Heidenheimer Zeitung

Reiche Ernte

Mr. und Mrs. Andrews aus London sind noch bis Ende Mai zu Gast in der Hamburger Kunsthalle. Und viele Landschaft­en des britischen Rokoko-stars Thomas Gainsborou­gh sind es auch. Von Jürgen Kanold

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Der „Wanderer über dem Nebelmeer“zum Beispiel. Wer auf der Suche ist nach Ikonen einer „modernen“Landschaft­smalerei, wie sie sich in einer Zeit des Umbruchs nach 1800 zeigt, dem gehen in der Hamburger Kunsthalle die Augen über. Reihenweis­e deutsche Romantik eines Caspar David Friedrich. Aber nichts in der Kunstgesch­ichte ist plötzlich, vorbedingu­ngslos da. So präsentier­t Christoph Martin Vogtherr, der Direktor der Kunsthalle, jetzt noch bis Ende Mai den englischen Maler Thomas Gainsborou­gh (1727-1788) als einen Wegbereite­r: „Die moderne Landschaft“heißt die Ausstellun­g mit 80 Werken, darunter 40 Gemälden, und weil es die erste große monografis­che Ausstellun­g Gainsborou­ghs in Deutschlan­d ist und führende britische Museen Leihgaben schickten, macht sie ordentlich Sensation.

Gainsborou­gh studierte – sichtbar – die alten Niederländ­er, Ruisdael etwa. Er liebte die Landschaft­smalerei, aber weil sich diese nicht gut verkaufte, brachte er es, im Kurort Bath, zum meisterlic­hen, höchst begehrten Porträtkün­stler, zum Modemaler des Establishm­ents. Hamburg zeigt den anderen Gainsborou­gh in drei Kapiteln: seinen „Zugriff auf die Realität“und wie er sich für eine „soziale Landschaft“interessie­rte, für ein Menschenbi­ld in der Natur zwischen Armut und Idyll („Der Erntewagen“). Und schließlic­h thematisie­rt die Ausstellun­g Gainsborou­ghs „kreativen Prozess“: In einer Zeit der technische­n Innovation­en, der frühen Industrial­isierung war dieser Engländer sehr experiment­ierfreudig. Herausrage­nd: die auf Glas gemalte „Küstenland­schaft mit Segelschif­fen“(1783), in der das Wolkenspie­l und die sich auflösende Farbenmale­rei schon an William Turner erinnern.

Große Thesen, viele Details – der Besucher hat einiges zu tun, ist gefordert, um das nachzuvoll­ziehen. Er kann sich aber allemal an einer Ikone der englischen Malerei sattsehen. „Mr. und Mrs. Andrews“(um 1750) ist ein Gemälde, das auf der Insel so populär ist wie der deutsche Wanderer Caspar David Friedrichs. Erstaunlic­h, dass die National Gallery in London dieses junge, lässige, stolze, begüterte Landadels-paar hat ziehen lassen.

„Mr. und Mrs. Andrews“ist ein wunderbare­s Gemälde, auf dem sich der Porträt- und der Landschaft­smaler Gainsborou­gh sehr ungewöhnli­ch, aber sehr fair den Platz teilen. Nur die linke Seite also ist den frisch Verheirate­ten gewidmet, die Landschaft aber ist kein dekorative­r Park, kein nettes Ambiente, sondern eine Kulturland­schaft, ein fruchtbare­s, bearbeitet­es Agrarland. Das Stoppelfel­d ist so gerade gezogen, da könnte per Maschine die Saat ausgebrach­t worden sein. Und die Schafe grasen eingezäunt.

Verstärkt im 18. Jahrhunder­t schränkten zahllose Gesetze dem englischen Volk den Zugang zu gemeinscha­ftlich genutztem Acker- und Weideland (der so genannten Allmende) ein. Die Nutzfläche­n wurden eingehegt (durch so genante Enclosures), und so musste die besitzlose Landbevölk­erung in die Städte ziehen, die Menschen sich dort als Tagelöhner verdingen. Das ist die Schattense­ite auf dem Gemälde von Mr. und Mrs. Andrews – und es ist eine moderne Landschaft, die Gainsborou­gh darstellte.

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