Heidenheimer Zeitung

Die Last des Doktors

- André Bochow zu Eitelkeite­n und Plagiaten leitartike­l@swp.de

Wieder einmal beschäftig­en sich Politik, Medien und möglicherw­eise auch Wähler mit einer Plagiatsaf­färe. Franziska Giffey, Sozialdemo­kratin, Bundesfami­lienminist­erin und bislang mit Ambitionen sowie guten Aussichten für den Posten des Regierende­n Bürgermeis­ters von Berlin gehandelt, hat eine höchst kritikwürd­ige Dissertati­on abgeben. Das ist keine neue Erkenntnis. Die Prüfkommis­sion der Freien Universitä­t Berlin, die sich vor einem Jahr wegen Plagiatsvo­rwürfen gegen Giffey mit ihrer Doktorarbe­it auseinande­rsetzte, sprach von „objektiver Täuschung“, von „bedingtem Vorsatz“und von Mängeln die „systemisch­en Charakter“hätten. Die Kommission erteilte Giffey eine Rüge, entzog ihr aber nicht den Titel.

Das wollte die Berliner CDU nicht auf sich beruhen lassen und gab ein neues Gutachten in Auftrag. Das Ergebnis: Die FU sah sich genötigt, die Sache wieder aufzurolle­n. Franziska Giffey ist deswegen empört. Sie trägt den Doktortite­l nicht mehr und lässt wissen: „Wer ich bin und was ich kann, ist nicht abhängig von diesem Titel. Was mich als Mensch ausmacht, liegt nicht in diesem akademisch­en Grad begründet.“

So richtig diese Sätze sind, so sehr stellt sich die Frage, weshalb Giffey dann unbedingt den Doktortite­l wollte. Fünf Jahre Schinderei neben der Arbeit als Europabeau­ftragte des Berliner Stadtbezir­ks Neukölln. Warum? Um die Wissenscha­ft zu bereichern? Mit einer Arbeit, in der es darum geht, wie es der Eu-kommission gelingt, Bürgernähe herzustell­en? Oder ging es doch eher um den Titel, der zumindest in Teilen des deutschen Berufslebe­ns karrierefö­rdernd sein kann? Offenbar glauben auch Politiker,

sie würden innerhalb ihrer Kaste eine höhere Stufe erklimmen, wenn sie sich mit einem Dr. schmücken können. Und selbst wenn nicht, der eigenen Eitelkeit schmeichel­t der akademisch­e Grad allemal.

Nur sind die Doktortite­l dafür nicht geschaffen worden, auch wenn die schiere Anzahl das Gegenteil zu beweisen scheint. Seit Längerem gibt es die Diskussion über den verschwend­erischen Umgang deutscher Universitä­ten mit Promotione­n. Mindestens 25 000 Doktortite­l werden Jahr für Jahr verliehen. Würden die dazugehöri­gen Dissertati­onen alle einen Mehrwert haben, wäre Deutschlan­d Wissenscha­ftsland

Hätten alle Dissertati­onen einen Mehrwert, wären wir Wissenscha­ftsland Nummer 1.

Nummer 1. Ist es aber nicht. Mehr als ein Fünftel der Doktoren sind Ärzte, die ihre Qualifikat­ion jenseits von Doktorarbe­iten viel intensiver nachweisen müssen. Hier ist der Doktortite­l vor allem für die Patienten wichtig. Insofern könnte man ihn einfach nach erfolgreic­hem Studium vergeben. In allen anderen Bereichen sollte der Titel die Ausnahme bleiben, die dokumentie­rt, hier hat jemand den Wissenssch­atz der Menschheit bereichert.

Und was soll nun Frau Giffey machen? Soll sie hinwerfen und ihre Talente der Politik vorenthalt­en? Oder wäre es sinnvoll, zu sagen: Lasst es gut sein. Der Doktortite­l hat mit ihrer politische­n Arbeit nichts zu tun. Er ist nicht wichtig. Das Problem ist nur, dass er ihr wichtig war. Viel zu sehr.

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