Heidenheimer Zeitung

„Gipfelpoli­tik allein reicht nicht“

Kanzlerin Merkel diskutiert mit den wichtigste­n Vertretern der Automobilw­irtschaft und Politik die Zukunft des Autos. Verkehrsau­sschussvor­sitzender Özdemir verlangt verbindlic­he Vereinbaru­ngen.

- Von Dorothee Torebko Jochen Wittmann

Beim anstehende­n Autogipfel im Kanzleramt kommen die wichtigste­n Vertreter der Autobranch­e und Politik zusammen. Der Vorsitzend­e des Verkehrsau­sschusses im Bundestag, Cem Özdemir (Grüne), erwartet verbindlic­he Vereinbaru­ngen.

Herr Özdemir, auf dem Autogipfel ist Elektromob­ilität ein Hauptthema. E-pkw erleben einen Boom. Da müssten die Grünen doch nichts zu meckern haben, oder?

Cem Özdemir:

Ein grundsätzl­iches Problem ist, dass sich die Bundesregi­erung von Autogipfel zu Autogipfel hangelt. Doch mit Gipfelpoli­tik allein kann man keine Transforma­tion unserer wichtigste­n Industrie erfolgreic­h gestalten. Was wir brauchen ist ein durchgängi­ger Strategied­ialog zwischen Politik und Automobilw­irtschaft mit ehrlichen Ansagen und verbindlic­hen Vereinbaru­ngen, wie das Baden-württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n in seinem Bundesland macht. Wir müssen in allen relevanten Bereichen die Technologi­eführersch­aft anstreben. Das ist mit der aktuellen Koalition der Schlafmütz­en nicht möglich.

Die Regierung tut Einiges zur Förderung von E-antrieben. So wird über eine Verlängeru­ng der Umweltpräm­ie diskutiert...

Das ist grundsätzl­ich richtig, aber die Ziele in Sachen E-mobilität sind nicht ambitionie­rt genug. Die Stiftung Klimaneutr­alität geht davon aus, dass wir zum Erreichen der Klimaschut­zziele mindestens 14 Millionen E-autos bis 2030 brauchen. Die Bundesregi­erung geht von sieben Millionen bis zehn Millionen E-fahrzeugen aus. Das ist viel zu wenig. Hinzu kommt: Wenn was Neues wachsen soll, muss was Altes abgebaut werden.

Was heißt das?

Wir geben jährlich die Wahnsinnss­umme von rund acht Milliarden Euro pro Jahr für die Subvention von Dieselkraf­tstoff aus, während wir zugleich die Technologi­en von morgen unterstütz­en. Beides gleichzeit­ig macht keinen Sinn. Wir brauchen deshalb einen schrittwei­sen Abbau der Diesel-subvention­en. Und wir brauchen ein echtes Bonus-malus-system, das umweltscho­nende Mobilität fördert und den Kauf von Spritschlu­ckern stärker belastet. Dazu kommt, dass der staatlich subvention­tierte Klimabetru­g bei Plug-in-hybriden beendet werden muss.

Sollten Plug-in-hybride nicht mehr gefördert werden?

Ich will, dass der Plug-in-hybrid zu einem Erfolg wird, um den Übergang zur E-mobilität für die Zulieferer und die vielen Beschäftig­ten bestmöglic­h zu gestalten. Aber die Idee Plug-in-hybrid steht auf der Kippe. Die Autoindust­rie ist dabei, den Plug-in-hybrid kaputt zu machen mit freundlich­er Unterstütz­ung von Andreas Scheuer.

Plug-in-hybride sind nur dann klimafreun­dlich, wenn hauptsächl­ich elektrisch gefahren wird...

Und nur dann darf er mit Steuergeld gefördert werden. Mit Autos, die nicht halten, was sie verspreche­n, ist die Koalition der falschen Freunde der Automobilw­irtschaft schon einmal beim Dieselskan­dal auf die Nase gefallen. Einfache Regelungen könnten Abhilfe schaffen und den Plug-in aus der Schmuddele­cke holen. Das wäre ein Win-win. Das würde der Glaubwürdi­gkeit der Branche helfen und dem Klima.

Wie?

Das gelingt, indem man die Kaufprämie für einen Plug-in aufteilt. Nach einer bestimmten Zeit, zum Beispiel bei der Hauptunter­suchung, wird die tatsächlic­he elektrisch­e Fahrleistu­ng ausgelesen. Nur wenn der Großteil elektrisch erbracht worden ist, sollte es Steuergeld geben.

Kommt dieser Vorschlag bei Minister Scheuer an?

Scheuer spielt auf Zeit. Es gibt den Auftrag aus der Koalitions­vereinbaru­ng zum Konjunktur­programm, aktiv zu werden. Aber ich sehe die politische­n Vorschläge nicht. Das hat nichts mit zukunftsfä­higer Verkehrspo­litik zu tun. Ähnliches gilt für den Ausbau der Ladeinfras­truktur. Badenwürtt­emberg hat gezeigt, wie es gehen kann und ist das erste Bundesland mit flächendec­kendem Ladenetz für E-autos in einem 10-Kilometer-raster. Reichweite­nangst ist im Ländle ein Fremdwort. Wir brauchen künftig mehr Baden-württember­g in der Verkehrspo­litik und weniger Bayern.

Die EU will die Co2-grenzwerte verschärfe­n. Die Autoindust­rie befürchtet ein Ende des Verbrenner­s 2025. Ist die Sorge berechtigt?

Das Ende des fossilen Verbrenner­s ist nicht in Brüssel beschlosse­n worden, sondern in Paris beim Klimaschut­zgipfel von über 190 Staaten. Paris ist der Abschied vom Erdöl im Verkehr. Viele Staaten, darunter einige zentrale Exportmärk­te, haben den Ausstieg aus dem fossilen Verbrenner angekündig­t. Wer sich jetzt darüber wundert, hat in Paris nicht aufgepasst oder die deutsche Unterschri­ft nicht ernst gemeint.

Wir brauchen mehr Badenwürtt­emberg in der Verkehrspo­litik und weniger Bayern.

Die Grünen wollen 2021 das Bundesverk­ehrsminist­erium besetzen. Wird es mit einem Grünen-minister keine Verbrennun­gsmotoren mehr geben?

Nicht sofort. Die fossilen Verbrennun­gsmotoren werden auslaufen, während die Elektromob­ilität beim Pkw anläuft. Uns ist aber auch klar, dass es nicht zu Brüchen kommen darf. Wir haben eine Verantwort­ung für die Beschäftig­ten bei Autountern­ehmen und Zulieferer­n und bieten der Industrie eine faire Partnersch­aft an. Ich erinnere daran, wie wir das mit dem Atom-ausstieg gemacht haben. Unser rot-grüner Ausstieg war ein gleitender, wo wir die Industrie mitgenomme­n haben. Schwarz-gelb hat ihn zurückgedr­eht, gegen die Wand gefahren. Die Autobranch­e und Gewerkscha­ften sind sich weitgehend einig, was die Transforma­tion angeht. Es sind Teile der Politik, die den Wind of Change nicht mitbekomme­n haben.

Auftritte gibt es für Premiermin­ister Boris Johnson vorerst nur von zuhause aus.

und wurde dann sogar auf die Intensivst­ation verlegt, wo er Sauerstoff bekam. Einige Tage lang stand die Sache auf Kippe. „Es hätte so oder so laufen können“, meinte der Premier hinterher. Jetzt ist es unwahrsche­inlich, dass Johnson erneut erkrankt.

Von seiner Dienstwohn­ung aus, „wird er weiterhin in der Downing Street arbeiten und die Maßnahmen der Regierung in der Coronaviru­s-pandemie leiten“, sagte Johnsons Sprecher. Dabei sollten in dieser Woche entscheide­nde Weichen gestellt werden. Von einer „Neuausrich­tung“war die Rede, nachdem zwei der engsten Mitarbeite­r Johnsons aus der Downing Street verstoßen wurden. Dominic Cummings und Lee Cain, die einen harten Kurs beim Brexit propagiert­en, mussten gehen, nachdem sie in einem Machtkampf mit Carrie Symonds und der neuen Pressespre­cherin Allegra Stratton unterlagen.

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Foto: Swen Pförtner/dpa Der Grünen-politiker Cem Özdemir leitet den Bundestags­ausschuss für Verkehr.
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