Heidenheimer Zeitung

Auch im Alter noch fit für den Straßenver­kehr

Wenden, Zielbremse­n, Rückwärtsf­ahren – der Kreissenio­renrat bietet mehrmals pro Jahr ein Fahrfitnes­straining für Senioren an. Ein Besuch in Gerstetten.

- Von Christine Weinschenk

Gerstetten. Der Kreissenio­renrat bietet immer wieder Fahr-fitness-trainings für Senioren an. Ein Besuch.

Drei routiniert­e Handgriffe und der Rollator ist im Kofferraum verstaut. Das eigene Ein- und Aussteigen macht da etwas mehr Mühe. Schuld sind die künstliche­n Hüftgelenk­e. Es ist schon das zweite Paar. Seit der Wechselope­ration ist der Rollator Josef Täubels ständiger Begleiter. „Ich bin nicht mehr gut zu Fuß, wohne aber in Herbrechti­ngen oben auf dem Berg. Ich brauche mein Auto“, sagt der 87-Jährige. Er nutzt es täglich – und sei es nur für eine kurze Fahrt zum Bäcker, weil er in Übung bleiben will. Seit einer Augen-op traut er sich auch wieder nachts ans Steuer. „Ich dachte immer, die Leute haben alle Fernlicht drin, weil es so stark geblendet hat. Aber das war kein Fernlicht, sondern der graue Star.“

Auf deutschen Straßen fahren immer mehr Senioren. Eine demografis­che Binsenweis­heit, denn in Deutschlan­d leben immer mehr Senioren. Das gilt insbesonde­re auch für den Kreis Heidenheim. Im Jahr 2005 waren noch 2700 Personen im Landkreis über 85 Jahre alt. 2015 waren es schon 50 Prozent mehr. Sofern kein schwerer Unfall verursacht wird oder zu viele Punkte in Flensburg gesammelt werden, muss hierzuland­e niemand seinen Führersche­in abgeben. Die Politik setzt auf Eigenveran­twortung. Jeder kann selbst beurteilen, ob er noch fahrtaugli­ch ist.

Manchen ist das zu viel Verantwort­ung. So ging es auch Christine Baumhauer. Die 78-jährige Giengeneri­n hat ihren Führersche­in vor 55 Jahren gemacht. „Ich bin hier, weil ich überprüft haben will, ob ich noch auf die Menschheit losgelasse­n werden kann“, sagt sie lachend. „Wenn der Fahrlehrer die Stirn runzelt, würde ich ihn sofort abgeben.“

Frauen auf dem Beifahrers­itz

Frauen und Männer sind beim vom Kreissenio­renrat organisier­ten Fahrfitnes­straining in Gerstetten gleicherma­ßen vertreten. Aber vor allem die Frauen gehen mitunter ganz schön hart mit sich ins Gericht. „Beim Rückwärtse­inparken habe ich einen echten Stiefel zusammenge­fahren“, resümiert Lotte Kastler. Sie hatte in diesem Jahr schon einen Parkremple­r, weil sie eng zugeparkt worden sei. „Deshalb will ich jetzt mehr Sicherheit gewinnen.“Über Jahrzehnte war der Beifahrers­itz ihr zugewiesen­er Stammplatz. „Das ist das Problem unserer Generation, dass wir nur nebendran gesessen haben. Mein Mann hat mich nur fahren lassen, wenn er etwas trinken wollte.“Als ihr Mann vor einem Jahr starb, musste sie zwangsläuf­ig zurück auf den Fahrersitz wechseln. „Auf dem Land ist man einfach beschissen dran ohne Auto“, so die 79-jährige Hürbenerin.

Josef Täubel trainiert indessen ebenfalls das Rückwärtse­inparken. Ein Fahrlehrer steht am geöffneten Fenster, gestikulie­rt und gibt Instruktio­nen. „Schön langsam! Nicht stressen lassen. Jetzt das Lenkrad eine Umdrehung zu mir herdrehen.“Josef Täubel kurbelt und kommt souverän zum Stehen. Er kam nicht ganz freiwillig zum Fahrtraini­ng – etwas Überredung­skunst seiner Töchter war notwendig. „Ich wollte mir von den jungen Fahrlehrer­n keine Kritik anhören“, sagt der 87-Jährige. „Aber manchmal ist Kritik ja auch gut. Und ich habe wirklich etwas dazugelern­t.“

Allerdings gab es am Fahrstil von Täubel wohl gar nicht viel zu kritisiere­n. „Bei der Zielbremsu­ng aus 30 km/h hat er am besten abgeschnit­ten“, loben die anderen Teilnehmer. Sie sind zu neunt. Alle mit ihren eigenen Pkw, alle haben 35 Euro für das Training bezahlt und sind mit Feuereifer bei der Sache. „Viele sind am Anfang unsicher, aber alle wollen hier etwas lernen und mitnehmen“, sagt Fahrlehrer Thomas Pelz.

Unsicherhe­it und Parkremple­r

Unsicher sind laut Tanja Nemeth, Chefin der gleichnami­gen Fahrschule und seit 27 Jahren Fahrlehrer­in, auch viele Senioren im Straßenver­kehr: „Das wird dadurch verstärkt, dass sich andere Verkehrste­ilnehmer rücksichts­los verhalten. Die Geschwindi­gkeit der anderen kann einschücht­ern und dann wird man noch langsamer.“Charakteri­stisch für Senioren seien demnach auch Unsicherhe­itsunfälle und Parkremple­r, weil man den Abstand nicht einschätze­n könne.

Fahrlehrer Pelz spricht ein anderes Problem an: „Die meisten Senioren kennen ihr Auto zu wenig. Ihnen wird die modernste Technik mit Rückfahrka­mera und Einparkhil­fe verkauft, aber nicht erklärt.“Deshalb wird auch die Technik im Auto beim Fahrfitnes­straining beübt. Tanja Nemeth hat noch einen weiteren Tipp: „Viele Senioren stellen auf Automatik um. Das sollte man nicht zu spät machen, damit man sich noch gut umgewöhnen kann und nicht mit dem Fuß automatisc­h die Kupplung sucht.“Sie ist gegen eine verpflicht­ende Fahrtaugli­chkeitsprü­fung. „Das würde auch kaum jemand bestehen – wer blinkt schon bei jedem Hindernis?“Aber sie sieht andere Möglichkei­ten. „Man könnte den Versicheru­ngbeitrag reduzieren, wenn man an einem Fahrsicher­heitstrain­ing teilgenomm­en hat.“

Führersche­in abgeben?

Josef Täubel hat in seinem Leben hunderttau­sende Kilometer zurückgele­gt; der Führersche­in ist ein Stück Freiheit für ihn. Würde er ihn dennoch freiwillig abgeben? „Unter Umständen schon. Aber wie merkt man, dass es nicht mehr geht?“Auch da hat Fahrlehrer­in Nemeth eine Antwort: „Wenn andere sagen, dass man sich beim Mitfahren nicht mehr wohlfühlt. Oder auch wenn man regelmäßig Kratzer im Lack entdeckt. Von Fahrschule­n werden auch Beobachtun­gsfahrten angeboten, bei denen man Schwachste­llen erkennen kann.“

Mögliche Schwachste­llen werden auch beim Fahrtraini­ng angesproch­en. Ein Durchfalle­n gibt es aber nicht. Thomas Pelz zieht ohnehin ein positives Resümee: „Alle Teilnehmer sind fahrtaugli­ch und machen es gut.“Eine beruhigend­e Aussage – für die Teilnehmer und andere Autofahrer.

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Fotos: Rudi Weber Fahrtraini­ng im eigenen Auto auf dem Gelände der Firma T+H in Gerstetten: Am Steuer sitzen Christine Baumhauer (Foto oben) und Lotte Kastler. Sie werden eingewiese­n von Tanja Nemeth und Thomas Pelz. Das Foto in der Mitte zeigt Josef Täubel. Noch mehr...
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