses Zeitgenossen ward nicht nur gehört, sie war ausdrücklich gefragt.
Und sie hatte allenthalben Gewicht in einer Debattenkultur, die noch weit entfernt von Facebook & Co. auch damals schon, in einer politisch polarisierten Zeit, von vielenworten und eher wenig Verständigung geprägt war. Heinz Martin war sozialdemokratisches Urgestein, unverrückbar in seinem am Gemeinsinn ausgerichteten Standpunkt, aber nicht unbelehrbar, sondern zugänglich und offen, schon gar nicht grob und klotzig. In seinen Reden spiegelte sich die hohe Kunst des rhetorischen Feinschliffs wieder, ohne den Argumenten selbst die Ecken und Kanten zu nehmen. Ein glaubwürdiger Mann, der bei allen Widrigkeiten einerwechselvollen Geschichte an die friedensstiftende Kraft des Guten glaubte – und das auch ausgestrahlt hat. Streit in der Sache ja, verletzendes Verhalten nein.
Martin überschaute 70 Jahre Kommunalpolitik und damit eine Epoche, in der sich die Welt mehr als nur einmal grundlegend verändert hat. Diesen Wandel hat er auch im hohen Alter mit klugem Verstand verfolgt und aus seinen reichen Erfahrungen heraus betrachtet. An seinem 90. Geburtstag war’s, als er den Blick auf die sich 2015 verschärfende Flüchtlingsfrage lenkte, um einen Vergleich mit dem Nachkriegs-heidenheim zu ziehen, das durch den Zuzug von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen innerhalb kurzer Zeit von 27 000 auf 50 000 Einwohner anwuchs. Manchmal braucht die Gegenwart Zeitzeugen wie Martin, um angesichts aktueller Umbrüche nicht der Faszination der eigenen Deutungshoheit zu erliegen.
Als Beobachter und Akteur kommunalpolitischen Geschehens hat Heinz Martin mit Elmar Doch, Martin Hornung und Helmut Himmelsbach drei Oberbürgermeister erlebt, bisweilen erduldet, aus deren Händen der früh in Ehren ergraute Stadtrat eine Reihe Ehrungen entgegennehmen durfte. Die Goldene Münze für Verdienste um den Sport war dabei, der Ehrenring der Stadt Heidenheim, der Römischeadler in Gold. Viel Glanz, aber nichts, was ihn zu blenden vermocht, seinen Blick getrübt oder die Haltung verändert hat. Und die hatte ein Leben lang mit einem sozialdemokratischen Grundanliegen, der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit, zu tun.
Heidenheim nimmt Abschied von einer liebenswürdigen Persönlichkeit, die sich durch Werte wie Toleranz, Integrität und Verlässlichkeit, nicht zuletzt durch sein gewinnendes Lächeln, ausgezeichnet hat. Sein Ruf lebt weiter: Heinz Martin zählt zu den Großen dieser Stadt, und seine Größe war es, in besonderer Weise dem Leben der kleinen Leute verbunden gewesen zu sein. Erwinbachmann