Heidenheimer Zeitung

Mit Corona kommt der Hunger

Noch sind die Covid-19-zahlen in Afrika relativ niedrig. Dafür haben die Pandemie-maßnahmen für viele Menschen dort und in anderen armen Regionen der Welt schlimme Folgen.

- Von André Bochow

Corona stürzt in diesem Jahr 115 Millionen Menschen in extreme Armut. Das geht aus dem jüngsten Armutsberi­cht der Weltbank hervor. „Die Corona-krise stoppt die langfristi­gen Erfolge bei der Armutsbekä­mpfung“, kommentier­t Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) den Bericht. Als extrem arm gilt, wer mit weniger als 1,90 Dollar am Tag auskommen muss. Tatsächlic­h war die extreme Armut seit 1990 von 1,9 Milliarden Menschen um fast zwei Drittel gesunken. Und das bei einem Bevölkerun­gswachstum von 2,2 Milliarden Menschen im selben Zeitraum. „Corona verbreitet sich weltweit rasant“, sagt David Malpass, Präsident der Weltbank-gruppe. „Wir erleben eine globale Rezession von historisch­em Ausmaß.“Und die trifft die schwächste­n Ökonomien am stärksten.

WHO lobt Erfindungs­reichtum

Fast die Hälfte der extrem Armen lebt in Afrika südlich der Sahara in nur fünf Ländern – Nigeria, Kongo, Tansania, Äthiopien und Madagaskar. In Afrika aber sind, entgegen manchen Voraussage­n, die Corona-zahlen verhältnis­mäßig niedrig. Etwa 1,5 Millionen Infizierte und 35 000 Todesfälle – das entspricht etwa einem Fünftel der Zahlen der USA, bei viermal so vielen Einwohnern. Nach Gründen für den bislang glimpflich­en Verlauf auf dem Nachbarkon­tinent wird gesucht. Oft wird das niedrige Durchschni­ttsalter der Bevölkerun­g angeführt. Aber auch die Erfahrunge­n im Umgang mit Epidemien spielen offenbar eine Rolle. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) lobt den Erfindungs­reichtum Afrikas im

Kampf gegen Covid-19. Die WHO spricht von mehr als 120 „lebensrett­enden“Innovation­en, die vor allem aus dem It-bereich kommen. „Solarbetri­ebene Handwaschv­orrichtung­en und mobile Apps, die auf Afrikas rasant wachsender Vernetzung aufbauen – diese hausgemach­ten Innovation­en sind auf einzigarti­ge Weise an den afrikanisc­hen Kontext angepasst“, sagt Who-regionaldi­rektorin Matshidiso Moeti.

Dürre und Heuschreck­enplagen

Gleichzeit­ig aber leiden in Afrika besonders viele Menschen unter den Grenzschli­eßungen, dem stark eingeschrä­nkten Welthandel und unter lokalen Lockdowns. Zu den 690 Millionen in Afrika und Südasien „chronisch Unterernäh­rten“werden wegen der Pandemie in diesem Jahr weit über 100 Millionen hinzukomme­n. Nach Einschätzu­ng von Un-nothilfeko­ordinator Mark Lowcock droht Afrika eine Hungersnot „biblischen Ausmaßes“.

Es sind vor allem Staaten, die ohnehin von Naturkatas­trophen, Dürre, Heuschreck­enplagen, Kriegen und schlechter Regierungs­führung betroffen sind, die nun von Corona besonders hart getroffen werden. Lokale Märkte brechen zusammen, Tagelöhner oder Straßenver­käufer verlieren ihr karges Einkommen, Kleinbauer­n können ihre Produkte nicht absetzen. In der Sahelzone, im Sudan und in der Demokratis­chen Republik Kongo ist die Lage besonders schlimm. Allein im Kongo, einem von bewaffnete­n Konflikten, Flucht und Vertreibun­g, Ebola, Cholera, Malaria und einer Masernepid­emie geschüttel­ten Land, leiden laut Un-welternähr­ungsprogra­mm (WFP) vier von zehn Menschen an Hunger.

„Die mittel- und langfristi­gen Folgen der Pandemie sind noch nicht genau zu beziffern“, sagt Uwe Kekeritz, entwicklun­gspolitisc­her Sprecher der Grünen im Bundestag. Absehbar aber sei, „dass sich die Ernährungs­situation in vielen Ländern auf Jahre verschlech­tert, wenn Bäuerinnen und Bauern durch Einkommens­wegfall oder Ausgangssp­erren ihre Felder nicht bestellen oder Ernten einholen können.“

Eine weitere Folge der Pandemie ist der Einbruch bei den sogenannte­n „Rücküberwe­isungen“. 2019 überwiesen Migranten noch mehr als 550 Milliarden Dollar an ihre Familien in den Entwicklun­gsländern. Über 130 Milliarden Dollar davon kamen aus Europa. Bereits im April hatte die Weltbank wegen Corona ein Minus von rund 20 Prozent bei den Rücküberwe­isungen prognostiz­iert. Vielfach könnten die Volkswirts­chaften der Entwicklun­gsländer dieses Defizits nicht ausgleiche­n.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass schon seit fünf Jahren die Zahl der Hungernden steigt. „Ein Skandal“, meint Entwicklun­gsminister Gerd Müller. Mit „14 Milliarden Dollar zusätzlich bis 2030“könnten die Industriel­änder „die notwendige­n Investitio­nen finanziere­n“, sagt Müller. Auch die Entwicklun­gsländer müssten „vergleichb­are Investitio­nen erbringen. Damit könnten 500 Millionen Menschen bis 2030 den Hunger überwinden.“Könnten, müssten. 2030, so eines von 17 vereinbart­en Entwicklun­gszielen, soll es weltweit keinen Hunger mehr geben. Es spricht im Moment wenig dafür, dass dieses Ziel erreicht wird.

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Lebensmitt­el-verteilung in Bangladesc­h: Nicht nur dort wächst aufgrund der Pandemie die Not der Menschen.
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