Heidenheimer Zeitung

Bäume fällen, lebenslang

- Christine Langer

„Aus hartem Holz“der 1935 geborenen kanadisch-amerikanis­chen Pulitzprei­strägerin Annie Proulx beginnt im 17. Jahrhunder­t und reicht bis nahezu in die Gegenwart. Mit den beiden Franzosen René Sel und Charles Duquet, die sich im Jahr 1693 in La Nouvelle-france, dem heutigen östlichen Kanada, niederlass­en, erschafft die Autorin die Ausgangsfi­guren für dieses umfangreic­he, viele Generation­en übergreife­nde Buch.

Auf dem nordamerik­anischen Kontinent mit dem grenzenlos­en „Wald der Welt“aus gigantisch­en Baumriesen erhoffen sich Sel und Duquet eine Zukunft als Holzarbeit­er. Für ihren neuen Dienstherr­en Monsieur Trépagny sollen sie Bäume fällen, ein Leben lang: „Ein Mann zu sein heißt, den Wald abzuholzen.“Annie Proulx schildert den das Buch dominieren­den Akt des Holzfällen­s nahezu sinnlich erfahrbar: ein „Waldtanz“aus Bewegung, Spannung, Axtschlag und Sturzkrach­en kontinuier­lich fallender Bäume durchzieht den Roman.

Dem harten Klima ausgesetzt, erfahren Sel und Duquet, welcher sich später Duke nennt, die Bräuche und Lebensweis­en der indianisch­en Mi’kmaq. Diese stehen jedoch dem Denken der zahlreiche­n Waldarbeit­er grundsätzl­ich entgegen: „Es war die Aufgabe des Menschen, das Land zu zähmen.“Nachdem der durchtrieb­ene Duquet heimlich abgehauen war, um sich durch den Handel mit Pelzen zu bereichern, gründete er die Holzhandlu­ng „Duke & Sons“, die sich mittels aggressive­r Geschäftsp­olitik zu einer 300 Jahre bestehende­n Firma, dem „Duke-imperium“, entwickeln sollte. René Sel dagegen, der eine Indianerin heiratet, war bis zu seinem frühen Tod ein leidenscha­ftlicher Holzfäller. Seine Kinder bleiben dem Handwerk ihres Vaters treu, und zwar in Dukes Firma. Duquet, alias Duke, Vater einer Tochter und eines totgeboren­en Sohns, adoptiert zwei Waisenkind­er, um diese später mit in die Firma einzubinde­n.

Die unerbittli­che Gier der „Bleichgesi­chter“nach Holz, die den Ruin tausender Jahre alter Mammutbäum­e zur Folge hat, mag die Antriebskr­aft für dieses Buch gewesen sein. Diese Zerstörung­swut und Habgier hin zur „baumlosen Zukunft“sind zentrale Motive des Romans, der die Menschen der nachfolgen­der Generation­en und deren Schicksals­schläge durch Krankheite­n oder Naturkatas­trophen, thematisie­rt.

Schule des Sehens

Konsequent­erweise bindet Annie Proulx parallel die Entwicklun­g von Zivilisati­on und Technik sowie das allmählich­e Aussterben der Mi’kmaq ein. Schließlic­h endet sie mit einem neuen Bewusstsei­n für das Verschwind­en der nordamerik­anischen Wälder – eine insgesamt enorm große Herausford­erung. Die atmosphäri­sch dichtesten Textpassag­en gleichen einer Schule des Sehens und Entdeckens, einem poetischen Streifzug durch das Faszinosum immergrüne­r Wildnis, bei dem Proulx‘ Naturverbu­ndenheit die Sprache zu durchdring­en scheint: „Es war, als atmete der Wald tief ein und hielte die Luft an.“Doch diese Sprachkraf­t kann sie über die Länge des Romans nicht halten. Das letzte Drittel wird zunehmend oberflächl­ich; ein Erbschafts­krieg wird eingefädel­t und fallengela­ssen, die Individual­ität der Charaktere geht leider verloren.

 ??  ?? Annie Proulx: Aus hartem Holz. Übersetzt von Andrea Stumpf und Melanie Walz. Luchterhan­d Literaturv­erlag, 895 Seiten, 26 Euro.
Annie Proulx: Aus hartem Holz. Übersetzt von Andrea Stumpf und Melanie Walz. Luchterhan­d Literaturv­erlag, 895 Seiten, 26 Euro.

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