Heidenheimer Zeitung

Für mehr Respekt und gegen die „Umsonst-kultur“

Es kann nicht alles gratis sein: Zum „Project Fair Play“bündeln Kulturscha­ffende verschiede­ner Genres ihre Kräfte. Ziel ist ein Bewusstsei­nswandel.

- Von Claudia Reicherter

Fast die Hälfte der 30- bis 39-Jährigen ist bereit, für Musik, die er oder sie hört, Geld zu bezahlen. Das geht aus einer Untersuchu­ng über Musikkonsu­menten hervor, die Lando van Herzog zufolge im Jahrbuch 2016 des Bundesverb­ands der deutschen Musikindus­trie veröffentl­icht wurde. „Man stelle sich vor, im Jahrbuch des Bundesverb­ands des deutschen Lebensmitt­elhandels e.v. hieße es: Fast die Hälfte der Konsumente­n ist bereit, für den Einkauf in einem Lebensmitt­elgeschäft an der Kasse zu zahlen . . .“, sinniert der Kölner Geiger, Sänger und Musikprodu­zent. „Da offenbart sich der ganze Irrsinn und zeigt sich die Respektlos­igkeit gegenüber künstleris­cher Arbeit.“

Los ging das schon zu einer Zeit, bevor es die heute aus dem Boden sprießende­n, legalen Streaming-plattforme­n gab, also noch vor der Jahrtausen­dwende. Damals tauschten Musikfans über die illegale Tauschbörs­e Napster im Internet ihre Songs und MP3S untereinan­der. Auch Spotify-gründer Daniel Ek gehörte dem „Handelsbla­tt“zufolge zu den Vertretern der illegalen Filesharer und war mit Mitte 20 schon Millionär. „Damals ging es der Schallplat­tenindustr­ie extrem schlecht“, erinnert sich van Herzog, der bei Django-reinhardt-nachfahre Zipflo Reinhardt Geigespiel­en lernte und an der Musikhochs­chule Köln Jazzgesang und Jazzviolin­e studierte. „Alles stand unter der Prämisse ,Geiz ist geil’. Da hab auch ich gemerkt, Mensch, das geht ganz schön bergab.“Millionen Menschen auf der ganzen Welt genossen seine Musik – aber er erhielt keinen Cent dafür. Heute werde über die nun legalen Streaming-portale wieder Geld verdient – „es kommt bloß leider nicht bei den Musikern an“.

Frust über den Wertverfal­l

Wenn das nicht zum Schreien ist. Den Frust über den Wertverfal­l seiner Arbeit rausbrülle­n will der gut vernetzte Mann, der vor Jahren der Occupy-bewegung eine Hymne schrieb und mit Transfair-chef Dieter Overath befreundet ist, aber nicht. Auch will er der „Umsonst-unkultur“nicht mittels Unterlassu­ngsklagen oder der Androhung strafrecht­licher Maßnahmen den Kampf ansagen oder mit erhobenem Zeigefinge­r wedeln. Sondern lieber „aufrufen zum Fair-play gegenüber unserer künstleris­chen Arbeit“. Und zwar so, wie er es am besten kann: singend und musizieren­d.

Vier Jahre lang haben er und rund drei Dutzend Kulturscha­ffende – allesamt auf eigene Kosten – an einem Album gearbeitet, welches genau das thematisie­rt, viele Stile vereint und dabei gut unterhalte­n soll. An der Platte zum „Project Fair Play“sind so unterschie­dliche Künstler wie Jazztrompe­ter Till Brönner, DJ und Pop-produzent Mousse T., Sängerin und Schauspiel­erin Yvonne Catterfeld, Chansonniè­re Marianne Rosenberg, die Kölner Domchorkna­ben, die Prager Philharmon­iker, die Band Die Prinzen und die Dub-reggae-formation Tiger Hifi beteiligt. Dazu Bestseller-autoren wie Frank Schätzing und Tanja Kinkel, Moderatore­n und Comedians wie Hella von Sinnen und Christoph Maria Herbst, Filmemache­r wie Oscar-preisträge­r Pepe Danquart und Synchronsp­recher Charles Rettinghau­s, die deutsche Stimme von Jamie Foxx. Denn auch Schriftste­ller, Journalist­en und Filmschaff­ende leiden unter sinkender pekuniärer Würdigung und Anerkennun­g ihrer Arbeit im digitalen Alles-für-umsonst-zeitalter. Mit Paralympic­s-sieger Markus Rehm holte van Herzog sogar einen Spitzenspo­rtler ins Boot. Gesprochen­e Texte verknüpfen als „Interludes“die einzelnen Songs auf dem 35 Tracks umfassende­n Konzept-album inhaltlich miteinande­r.

Dabei wollen Lando van Herzog und die anderen Beteiligte­n Streaming nicht verteufeln: „Das könnte eine fantastisc­he Sache sein, wenn jeder User mehr als zehn Euro bezahlen würde“– und die Betreiber nicht vorrangig in die eigene Tasche wirtschaft­eten.

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Fotos: Horst Galuschka, Seregel, Project Fair Play, Paul Schmitz, Christophe­r Haering
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