Die Last des Doktors
Wieder einmal beschäftigen sich Politik, Medien und möglicherweise auch Wähler mit einer Plagiatsaffäre. Franziska Giffey, Sozialdemokratin, Bundesfamilienministerin und bislang mit Ambitionen sowie guten Aussichten für den Posten des Regierenden Bürgermeisters von Berlin gehandelt, hat eine höchst kritikwürdige Dissertation abgeben. Das ist keine neue Erkenntnis. Die Prüfkommission der Freien Universität Berlin, die sich vor einem Jahr wegen Plagiatsvorwürfen gegen Giffey mit ihrer Doktorarbeit auseinandersetzte, sprach von „objektiver Täuschung“, von „bedingtem Vorsatz“und von Mängeln die „systemischen Charakter“hätten. Die Kommission erteilte Giffey eine Rüge, entzog ihr aber nicht den Titel.
Das wollte die Berliner CDU nicht auf sich beruhen lassen und gab ein neues Gutachten in Auftrag. Das Ergebnis: Die FU sah sich genötigt, die Sache wieder aufzurollen. Franziska Giffey ist deswegen empört. Sie trägt den Doktortitel nicht mehr und lässt wissen: „Wer ich bin und was ich kann, ist nicht abhängig von diesem Titel. Was mich als Mensch ausmacht, liegt nicht in diesem akademischen Grad begründet.“
So richtig diese Sätze sind, so sehr stellt sich die Frage, weshalb Giffey dann unbedingt den Doktortitel wollte. Fünf Jahre Schinderei neben der Arbeit als Europabeauftragte des Berliner Stadtbezirks Neukölln. Warum? Um die Wissenschaft zu bereichern? Mit einer Arbeit, in der es darum geht, wie es der Eu-kommission gelingt, Bürgernähe herzustellen? Oder ging es doch eher um den Titel, der zumindest in Teilen des deutschen Berufslebens karrierefördernd sein kann? Offenbar glauben auch Politiker,
sie würden innerhalb ihrer Kaste eine höhere Stufe erklimmen, wenn sie sich mit einem Dr. schmücken können. Und selbst wenn nicht, der eigenen Eitelkeit schmeichelt der akademische Grad allemal.
Nur sind die Doktortitel dafür nicht geschaffen worden, auch wenn die schiere Anzahl das Gegenteil zu beweisen scheint. Seit Längerem gibt es die Diskussion über den verschwenderischen Umgang deutscher Universitäten mit Promotionen. Mindestens 25 000 Doktortitel werden Jahr für Jahr verliehen. Würden die dazugehörigen Dissertationen alle einen Mehrwert haben, wäre Deutschland Wissenschaftsland
Hätten alle Dissertationen einen Mehrwert, wären wir Wissenschaftsland Nummer 1.
Nummer 1. Ist es aber nicht. Mehr als ein Fünftel der Doktoren sind Ärzte, die ihre Qualifikation jenseits von Doktorarbeiten viel intensiver nachweisen müssen. Hier ist der Doktortitel vor allem für die Patienten wichtig. Insofern könnte man ihn einfach nach erfolgreichem Studium vergeben. In allen anderen Bereichen sollte der Titel die Ausnahme bleiben, die dokumentiert, hier hat jemand den Wissensschatz der Menschheit bereichert.
Und was soll nun Frau Giffey machen? Soll sie hinwerfen und ihre Talente der Politik vorenthalten? Oder wäre es sinnvoll, zu sagen: Lasst es gut sein. Der Doktortitel hat mit ihrer politischen Arbeit nichts zu tun. Er ist nicht wichtig. Das Problem ist nur, dass er ihr wichtig war. Viel zu sehr.