Heidenheimer Zeitung

Blühende Spaltung

- André Bochow zum Stand der deutschen Einheit leitartike­l@swp.de

Auch diese Bundestags­wahl hat gezeigt: Deutschlan­d ist gespalten. Der Osten sieht mittlerwei­le aus wie der Westen. Er riecht auch so. Aber der Schein trügt. Kaufhausfa­ssaden, nagelneue Autobahnen und sogar die sinkende Arbeitslos­igkeit sind nicht wichtig, wenn es um die Gefühlslag­e der Ostdeutsch­en geht, die derzeit auch ein Untersuchu­ngsgegenst­and erster Ordnung ist.

Vor allem der ostdeutsch­e Mann und sein rechtes Wahlverhal­ten werden erforscht. Und eine kühne Behauptung jagt die andere. Die Wahl der AFD war die späte der Rache der Ostdeutsch­en an den Westdeutsc­hen, konnte man lesen. Rache wofür? Für die Milliarden, die von West nach Ost transferie­rt wurden? Für einen Wohlstand, der in Europa seinesglei­chen sucht?

Aber es stimmt, im Osten des wiedervere­inigten Landes fühlen sich viele nicht wertgeschä­tzt, nicht den Westdeutsc­hen gleichwert­ig, nicht genug berücksich­tigt, wenn es um die Verteilung materielle­r Güter geht. Und es ist ja wahr, dass die Ossis enorme Leistungen vollbracht haben, als ihre Wirtschaft, ihre Gewissheit­en, ihr Leben vor einem Vierteljah­rhundert völlig umgekrempe­lt wurden. Vergessen wird oft, dass sie das drastische Ende ihrer Volkswirts­chaft selbst gewählt haben. So war es nicht gedacht, als man Kohl’schen Heilsversp­rechen glaubte, aber an Warnungen herrschte seinerzeit kein Mangel. Allerdings ist es heute für das Selbstwert­gefühl besser, Betrogener zu sein.

Es gehört auch zur ostdeutsch­en Realität, dass das Eigentum an Grund und Boden langfristi­g verteilt ist und sich höchstens ausnahmswe­ise in ostdeutsch­en Händen befindet. Und ja, Angehörige westdeutsc­her Eliten holen mittlerwei­le ihre Bekannten aus dem Westen nach und verstellen den Ostdeutsch­en nicht selten die Aufstiegsm­öglichkeit­en. Weder erkennen die Westdeutsc­hen die Lebensleis­tungen der Ostdeutsch­en an noch wird im Westen die Okkupation der Führungspo­sitionen im anderen Teil Deutschlan­ds diskutiert, in Frage gestellt oder auch nur beachtet.

Der Arroganz westdeutsc­her Macht steht sehr oft die Rechthaber­ei der Beleidigte­n in den immer älter wer- denden neuen Ländern gegenüber. Am schlimmste­n sind die Minderheit­en, die sich für „das Volk“halten und damit meinen, dass nur ihre Meinung zählt. Und die Beschwerde, „die da oben“würden sich nicht um die Ossis kümmern, offenbart vor allem eines: Untertanen­geist und ein krudes Staatsvers­tändnis. Das alles wird noch befeuert von Politikern, die immerzu etwas „liefern“wollen. Die Demokratie als Versandhan­del.

Bevor es zu einseitig wird: Dass die AFD im Osten 20 Prozent geholt hat, kann man immerhin noch erklären. Auch wenn die Erklärunge­n deprimiere­nd sind. Warum aber gibt es 12 Prozent für die Rechtspopu­listen in Bayern und Baden-württember­g?

Wenn das nicht genau analysiert wird, dann wird es wohl doch noch zur wirklichen deutschen Einheit kommen. Dann gibt es gleiche Renten, auch im Westen neue Autobahnen und ein angegliche­nes Wahlverhal­ten. In einig Dunkeldeut­schland.

Der Arroganz westdeutsc­her Macht steht oft die Rechthaber­ei der Beleidigte­n im Osten gegenüber.

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