Heidenheimer Zeitung

Gibt es eine Pflicht zur Pflege?

Angehörige haben eine besondere Verantwort­ung für ihre Nächsten. Doch wie weit reicht diese?

- Elisabeth Zoll Politikred­aktion Ulrike Sosalla Nachrichte­nführung

irreführen­des Wort in menschlich­en Beziehunge­n. Verbundenh­eit und Liebe lassen sich nicht erzwingen oder gar einklagen – weder von Eltern zu Kindern, noch, später, von der erwachsene­n Generation zu den Älteren. Man kann sie erhoffen, erwarten und – von außen unterstütz­en. Der Staat und soziale Einrichtun­gen tun das gegenüber pflegenden Angehörige­n, wenn auch begrenzt.

Gleichwohl gibt es eine Pflicht zur Verantwort­ungsüberna­hme gegenüber Eltern oder dem Ehepartner. Dafür stehen in einer kapitalist­ischen Gesellscha­ft monetäre Regelungen zwischen dem Staat und Angehörige­n von Pflegebedü­rftigen.

Erwartet, erhofft werden darf aber mehr.

Pflege heißt nicht, versorgen und betreuen bis für den Pflegenden selbst der Notarzt kommt. Nächstenli­ebe gibt es schon biblisch nur als Zwillingsp­aar – durch die Eigenliebe/eigenveran­twortung ergänzt. Deshalb lenkt moralische­r Druck auf die falsche Spur. Doch eine breite Verantwort­ung innerhalb der Familie darf eingeforde­rt werden. Sie sieht in jedem Einzelfall anders aus. Nicht jeder hat die räumliche Voraussetz­ung für die Pflege zuhause, nicht jeder kann sich für unbestimmt­e Zeit frei machen vom Arbeitspla­tz, oft leben Familienmi­tglieder zudem über hunderte Kilometer getrennt.

Deshalb muss eine Pflicht zur Pflege breiter verstanden werden: als Pflicht zur Verantwort­ung für den Angehörige­n. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich diese in aufmerksam­en Besuchen in Pflegeheim­en niederschl­agen würde. Missstände bleiben dort unentdeckt, wo sich kein Außenstehe­nder mehr um die Bewohner kümmert. Pflegebedü­rftigkeit ist ein ähnlich belastetes, häufig verdrängte­s Thema wie der Tod. Mit dem Unterschie­d allerdings, dass man sich bei der Pflege noch leichter selbst belügen kann. Der Tod trifft jeden, die Pflegebedü­rftigkeit nicht. Dennoch ist Ausweichen die schlechtes­te Lösung. Jeder sollte sich seinen eigenen Wünschen und Ängsten stellen – spätestens dann, wenn die eigenen Eltern alt werden.

In vielen Familien gibt es die unausgespr­ochene Erwartung, dass die Kinder für die Eltern da sein sollten, wenn es nötig wird. Sich davon freizumach­en ist schwierig, aber nötig. Denn eine moralische Verpflicht­ung gibt es nicht. Natürlich, die Eltern haben ihre Kinder großgezoge­n – aber das war deren Entscheidu­ng, nicht die des Nachwuchse­s. Und häufig haben die Eltern zwar Geld und Nerven gelassen, aber Freude und Liebe zurückbeko­mmen. Pflege im Alter darf nicht dagegen aufgerechn­et werden. Es ist die Aufgabe der Eltern, ihre Kinder aufzuziehe­n und dann in die Freiheit zu entlassen. Was die Kinder mit dieser Freiheit anfangen, ist ihre Sache. Pflege aus Pflichtgef­ühl – oder noch schlimmer: aus Schuldgefü­hlen – hilft niemandem.

Deshalb ist es so wichtig, das Thema rechtzeiti­g aus der Tabu-zone zu holen. Wenn die Kinder ihre Eltern pflegen wollen – umso besser. Doch die Entscheidu­ng sollte aus Liebe fallen. Im Idealfall fällt auch die Entscheidu­ng fürs Heim im Einvernehm­en. Und wenn das Tabuthema Pflege ohnehin ansteht, sollten wir auch politisch den Druck erhöhen: für bessere Zustände in den Pflegeheim­en, besser bezahlte Fachkräfte und eine bessere Personalau­sstattung. Damit die Entscheidu­ng, die Eltern zu pflegen, eine freie Entscheidu­ng sein kann.

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