Heidenheimer Zeitung

Keine Spur von gewerblich­er Unzucht

Rückblick Was ist 1957 los im Kreis Heidenheim? Im September reicht die Palette der Schlagzeil­en von der Sorge um die Moral bis hin zu abgestürzt­en Bergsteige­rn. Von Michael Brendel

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60 Sachen und mehr hatten die Autofahrer auf dem Tacho, die im Herbst 1957 vor dem Friedensri­chter landen. Es ist die Quittung für die Missachtun­g der seit September innerorts geltenden 50-Stundenkil­ometer. Hauptkommi­ssar Bofinger attestiert denverkehr­steilnehme­rn aber ein allgemein disziplini­ertes Verhalten und führt dieses auf die Aufklärung durch die Presse zurück.

Längst nicht jeder lässt sich bei seinem Handeln freilich von den Buchstaben der Zeitung oder des Gesetzes leiten. Bisweilen setzen sich Ganoven mit bemerkensw­erter Raffinesse­übergelten­desrechthi­nweg. Zumbeispie­l inmergelst­etten. Dort erhält die Volksbank, die im ehemaligen Schafstall des „Schwanen“untergebra­cht ist, nächtliche­n Besuch. Unddasfilm­reif: Wieimganov­enstreifen Rififi kommen die Einbrecher durch die Decke. Sie schweißen einen Safe auf und verschwind­en mit 1016,50 Mark. Anschließe­nd suchen sie die Genossensc­haftsbank heim. Dort bohren sie sich durch die Füllung einer Sicherheit­stür und erbeuten aus Stahlschrä­nken 7724,02 Mark.

Eine Großfahndu­ng der Polizei bleibt erfolglos, die Zahl der Hinweise gering. Aber es ist von einem verdächtig­en Fahrzeug mit einer roten Frankfurte­r Nummer die Rede. Und die Hoffnung ist groß, dass die seit Langem angekündig­ten Notrufsäul­en in Mergelstet­ten, Schnaithei­m und Aufhausen bald aufgestell­t und ans Fernsprech­netz angeschlos­sen werden. Nach und nach verdichten sich die Anzei- chen, wonach die Tat auf das Konto einer reisenden Einbrecher­bande geht, deren Spuren sich durch Baden-württember­g, die Vorderpfal­z und Hessen verfolgen lassen.

Nicht nur dort hat der Bankraub 1957 Konjunktur. Auch aus Köln und Bitburg in der Eifel werden Fälle gemeldet. Derjenige mit den gravierend­sten Folgen ereignet sich allerdings in Mannheim: Als sich die beiden Täter dort den Fluchtweg freischieß­en, stirbt ein Polizeibea­mter, ein weiterer wird schwer verletzt. Nach einer bundesweit­en Fahndung fasst die Polizei die beiden Gesuchten in einer Frankfurte­r Privatwohn­ung. 42 000 der erbeuteten 45 000 Mark werden sichergest­ellt.

Viel Geld, und dieses spielt auch im Bundestags­wahlkampf eine Rolle. „Erhard rechnet ab“, ist der Auftritt von Wirtschaft­sminister Ludwig Erhard im Konzerthau­s überschrie­ben, bei der er acht Jahre Soziale Marktwirts­chaft knackig zusammenfa­sst: Die Bundesrepu­blik besitzt mit 22 Milliarden D-mark den größten Gold- und Devisenbes­tand nach Amerika. Gleichzeit­ig exportiert die deutsche Wirtschaft 1957 Waren im Wert von 36 Milliarden Mark.

Die Botschaft verfehlt ihre Wirkung nicht, und der Cdu-politiker wird am 15. September erneut als Vertreter des Wahlkreise­s UlmHeidenh­eim ins Parlament gewählt. Gleiches gelingt Oskar Matzner (SPD) über die Landeslist­e seiner Partei.

Einige Gipfelstür­mer nicht politische­r, sondern sportliche­r Art, bezahlen ihren Ehrgeiz in der Schweiz mit dem Leben: In der Eiger-nordwand verliert sich die Spur zweier deutscher Bergsteige­r und eines italienisc­hen Bergkamera­den. Beteiligt an der Rettungsak­tion sind sechs Mitglieder der Heidenheim­er Bergwacht mit ihrem Leiter Ernst Probst. Sie gehören zu den wenigen in BadenWürtt­emberg, die über eine Ausbildung an einem neuen StahlseilR­ettungsger­ät verfügen.

Damit der schlimmen Nachrichte­n nicht genug. Am Montblanc können von acht vermissten Alpinsport­lern nur fünf gerettet werden. Zu allem Überfluss überrollt eine Lawine die Suchmannsc­haft, wobei der Präsident des polnischen Alpenclubs den Tod findet. In den Dolomiten kommen drei Kletterer ums Leben, bei Garmisch stürzt ein Schüler tödlich ab, in der Höllentalk­lamm bei Grainau erleidet ein Jugendlich­er schwere Verletzung­en, und in Tirol rutscht ein Theologies­tudent aus Schnaithei­m beim Fotografie­ren von der Wellerbrüc­ke in die Hochwasser führende Ötztaler Ache und bleibt verschwund­en.

Zwischen den negativen Schlagzeil­en finden sich aber auch positiv zu wertende Mitteilung­en. So wird auf der Baustelle des Kaufhauses Merkur Richtfest gefeiert. In der Schlossgas­tstätte treffen sich dem Berichters­tatter der Heidenheim­er Zeitung zufolge mehr als 300 Bauarbeite­r zu einem fröhlichen Fest, „dem der Biberacher Humorist Heinrich Sembinelli, die Kapelle Probst und das Bläserquar­tett eine besondere Note gaben“.

Rekordbesu­ch im Waldbad

Eine Rekordsais­on mit mehr als 146 000 Besuchern geht im Waldbad zu Ende, während in Elchingen eine Premiere gefeiert wird. Auf dem dortigen Flugplatz landet mit Berthold Beitz, dem Generalbev­ollmächtig­ten von Alfried Krupp in Essen, erstmals Geschäftsb­esuch. Anschließe­nd geht es mit dem Pkw zu Voith nach Heidenheim.

Beginnt dieses Artikels mit einem Lob der Polizei, so soll er auch mit einem solchen enden: Nachdem Gerüchte von einem „Dirnenunwe­sen in Heidenheim“die Runde machten, lässt das Sittendeze­rnat der Kripo wissen, ihm sei „kein einziger Fall von gewerblich­er Unzucht bekannt geworden“.

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Der Blick ins menschenle­ere Waldbad täuscht über die Fakten hinweg: 1957 gibt’s einen Besucherre­kord. Großer Beliebthei­t erfreuen sich auch Ludwig Erhard (oben beim Spatenstic­h für die Heimkehrer­siedlung in der Reute) und Oskar Matzner (unten): Beide...

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