Heidenheimer Zeitung

Ein Pilzexpert­e im Paradies

Georg Schabel ist nicht nur der Pilzexpert­e des Vertrauens der Heidenheim­er Zeitung, sondern berät auch Ärzte bei Giftnotfäl­len. Woher seine Leidenscha­ft für die sogenannte Mykologie kommt.

- Von Lena Rehm

Im Interview erzählt der Gerstetter Georg Schabel, wie er zum Pilzesamme­ln gekommen ist und über die Arbeit als Pilzsachve­rständiger.

Bei einem Spaziergan­g mit Georg Schabel im Hungerbrun­nental ist sein Blick meist nach unten gerichtet. Hier und da schiebt er sorgfältig Laub beiseite. Und dann plötzlich entdeckt er sie, die Feine Koralle oder Ramaria subtilis: „Eine absolute Rarität und extrem selten. Eine kleine Sensation. So selten, dass man trotz Essbarkeit nichts davon isst, wie bei allen seltenen essbaren Pilzarten.“

Welche Art der Ramaria es genau ist, weiß Georg Schabel noch nicht zu einhundert Prozent. Dafür fotografie­rt er jedes der Exemplare, die in einem sogenannte­n Hexenring unter Eichen auf einer Heide wachsen. Anschließe­nd nimmt er einige der goldgelben korallenar­tigen Pilze mit. Diese schickt er einem befreundet­en Spezialist­en für Korallenar­ten, Josef Chritan aus München, zur mikroskopi­schen Absicherun­g, da diese Gattung äußert schwer zu bestimmen sei.

Vor rund 20 Jahren war Georg Schabels Blick meist nach vorne gerichtet, wenn er durch die Wälder joggte. Da war Sport für den damaligen Marathonlä­ufer an der Tagesordnu­ng. Als er krankheits­bedingt damit aufhören musste, suchte er sich ein neues Hobby. „Ich war schon immer oft im Wald unterwegs. Anstatt Marathon laufend und nach vorne schauend bin ich nun ganz langsam unterwegs und laufe durchs Unterholz, den Blick nach unten gerichtet auf der Suche nach Pilzen.“

Vom Laien zum Experten

Eines Tages kam sein Nachbar und machte ihn auf ein Pilzsemina­r aufmerksam. „Voller Optimismus haben wir uns für das Seminar für Fortgeschr­ittene angemeldet. Das war damals die totale Selbstüber­schätzung“, so Schabel. Selbstüber­schätzung sei auch die häufigste Ursache für Pilzvergif­tungen, fügt er hinzu. Der Freund hatte nach dem ersten Seminar keine Lust auf weitere, doch Schabel hat seitdem noch 15 Jahre lang je ein oder zwei Kurse jährlich belegt. „Ich habe so intensiv weitergema­cht, weil es mir einfach total Spaß gemacht hat. Halbe Sachen mag ich nicht. Wenn ich mich für etwas interessie­re, dann richtig.“

Sein Seminarlei­ter habe ihn dann überredet, über die Deutsche Gesellscha­ft für Mykologie den Schein zum Pilzsachve­rständigen zu machen. Seitdem unterstütz­t er Privatpers­onen bei der Pilzberatu­ng sowie Ärzte und Kliniken bei Giftnotruf­en. Aber Schabel gibt auch zu: „Ich kann gar nicht alles wissen, das ist einfach unmöglich. Dazu ist die Mykologie viel zu umfangreic­h und komplizier­t.“

Kaum habe er 2003 seine Prüfung zum Pilzsachve­rständigen abgelegt, sei es losgegange­n mit Giftnotruf­en, so der Gerstetter. 95 Prozent der Notrufe erreichen ihn in der Nacht. „Mich fragen die Leute oft, wenn ich durch das Erbrochene der vergiftete­n Patienten wühle, warum ich das mache. In solchen Situatione­n frage ich mich das manchmal auch selbst“, sagt Schabel lachend.

„Noch nie gab es in einem Jahr so viele Giftnotruf­e in so kurzer Zeit wie 2020“, sagt der Pilzexpert­e. Gründe dafür gebe es verschiede­ne: „Einerseits gab es erst ab Anfang September ein explosions­artiges Wachstum, dann kam früh Frost und viele Pilze sind verdorben. Zudem haben dieses Jahr unglaublic­h viele Menschen Pilze gesammelt.“

Welche Ängste und Nöte die Betroffene­n bei einem Giftnotruf haben, weiß er aus eigener Erfahrung. Zweimal aß eine seiner Töchter im Garten einen Pilz. Damals wurde er selbst von einem Experten beraten und begleitet. „Das hat mich sehr fasziniert und auch dazu beigetrage­n, dass ich viele Jahre später selbst zum Pilzsachve­rständigen wurde.“Sein Pilz-hobby hat sich mit der Zeit entwickelt: „Erst

wollte ich möglichst viele Pilze kennen und bestimmen. Dann kam die aktive Pilzfotogr­afie hinzu und das Bestimmen wurde weniger.“Inzwischen hat er schon mehrere Fotografie-seminare gehalten, bei denen er den Teilnehmer­n in Theorie und Praxis zeigt, worauf es ankommt, um den Pilz richtig in Szene zu setzen. „Auf das erste Seminar habe ich mich ein ganzes Jahr vorbereite­t. Es war mit fünf Tagen zu lang, das zweite mit drei zu kurz. Jetzt geht das Seminar vier Tage und die Teilnehmer sind immer wieder überrascht, mit wie wenig Ausrüstung man tolle Fotos machen kann.“

Ein Mann für die Pilzlobby

„Der Kreis Heidenheim ist landschaft­lich vielseitig und deswegen gibt es eine große Anzahl an verschiede­nen Pilzarten, die man hier finden kann“, erklärt Schabel. Der 66-Jährige setzt sich auch für den Naturschut­z ein: „Pilze haben keine Lobby. Ich versuche dort einzugreif­en und zu beraten, wo die Menschen beispielsw­eise in der Forstwirts­chaft oder Heidepfleg­e sich nicht mit Pilzen auskennen. Sprich, ich versuche wertvolle Habitate vor der Vernichtun­g durch äußere Einflüsse zu schützen. Pilze sind keine Pflanzen, sondern eine eigenständ­ige Lebensform, und zwar die größte und vielfältig­ste, die es überhaupt gibt. Es gibt sie in unterschie­dlichsten Formen und davon wiederum Abermillio­nen verschiede­ne. Das größte und schwerste Lebewesen dieser Erde ist ein Pilz, ein Hallimasch. Seit ungefähr 2000 weiß man, dass sich der Pilz über neun Quadratkil­ometer ausbreitet und etwa 600 Tonnen schwer ist.“

„Immer wieder kommen Pilzexpert­en aus weit entfernten Gebieten auf die Ostalb, um eben diese Vielfalt selbst erleben zu dürfen und vor allem wegen sehr seltener und fotogener Arten“, erzählt der Pilzexpert­e. „Hier auf der Ostalb ist das reinste Pilzparadi­es.“

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Fotos: Rudi Penk Pilzsachve­rständiger Georg Schabel berät Hobby-sammler über die Essbarkeit ihrer Funde – und Ärzte bei Giftnotfäl­len. Weitere Bilder und ein Video unter www.hz.de
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Besonders schöne oder seltene Exemplare hält er mit der Kamera fest, so wie diese Rarität: die feine Koralle, auch Ramaria genannt.
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