Das Leben auf der Schräge
Theater Michael Thalheimer treibt der „Endstation Sehnsucht“am Berliner Ensemble alle tieferen Gefühle aus.
Berlin. Aber ja doch! Die blühende amerikanische Nachkriegs-dramatik hatte fast bis zum Ende des 20. Jahrhunderts auch die europäischen Bühnen beherrscht. Obwohl sie sich eigentlich nur darauf besonnen hat, was um 1900 in Europa Ibsen, Strindberg und auch ein bisschen Tschechow ihnen vorexerziert haben. Eugene O‘neill, Arthur Miller, Edward Albee – lauter heimwärts schauende Engel bei Hexenjagden und Gier unter Ulmen jenseits von Eden auf langen Tagesreisen in die Nacht ohne Angst vor Virginia Woolf.
In jüngster Zeit, plötzlich letzten Sommer, steigt vor allem der Orpheus Tennessee Williams wieder herab. Auch und insbesondere in Deutschland. Warum? Ganz einfach: Die Stücke sind zeitlos schmackhaftes Kraftfutter für hungrige Rollenspieler, wie sie der neue Be-intendant Oliver Reese so erfolgreich liebt. Und der Mensch ist ja bekanntlich sowieso nachhaltigst sexuell triebgesteuert, was er aber nicht immer wahrhaben will und deshalb zum listenreich verdrängenden Verstellungskünstler wird – Träume und Lügen. Welch verhängnisvolle Folgen dies haben kann, das durchleidet exemplarisch das durchweg verkorkst sich etwas vormachende Personal in Tennessee Williams’ schwül dampfendem Südstaaten-melodram von der „Endstation Sehnsucht“.
Andreas Döhler ist in der Inszenierung von Michael Thalheimer am Berliner Enemnble der unzähmbar aufbrausende Brutalo Stanley Kowalski, der freilich auch verletzlich über zärtlichere Empfindungen verfügt und deshalb nicht aus und ein weiß, was er mit den zwei nervenden Frauen anfangen soll, die von Cordelia Wege (als Blanche) und Sina Martens (als Stella) kaltblütig von einer Krise in die nächste getrieben werden.
Nichts ist geheuer
Thalheimer macht vollends alles klar, indem er das schnell sentimental wirken könnende Stück radikal austrocknet, kondensiert und härtet. Für das Heillose von zugespitzten Gefühlswallungen ist er seit Jahren Spezialist. Er braucht dazu kein Milieu, obwohl das im Film eine große Rolle spielt. Anstelle tiefenpsychologisierendem Naturalismus in einem requisitenreichen Arme-leuteAmbiente ist hier der Spielort eine wie herausgemeiselte Felsritze in die 50-Grad-totalschräge gehende Höhenrampe von Olaf Altmann, untermalt von unheimlich grummelnder Minimalmusik von Bert Wrede. Nichts ist mehr geheuer, nichts wie im echten Leben. Steil abschüssig, wenn sie rutschend von oben kommen, schwer erkletterbar, wenn sie nach oben wollen. Eine atembeklemmende Raum-symbolik.