Mit Corona kommt der Hunger
Noch sind die Covid-19-zahlen in Afrika relativ niedrig. Dafür haben die Pandemie-maßnahmen für viele Menschen dort und in anderen armen Regionen der Welt schlimme Folgen.
Corona stürzt in diesem Jahr 115 Millionen Menschen in extreme Armut. Das geht aus dem jüngsten Armutsbericht der Weltbank hervor. „Die Corona-krise stoppt die langfristigen Erfolge bei der Armutsbekämpfung“, kommentiert Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) den Bericht. Als extrem arm gilt, wer mit weniger als 1,90 Dollar am Tag auskommen muss. Tatsächlich war die extreme Armut seit 1990 von 1,9 Milliarden Menschen um fast zwei Drittel gesunken. Und das bei einem Bevölkerungswachstum von 2,2 Milliarden Menschen im selben Zeitraum. „Corona verbreitet sich weltweit rasant“, sagt David Malpass, Präsident der Weltbank-gruppe. „Wir erleben eine globale Rezession von historischem Ausmaß.“Und die trifft die schwächsten Ökonomien am stärksten.
WHO lobt Erfindungsreichtum
Fast die Hälfte der extrem Armen lebt in Afrika südlich der Sahara in nur fünf Ländern – Nigeria, Kongo, Tansania, Äthiopien und Madagaskar. In Afrika aber sind, entgegen manchen Voraussagen, die Corona-zahlen verhältnismäßig niedrig. Etwa 1,5 Millionen Infizierte und 35 000 Todesfälle – das entspricht etwa einem Fünftel der Zahlen der USA, bei viermal so vielen Einwohnern. Nach Gründen für den bislang glimpflichen Verlauf auf dem Nachbarkontinent wird gesucht. Oft wird das niedrige Durchschnittsalter der Bevölkerung angeführt. Aber auch die Erfahrungen im Umgang mit Epidemien spielen offenbar eine Rolle. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) lobt den Erfindungsreichtum Afrikas im
Kampf gegen Covid-19. Die WHO spricht von mehr als 120 „lebensrettenden“Innovationen, die vor allem aus dem It-bereich kommen. „Solarbetriebene Handwaschvorrichtungen und mobile Apps, die auf Afrikas rasant wachsender Vernetzung aufbauen – diese hausgemachten Innovationen sind auf einzigartige Weise an den afrikanischen Kontext angepasst“, sagt Who-regionaldirektorin Matshidiso Moeti.
Dürre und Heuschreckenplagen
Gleichzeitig aber leiden in Afrika besonders viele Menschen unter den Grenzschließungen, dem stark eingeschränkten Welthandel und unter lokalen Lockdowns. Zu den 690 Millionen in Afrika und Südasien „chronisch Unterernährten“werden wegen der Pandemie in diesem Jahr weit über 100 Millionen hinzukommen. Nach Einschätzung von Un-nothilfekoordinator Mark Lowcock droht Afrika eine Hungersnot „biblischen Ausmaßes“.
Es sind vor allem Staaten, die ohnehin von Naturkatastrophen, Dürre, Heuschreckenplagen, Kriegen und schlechter Regierungsführung betroffen sind, die nun von Corona besonders hart getroffen werden. Lokale Märkte brechen zusammen, Tagelöhner oder Straßenverkäufer verlieren ihr karges Einkommen, Kleinbauern können ihre Produkte nicht absetzen. In der Sahelzone, im Sudan und in der Demokratischen Republik Kongo ist die Lage besonders schlimm. Allein im Kongo, einem von bewaffneten Konflikten, Flucht und Vertreibung, Ebola, Cholera, Malaria und einer Masernepidemie geschüttelten Land, leiden laut Un-welternährungsprogramm (WFP) vier von zehn Menschen an Hunger.
„Die mittel- und langfristigen Folgen der Pandemie sind noch nicht genau zu beziffern“, sagt Uwe Kekeritz, entwicklungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Absehbar aber sei, „dass sich die Ernährungssituation in vielen Ländern auf Jahre verschlechtert, wenn Bäuerinnen und Bauern durch Einkommenswegfall oder Ausgangssperren ihre Felder nicht bestellen oder Ernten einholen können.“
Eine weitere Folge der Pandemie ist der Einbruch bei den sogenannten „Rücküberweisungen“. 2019 überwiesen Migranten noch mehr als 550 Milliarden Dollar an ihre Familien in den Entwicklungsländern. Über 130 Milliarden Dollar davon kamen aus Europa. Bereits im April hatte die Weltbank wegen Corona ein Minus von rund 20 Prozent bei den Rücküberweisungen prognostiziert. Vielfach könnten die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer dieses Defizits nicht ausgleichen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass schon seit fünf Jahren die Zahl der Hungernden steigt. „Ein Skandal“, meint Entwicklungsminister Gerd Müller. Mit „14 Milliarden Dollar zusätzlich bis 2030“könnten die Industrieländer „die notwendigen Investitionen finanzieren“, sagt Müller. Auch die Entwicklungsländer müssten „vergleichbare Investitionen erbringen. Damit könnten 500 Millionen Menschen bis 2030 den Hunger überwinden.“Könnten, müssten. 2030, so eines von 17 vereinbarten Entwicklungszielen, soll es weltweit keinen Hunger mehr geben. Es spricht im Moment wenig dafür, dass dieses Ziel erreicht wird.