Auch im Alter noch fit für den Straßenverkehr
Wenden, Zielbremsen, Rückwärtsfahren – der Kreisseniorenrat bietet mehrmals pro Jahr ein Fahrfitnesstraining für Senioren an. Ein Besuch in Gerstetten.
Gerstetten. Der Kreisseniorenrat bietet immer wieder Fahr-fitness-trainings für Senioren an. Ein Besuch.
Drei routinierte Handgriffe und der Rollator ist im Kofferraum verstaut. Das eigene Ein- und Aussteigen macht da etwas mehr Mühe. Schuld sind die künstlichen Hüftgelenke. Es ist schon das zweite Paar. Seit der Wechseloperation ist der Rollator Josef Täubels ständiger Begleiter. „Ich bin nicht mehr gut zu Fuß, wohne aber in Herbrechtingen oben auf dem Berg. Ich brauche mein Auto“, sagt der 87-Jährige. Er nutzt es täglich – und sei es nur für eine kurze Fahrt zum Bäcker, weil er in Übung bleiben will. Seit einer Augen-op traut er sich auch wieder nachts ans Steuer. „Ich dachte immer, die Leute haben alle Fernlicht drin, weil es so stark geblendet hat. Aber das war kein Fernlicht, sondern der graue Star.“
Auf deutschen Straßen fahren immer mehr Senioren. Eine demografische Binsenweisheit, denn in Deutschland leben immer mehr Senioren. Das gilt insbesondere auch für den Kreis Heidenheim. Im Jahr 2005 waren noch 2700 Personen im Landkreis über 85 Jahre alt. 2015 waren es schon 50 Prozent mehr. Sofern kein schwerer Unfall verursacht wird oder zu viele Punkte in Flensburg gesammelt werden, muss hierzulande niemand seinen Führerschein abgeben. Die Politik setzt auf Eigenverantwortung. Jeder kann selbst beurteilen, ob er noch fahrtauglich ist.
Manchen ist das zu viel Verantwortung. So ging es auch Christine Baumhauer. Die 78-jährige Giengenerin hat ihren Führerschein vor 55 Jahren gemacht. „Ich bin hier, weil ich überprüft haben will, ob ich noch auf die Menschheit losgelassen werden kann“, sagt sie lachend. „Wenn der Fahrlehrer die Stirn runzelt, würde ich ihn sofort abgeben.“
Frauen auf dem Beifahrersitz
Frauen und Männer sind beim vom Kreisseniorenrat organisierten Fahrfitnesstraining in Gerstetten gleichermaßen vertreten. Aber vor allem die Frauen gehen mitunter ganz schön hart mit sich ins Gericht. „Beim Rückwärtseinparken habe ich einen echten Stiefel zusammengefahren“, resümiert Lotte Kastler. Sie hatte in diesem Jahr schon einen Parkrempler, weil sie eng zugeparkt worden sei. „Deshalb will ich jetzt mehr Sicherheit gewinnen.“Über Jahrzehnte war der Beifahrersitz ihr zugewiesener Stammplatz. „Das ist das Problem unserer Generation, dass wir nur nebendran gesessen haben. Mein Mann hat mich nur fahren lassen, wenn er etwas trinken wollte.“Als ihr Mann vor einem Jahr starb, musste sie zwangsläufig zurück auf den Fahrersitz wechseln. „Auf dem Land ist man einfach beschissen dran ohne Auto“, so die 79-jährige Hürbenerin.
Josef Täubel trainiert indessen ebenfalls das Rückwärtseinparken. Ein Fahrlehrer steht am geöffneten Fenster, gestikuliert und gibt Instruktionen. „Schön langsam! Nicht stressen lassen. Jetzt das Lenkrad eine Umdrehung zu mir herdrehen.“Josef Täubel kurbelt und kommt souverän zum Stehen. Er kam nicht ganz freiwillig zum Fahrtraining – etwas Überredungskunst seiner Töchter war notwendig. „Ich wollte mir von den jungen Fahrlehrern keine Kritik anhören“, sagt der 87-Jährige. „Aber manchmal ist Kritik ja auch gut. Und ich habe wirklich etwas dazugelernt.“
Allerdings gab es am Fahrstil von Täubel wohl gar nicht viel zu kritisieren. „Bei der Zielbremsung aus 30 km/h hat er am besten abgeschnitten“, loben die anderen Teilnehmer. Sie sind zu neunt. Alle mit ihren eigenen Pkw, alle haben 35 Euro für das Training bezahlt und sind mit Feuereifer bei der Sache. „Viele sind am Anfang unsicher, aber alle wollen hier etwas lernen und mitnehmen“, sagt Fahrlehrer Thomas Pelz.
Unsicherheit und Parkrempler
Unsicher sind laut Tanja Nemeth, Chefin der gleichnamigen Fahrschule und seit 27 Jahren Fahrlehrerin, auch viele Senioren im Straßenverkehr: „Das wird dadurch verstärkt, dass sich andere Verkehrsteilnehmer rücksichtslos verhalten. Die Geschwindigkeit der anderen kann einschüchtern und dann wird man noch langsamer.“Charakteristisch für Senioren seien demnach auch Unsicherheitsunfälle und Parkrempler, weil man den Abstand nicht einschätzen könne.
Fahrlehrer Pelz spricht ein anderes Problem an: „Die meisten Senioren kennen ihr Auto zu wenig. Ihnen wird die modernste Technik mit Rückfahrkamera und Einparkhilfe verkauft, aber nicht erklärt.“Deshalb wird auch die Technik im Auto beim Fahrfitnesstraining beübt. Tanja Nemeth hat noch einen weiteren Tipp: „Viele Senioren stellen auf Automatik um. Das sollte man nicht zu spät machen, damit man sich noch gut umgewöhnen kann und nicht mit dem Fuß automatisch die Kupplung sucht.“Sie ist gegen eine verpflichtende Fahrtauglichkeitsprüfung. „Das würde auch kaum jemand bestehen – wer blinkt schon bei jedem Hindernis?“Aber sie sieht andere Möglichkeiten. „Man könnte den Versicherungbeitrag reduzieren, wenn man an einem Fahrsicherheitstraining teilgenommen hat.“
Führerschein abgeben?
Josef Täubel hat in seinem Leben hunderttausende Kilometer zurückgelegt; der Führerschein ist ein Stück Freiheit für ihn. Würde er ihn dennoch freiwillig abgeben? „Unter Umständen schon. Aber wie merkt man, dass es nicht mehr geht?“Auch da hat Fahrlehrerin Nemeth eine Antwort: „Wenn andere sagen, dass man sich beim Mitfahren nicht mehr wohlfühlt. Oder auch wenn man regelmäßig Kratzer im Lack entdeckt. Von Fahrschulen werden auch Beobachtungsfahrten angeboten, bei denen man Schwachstellen erkennen kann.“
Mögliche Schwachstellen werden auch beim Fahrtraining angesprochen. Ein Durchfallen gibt es aber nicht. Thomas Pelz zieht ohnehin ein positives Resümee: „Alle Teilnehmer sind fahrtauglich und machen es gut.“Eine beruhigende Aussage – für die Teilnehmer und andere Autofahrer.